Krampfanfälle bei jungen Katzen können auch ungewöhnliche Ursachen haben. Australische Tierärzte beschreiben eine angeborene Anomalie – eine Encephalocele im Bereich des Vorderhirns –, deren Auswirkungen sie konservativ behandeln konnten.
(aw) – Den Kollegen Dennis Woerde, Karon Hoffmann und Narelle Brown am 1Animal Referral Hospital (Homebush, Australien) wurde eine elf Monate alte weibliche, kastrierte Katze vorgestellt. Die litt bereits seit vier Monaten an leichten Krampfanfällen. Zunächst waren sie auf den Kopfbereich beschränkt; seit einem Monat hatte die Katze generalisierte klonisch-tonische Krampfanfälle. Die traten zunächst einmal wöchentlich auf, verkürzten sich aber schnell auf einmal pro sechs Stunden.
Einen solchen, etwa 30 Sekunden dauernden Anfall hatte die Katze auch während der Allgemeinuntersuchung. Obwohl die Anfälle selbst nie lange dauerten, brauchte die Katze mehrere Stunden um sich wieder zu erholen.
MRT zeigt unphysiologischen Knochenspalt
Bei der klinischen Untersuchung diagnostizierten die Tierärzte eine Mikrophthalmie mit vollständiger Blindheit am linken Auge und eine rechtsseitige Hemiparese. Zur weiteren Abklärung führten sie eine Untersuchung von Schädel und oberer Halswirbelsäule mittels MRT durch. Krampfanfälle werden in der Regel durch Anomalien im Vorderhirn verursacht. Die Kollegen vermuteten aufgrund des Mikrophthalmus eine genetisch bedingte Fehlbildung im vorderen Hirnbereich.
Das MRT bestätigte den Befund der Mikrophthalmie und das Fehlen der Linse im erkrankten Auge. Doch zusätzlich entdeckten die Kollegen linksseitig eine fronto-ethmoidale Encephalocele. Im Bereich der linken Siebplatte des Siebbeins ist durch einen unphysiologischen Knochenspalt ein Teil des Riechhirns (Rhinencephalum) in die linke Nasenhöhle vorgefallen.
In der Humanmedizin werden solche Fehlbildungen in der Regel chirurgisch korrigiert, indem man den Vorfall zurückverlagert und den Knochenspalt schliesst. Die australischen Tierärzte versuchten es lieber mit einer konservativen Therapie.
Konservative Therapie statt OP
- Die Katze erhielt erst einmal weiter die eingeleitete antiepileptische Behandlung mit Phenobarbital; zunächst in der Dosierung von 2,15 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht täglich (aufgeteilt auf zwei Gaben alle zwölf Stunden).
- Nachdem sie vier Wochen nach der Untersuchung zwei Anfälle in kurzem Abstand hatte, bekam sie zusätzlich Keppra (Wirkstoff: Levetiracetam) in einer Dosierung von 22 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht alle acht Stunden (in Deutschland als Humanpräparat erhältlich).
- Als drei Monate später weitere starke Anfälle auftraten, wurde die Dosierung von Phenobarbital auf vier Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht täglich (aufgeteilt auf zwei Gaben) erhöht.
Die Katze sprach gut auf die Dosiserhöhung an und lebt ein Jahr später immer noch – wenn auch nicht ganz ohne Anfälle, aber doch so, dass eine Euthanasie nicht nötig erscheint. Encephalocelen sind bei Menschen völlig schmerzfrei, daher gehen die Kollegen davon aus, dass die Katze ebenfalls nicht an chronischen Schmerzen leidet.
Die Autoren wollen mit ihrem Fallbericht darauf hinweisen, dass tonisch-klonische Krämpfe bei Katzen auch ungewöhnliche Ursachen haben können. Die Auslöser für solche Missbildungen sind nicht eindeutig zuzuordnen. Unter Umständen könnten Substanzen mit teratogener Wirkung eine Rolle spielen.
Es handelt sich um den ersten, in der Literatur beschriebenen Fall einer Katze mit einer Encephalocele im Bereich des Vorderhirns.