Novartis steigt aus der Antibiotikaforschung aus

Auch die Deutsche Antibiotikaresistenzstrategie (DART 2020) setzt auf staatliche Förderung der Antibiotikaforschung (Foto: Titelbild DART 2020)

Mit Novartis ist jetzt ein weiterer großer Pharmakonzern aus der Antibiotikaforschung ausgestiegen. Die teure Entwicklung neuer Wirkstoffe lohnt sich nicht, da sie zur Resistenzvermeidung, nur restriktiv eingesetzt werden sollen – Stichwort „Reserveantibiotika“.

(jh) – Die „globale Front gegen die Entstehung medikamentenresistenter Infektionen“ bröckelt. Vor zwei Jahren sah sich Novartis, einer der drei größten Pharma-Hersteller der Welt, noch als Teil dieser Front im „Kampf gegen Superkeime“ und versprach, „die Erforschung neuartiger Antibiotika zur Behandlung der verheerendsten Infektionskrankheiten fortzusetzen“.

Mit Novartis steigt der nächste große Pharmakonzern aus der Entwicklung neuer Antibiotika aus. (screenshot: Tagesschaumeldung)

Jetzt gibt das Pharmaunternehmen die Antibiotikaforschung auf, berichtet tagesschau.de. Man müsse seine Ressourcen auf Bereiche konzentrieren, die am besten geeignet seien, sich positiv auf die Patienten auszuwirken. 140 Mitarbeiter sollen entlassen werden.
Auch AstraZeneca ist inzwischen aus der Entwicklung neuer Medikamente ausgestiegen. Beide Konzerne gehörten noch Anfang 2016 zu den Unterzeichnern einer Resolution, in der 100 Pharmafirmen und Verbände dazu aufgerufen hatten, die Forschung an neuen antimikrobiellen Wirkstoffen zu forcieren – wenn auch mit staatlicher Förderung.

wir-sind-tierarzt berichtete hier: Antibiotikaforschung – Vater Staat soll zahlen

Auch Bayer, Boehringer und Merck seien bereits nicht mehr im Bereich der Antibiotikaforschung aktiv, berichtet die Deutsche Apothekerzeitung.

Neue Antibiotika „lohnen sich nicht“

Den Hintergrund erläutert der Verband forschender Pharma-Unternehmen (VfA): Die Entwicklung neuer Antibiotika-Klassen gelinge nur mit weit höherem (finanziellen) Aufwand als vor der Jahrhundert-Wende. Zugleich seien die Ertragsmöglichkeiten gering. Ärzte würden ausdrücklich dazu angehalten, neue Mittel als „Reserveantibiotika“ möglichst wenig einzusetzen, damit Bakterien nicht schnell auch gegen diese Medikamente Resistenzen entwickeln. (Eine Übersicht zum aktuellen Stand (Juli 2018) der  Antibiotikaforschung gibt der VFA hier)

Die Hoffnung: Staatliche Förderung und alternative Wirkstoffe

Die Politik setzt seit dem G20-Gipfel im Deutschen Elmau 2015 verstärkt darauf, mit sogenannten Public-Private-Partnership Programmen, das „Forschungsrisiko“ zwischen Industrie und Öffentlicher Hand zu teilen, sprich Forschungsförderung und längere Patentzeiten: Die Programme heißen NewDrugs4BadBugs (ND4BB – EU-Förderung)GARDP (WHO) oder  CARB-X (USA/UK/Bill-Gates-Stiftung – über die deutschen Erfolge berichtet der 3. Zwischenbericht zur Antibiotikaresistenzstrategie „DART 2020“/Punkt 6)

Einige Hoffnungen liegen auch auf neuartigen Antibiotikaalternativen. So sollen etwa Bakteriophagen sowie Antivirulenztherapien oder Arzneimittelmischungen künftig krankmachende Bakterien eliminieren. Doch Momentan sieht etwa Dr. Tim Eckmanns, Antibiotika-Experte des Robert Koch-Instituts (RKI), noch „nichts Bahnbrechendes in der Pipeline“. Auch seien die Zulassungsverfahren schwierig.
Der Fokus der Wissenschaft liege derzeit eher darauf, Antibiotika richtig einzusetzen, als einen Ersatz dafür zu finden, resümiert Eckmanns im Bayerischen Rundfunk.

„Weltweit sterben immer noch mehr Menschen, weil sie keinen Zugang zu Antibiotika haben, als an Antibiotika-Resistenzen.“

Tim Eckmanns. Antibiotika-Experte im Robert Koch-Institut, Berlin im Bayrischen Rundfunk

wir-sind-tierarzt meint:
Der Druck auf die Tiermedizin wächst

(jh) –Nachrichten wie die vom Novartis-Ausstieg aus der Antibiotikaforschung sind gerade für die Tiermedizin schlechte Nachrichten.
Dass Tierärzte auf absehbare Zeit keine neuen Antibiotika einsetzen können, damit haben sich viele wohl schon abgefunden – obwohl die Berufsverbände davor warnen (u.a. hier), die tierärztliche Versorgung vom Fortschritt abzukoppeln.
Es ist allerdings so gut wie sicher, dass die jetzt in den Entwicklungspipelines befindlichen neuen antibiotischen Wirkstoffe nicht für Tiere zugelassen werden. Sie bleiben also der Humanmedizin vorbehalten – so sieht es auch das neue EU-Tierarzneimittelrecht vor.

Für die Tiermedizin bedeuten Entscheidungen wie die von Novartis deshalb nicht nur Stillstand, sondern eher sogar Rückschritt, denn:
Je weniger neue Wirkstoffe der Humanmedizin im Wettlauf mit den Resistenzen einen Vorsprung ermöglichen, desto größer dürfte der politische Druck werden, bestehende „wichtige“ Antibiotika für den Einsatz bei Tieren zu limitieren wenn nicht gar ganz zu verbieten – Stichwort „Reserveantibiotika“.

Tierärzte müssen durch sorgfältigen Umgang mit solchen kritischen Wirkstoffen dafür sorgen, daß sich der Politik dafür keine Ansatzpunkte bieten.

Alle Quellen im Artikel verlinkt
Beitragsbild: Titelseite Deutsche Antibiotiakresistenzstrategie DART 2020

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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