Sind lahmheitsfreie Milchviehbestände machbar?

Fleckviehkuh mit geschwollenem Kronsaum vorne links (Foto: © WiSiTiA/aw)

Lahmheiten sind weltweit eines der größten Gesundheitsprobleme bei Milchkühen. Die Beschaffenheit der Ställe, die Futterqualität und vor allem das Management spielen im Zusammenhang mit dem Auftreten von Lahmheiten ein entscheidende Rolle. Während es den Anschein hat, als ob Landwirte und Tierärzte Klauen- und Gliedmaßenerkrankungen  für unvermeidbar halten, stellt Christer Bergsten anlässlich des Weltrinderkongreß in Sapporo die These auf, dass es möglich ist, komplett lahmheitsfreie Herden zu erreichen.

Lahme Kühe geraten häufig in einen Teufelskreis, denn durch die Schmerzen beim Laufen bewegen sie sich ungern. In  Laufställen, müssen die Tiere aber zum Futtertisch und/oder zur Kraftfutterstation sowie den Tränkebecken laufen und sich dort eventuell auch noch mit ranghöheren Kühen auseinandersetzen. Bewegungsunlust führt zu sinkender Futter- und Wasseraufnahme , wodurch sich die Milchleistung und Fruchtbarkeit verschlechtert, was wiederum zu ungenügenden Leistungen  führt und damit häufig zu einem vorzeitigen Abgang aus der Herde.

Komplett lahmheitsfreie Herden möglich

Christer Bergsten von der Swedish University of Agricultural Science in Alnarp stellt anlässlich des 30. Weltrinderkongress in Sapporo die These auf, dass sich Lahmheiten bei Kühen vermeiden lassen und durch richtiges Management komplett lahmheitsfreie Herden möglich sind.

Lahmheiten werden zu spät erkannt

Für Bergsten besteht das Grundproblem darin, dass die Landwirte in der Regel kein gutes Beurteilungsschema bzw. Auge für den Gang ihrer Tiere haben und daher Lahmheiten deutlich seltener  bemerken als Berater oder Tierärzte. Doch: Je länger die Erkrankung dauert, desto schlechter sind die Heilungsaussichten. Bereits vor zwei Jahren hatten die Kanadier Marina von Keyserlinck und Dan Weary in Dublin über ihre Beobachtung berichtet, dass Landwirte Lahmheiten bei ihren Kühen häufig als normalen Gang beurteilen. Das führt dazu, dass notwendige Behandlungen viel zu spät vorgenommen werden.

Vier Hauptverursacher

Der Grund für Lahmheiten sind in der Regel schmerzhafte Veränderungen im Bereich der Klauen, nämlich:

  • Sohlengeschwüre
  • Defekte an der weißen Linie
  • Mortellaro’sche Erkrankung
  • Klauenfäule

Jede dieser Grunderkrankungen muss korrekt erkannt und behandelt werden, um einen Erfolg zu zeigen. Wenn spezielle Probleme immer wieder auftreten, muss eine Strategie entwickelt werden, um die Ursache zu beheben. Ein Beispiel hierfür wären Hygienemaßnahmen wie Boden- und Boxenpflege, um Klauen sauber und trocken zu halten.

Regelmäßige Klauenpflege dreimal jährlich

Ein wichtiger Bestandteil zur Vermeidung von Lahmheiten ist die regelmäßige und gleichzeitige Klauenpflege aller Tiere inklusive Befundung und Dokumentation von Gesundheitsproblemen. Nur so lassen sich die Klauenbefunde einzelner Kühe jeweils vergleichen und beurteilen. Wichtige Kontrolltermine für eine Klauengesundheit sind:

  • Beim Trockenstellen, damit die Kuh mit einer optimalen Klauengesundheit in die letzten Trächtigkeitsmonate startet
  • rund acht Wochen nach der Geburt (vier bis zwölf Wochen), da viele Klauenerkrankungen ihren Ursprung am Ende der Trockenstehzeit und in der Hochlaktation haben.
  • Laktationsmitte

Bergsten hält diese drei routinemäßige Klauenkontrollen pro Jahr (alle 120 Tage) für sinnvoll, um Probleme zu erkennen, bevor sie zu manifesten Lahmheiten führen.

Fünf-Punkte-Plan für infektiöse Klauenerkrankungen

Am Beispiel infektiöser Klauenerkrankungen erörtert Bergsten, was er unter den Maßnahmen versteht, die zu ergreifen sind, um Lahmheiten zeitnah zu behandeln und das zukünftige Auftreten dieser Probleme zu vermeiden. Dafür hat er eine Maßnahmenpaket mit fünf Aktionsschritten zusammen gestellt..

      1. Die Ursache für die Lahmheiten muss ermittelt und beseitigt werden
      2. Bei Zukäufen unbedingt die Klauengesundheit kontrollieren, bevor die neuen Tiere in die Herde integriert werden.
      3. Alle erkrankten Kühe sofort behandeln und bis zur Genesung vom Rest der Herde isolieren.
      4. Allgemeine Hygiene beachten, auch bei Futter und Wasser, denn ein gesundes Tier hat gute Abwehrmechanismen gegen das Eindringen von Keimen
      5. Bodenhygiene, also trockene und saubere Lauf- und Liegeflächen. Es muss vermieden werden, dass Kühe im Feuchten stehen, das Klauenhorn aufweicht und so das Eindringen von Keimen in die Klauen bzw. die umliegende Haut erleichtert wird

 

Bergsten betont mehrfach den Einfluss der Fütterung und damit der ausreichenden Versorgung mit Nährstoffen und Spurenelementen auf die Klauengesundheit.  Als bekannteste Beispiel für einen Zusammenhang zwischen Fütterung und Klauengesundheit gilt dabei die Pansenacidose, die zu extrem schmerzhaften Klauenrehen führt. Doch er erwähnt auch den Einfluss der Körperkondition, denn bekanntlich haben magere Kühe überall weniger Fettreserven, also auch im Sohlenbereich und sind daher druckempfindlicher als dickere und damit besser „gepolsterte“ Kühe.

Liegekomfort auf der Weide – Klauen können rundherum abtrocknen (Foto:©WiSiTiA/aw)

Weidegang, der in Schweden gesetzlich vorgeschrieben ist, stellt nach Ansicht von Bergsten eine ideale Möglichkeit dar, die Klauengesundheit zu verbessern, da Kühe und ihre Klauen nicht für das ständige Laufen auf Beton gemacht sind. Natürlich gebe es auch beim Weidegang  einige Punkte zu beachten, wie etwa die Beschaffenheit der Treibwege.

Langzeitstrategien entwickeln

Neben den kurzfristigen Maßnahmen wie Klauenpflege, angemessener Fütterung und Biosicherheit nennt Bergsten einige Langzeitstrategien um Lahmheiten zu vermeiden, etwa beim Stallbau (Gummiboden), bei der Zucht (Fundament) und im Management des Betriebs. Gerade im Management liege der Fokus eher selten auf Lahmheiten.

Sein Fazit: Wenn durch vorbeugende Maßnahmen Klauenerkrankungen so gut wie möglich vermieden werden und die trotzdem auftretenden Fälle behandelt werden, bevor die Kühe offensichtlich lahm gehen, ist es möglich, lahmheitsfreie Herden zu erhalten.

 

Quelle: WBC 2018, Keynote Lectures „Strategies to reduce dairy lameness by improving claw health. Is zero lameness a reachable goal?“ Christer Bergsen

An dieser Stelle ein Dankeschön an Dr. Horst Brunner, der mir die Tagungsbände aus Sapporo mitgebracht hat.

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Über den Autor

Annegret Wagner

Dr. Annegret Wagner (aw) hat in Gießen Tiermedizin studiert und arbeitet seit 1991 in der Großtierpraxis; seit 2005 niedergelassen in eigener Praxis mit Schwerpunkt Milchrind im Raum Rosenheim. Seit 2006 arbeitet sie auch als tiermedizinische Fachjournalistin. So hat sie für die VETimpulse die Nutztierthemen betreut und übernimmt diese Aufgabe auch bei wir-sind-tierarzt.de. Um nicht zum Mia-san-mia-Bayer zu mutieren, schaut sie intensiv über den Alpenrand hinaus, vorzugsweise ins englischsprachige Ausland. Kontakt: annegret.wagner(at)wir-sind-tierarzt.de
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