„Fliegender Autobahntierarzt“ und der M. Bovis-Ausbruch in Neuseeland

1.600 km zwischen Tierarzt und betreutem Betrieb? Die Rolle von "distance vets" beim M. Bovis-Ausbruch in Neuseeland hat Radio Neuseeland recherchiert. (Foto: RNZ)

Neuseeland streitet: 150.000 oder mehr Rinder keulen, um den Mykoplasmen-Ausbruch zu stoppen? Oder mit dem Erreger leben, wie es die überwältigende Mehrheit der Länder weltweit tut? Pikant: Die Einschleppung der Krankheit hat womöglich etwas mit einer Art „fliegendem Autobahntierarzt“ und illegaler Medikamentenbeschaffung zu tun: Die betreuende Tierarztpraxis des Ausbruchsbetriebes sitzt 1.600 Kilometer entfernt – geführt u.a. von einer deutschen Tierärztin.

von Annegret Wagner

Seit letztem Jahr kämpft Neuseeland – einer der größten Milchproduzenten der Welt – mit einer für das Land neuen Infektionskrankheit, ausgelöst durch Mycoplasma bovis. Bisher sind alle Versuche gescheitert, die Krankheit einzudämmen (wir-sind-tierarzt berichtete mehrfach).
Wurde die Infektion im Juli 2017 zunächst nur auf der Südinsel nachgewiesen, hat sie inzwischen auch die Nordinsel erreicht – wahrscheinlich ist sie sogar bereits seit 2015 aktiv.
Aktuell sind landesweit offiziell 38 Rinderbetriebe sicher infiziert (Stand 15.6.2018). Bedeutsamer ist aber die Zahl der aufgrund von Tierkontakten unter behördlicher Beobachtung stehenden Farmen: Es sind 352 mit schnell steigender Tendenz – insgesamt soll es nach Medienberichten um rund 1.700 (Kontakt)Betriebe gehen.

Tierseuchenkontrolle: Rinder-Schwarzmarkt ist ein Problem

In Neuseeland ist es durchaus üblich, Rinder bar zu kaufen und dann dahin zu transportieren wo gerade genug (Weide)Gras zur Verfügung steht. Dieser Rinder-Schwarzmarkt gilt als ein echtes Problem bei der Nachverfolgung der Tierbewegungen. Er unterläuft die Auflagen zum Tiertransport. Es sei aber auch ansonsten „Realität in Neuseelands Milchindustrie, dass ein große Zahl von Tieren über große Distanzen gehandelt werde,“ schreibt die Regierung.

Billig-Medikamente als Virusträger?

Tragischer Weise könnte der Eintrag der Krankheit nach Neuseeland mit Tierarztbeteiligung erfolgt sein. Im Verdacht stehen billige, illegal importierte und nicht den strengen neuseeländischen Richtlinien entsprechende Tiermedikamente. Sie sollen mit dem M. Bovis-Bakterium kontaminiert gewesen sein. Offiziell ist das noch nicht bestätigt; es heißt bisher lediglich, dass die strengen Biosicherheitsrichtlinien des Landes umgangen worden seien und es so zum Eintrag des Bakteriums gekommen ist. In den verfügbaren Behördenberichten sind die Passagen inzwischen geschwärzt.

Beteiligt: Eine deutsche „fliegende Autobahntierärztin?

Der Betrieb, auf dem der Mykoplasmen-Ausbruch seinen Ursprung nahm – eine Farm der Southern Dairys Ltd. der Familie Alfons Zeestraten – hat nach Medienberichten eine unrühmliche Vorgeschichte: Aufgrund von nicht abgestellten Tierschutzverstößen habe keiner der ortsansässigen Tierärzte mehr mit dem Unternehmen zusammen arbeiten wollen. Stattdessen hat eine deutschstämmige Tierärztin, die bis 2004 in Gießen studierte, die tierärztliche Betreuung übernommen. Allerdings liegt ihre Praxis 1.600 km entfernt und ist (laut Webseite) eher auf die Behandlung von Kleintieren ausgerichtet. Sie habe ‚versucht‘ den Betrieb halbjährlich zu besuchen.
Medien bezeichnen die Praxis als Verschreibungspraxis, die vor allem Rezepte für Medikamente ausstelle, ohne Tiere zu untersuchen. Eventuell war es dem Betrieb so möglich, billige Medikamente aus China zu importieren und die strengen hygienischen Auflagen für neuseeländische Präparate zu umgehen.
Die Praxis selbst sieht sich als Opfer einer ‚commercial vendetta‘. Sie habe nicht mit Medikamenten gehandelt, sonder nur die Rezepte ausgestellt. Der Neuseeländische Tierärzteverband (NZVA) erklärt, das „distance veterinary services“ rechtlich zulässig seien, wenn eine Reihe von Auflagen eingehalten würden. Für Tiergesundheit und Tierschutz sei es aber am besten, wenn es eine echte und regelmäßige Veterinärpräsenz auf dem Betrieb gebe.

Welche Verantwortung trägt der Tierarzt?

Video von Radio Neuseeland: Auf der Suche nach der Tierarztverantwortung in dem Mycoplasmen-Ausbruch

Die ersten Fälle mit Mykoplasmen-Beteiligung traten vermutlich bereits Ende 2015 auf dem Zeestraten-Betrieb auf (Recherchen der Behörden/PDF-Download). Doch Tierärztin Gilmore habe bei ihren halbjährlichen Besuchen auf der größten neuseeländischen Milchfarm keine Hinweise auf die Krankheit entdeckt.
Es waren letztendlich Mitarbeiter des Betriebes, die sich an die neuseeländische Veterinärbehörde gewandt haben, weil therapieresistente Infektionen bei Kühen und Kälbern überhand nahmen.

Fast 900 Millionen Neuseeland-Dollar für die Merzung

Ende Mai hat Premierministerin Jacinda Ardern einen 886 Millionen Neuseeland-Dollar kostenden Maßnahmenkatalog verkündet, mit dessen Hilfe das Land in ein bis zwei Jahren wieder frei von Mycoplasma bovis sein soll. Dazu sollen nach Agenturmeldungen bis zu 130.000 weitere Rinder gekeult werden (26.000 Tiere stehen bereits auf der Merzungsliste). Dies sei angemessenen,

  • da die Tierseuche in Neuseeland noch nicht endemisch sei
  • und sich auf ein Netzwerk von Farmen beschränke, die über Tierbewegungen miteinander verbunden seien.

Die Bekämpfung könnte das Land in den nächsten zehn Jahren nach bisherigen Schätzungen bis zu einer Milliarde Dollar kosten – je nachdem, wie weit die Verbreitung vorangeschritten ist und ob sie sich überhaupt so leicht ausrotten lässt, wie die Behörden meinen.

Zur Bekämpfung von Mycoplasma bovis schafft das zuständige Ministerium (MPI) zu den 250 bereits bestehenden Stellen weitere 50 für Berater. Diese sollen die betroffenen Landwirte betreuen und Tierbewegungen kontrollieren. Bisher sind die Ausbrüche alle auf vorhergehende Tiertransporte/-kontakte zurück zu führen. Daher versprechen sich die Behörden von der risikoorientierten Beprobung der Rinderbetriebe anhand von Bewegungsmeldungen eine schnelle Eingrenzung des Infektionsgeschehens.
Zusätzlich eröffnete das Ministerium ein neues Hauptquartier für die Seuchenbekämpfung in Cambridge auf der Nordinsel. Da die Krankheit international kaum beachtet wird, gibt es entsprechend wenige wissenschaftliche Untersuchungen zu dem Thema. Obwohl es sich um eine bakterielle Erkrankung handelt, sind die Therapieaussichten schlecht, vor allem wenn es sich um die Mastitisvariante geht.

Hundertausende Rinder keulen oder mit der Krankheit leben?

Trotzdem reagieren Landwirte zunehmend skeptisch, ob das Problem durch Merzung ganzer Betriebe in den Griff zu bekommen sei. Außerdem wollen sie nicht 32 Prozent der Sanierungskosten (rund 284 Millionen Neuseeland-Dollar – so beziffert es die Regierung) selbst tragen, sondern maximal zwölf Prozent, wie es für andere Krankheiten vereinbart ist.
Der Vorsitzende des neuseeländischen Bauernverbandes, Chris Lewis, fragt daher im Namen der Landwirte, ob die Bekämpfung tatsächlich sein muss, oder ob man nicht auch mit der Krankheit leben könnte. Denn selbst wenn die Merzung Erfolg haben sollte, sei nicht klar, wie lange man die Krankheit tatsächlich aus Neuseeland heraus halten könne, bevor es erneut zu einem Eintrag komme.

Betroffene Tierhalter: „Its nonsense“

Darüber hinaus ist es nicht nur eine finanzielle sondern auch eine emotionale Belastung für die Familien, wenn alle Tiere ihres Betriebs getötet werden müssen oder plötzlich benachbarte Farmer „zu Feinden werden“, weil sie eine Einschleppung fürchten.

Den Erfahrungsbericht eines betroffenen Farmers können Sie hier hier hören: „Its nonsens.“

Tierärzte fordern, diese sozialen Folgen unbedingt mit zu bedenken. Die Erfahrung aus Keulungsaktionen haben gelehrt, dass „Fakten“ allein die betroffenen Landwirte nicht erreichen und die Bereitschaft, sich konstruktiv an der Seuchenbekämpfung zu beteiligen sehr stark von emotionale Komponenten abhängt.

Eine lesenswerte Einordnung der „Social science of Mycoplasma“ finden Sie hier

Komplett räumen – desinfizieren – 60 Tage Leerstand

Die Merzung positiver Bestände soll schrittweise innerhalb der nächsten zwei Jahre erfolgen und dürfte auch abhängig davon sein, wie weit die Erkrankung am Ende bereits tatsächlich verbreitet ist. Seit die Behörden die Kontaktbetriebe testen, ist die Zahl der Infektionen sprunghaft gestiegen, auf zuletzt 299 Farmen.
Der derzeitige Plan (Stand: 28.5.2018) sieht vor, betroffene Farmen komplett zu räumen. Danach muss eine Desinfektion erfolgen und der Betrieb soll 60 Tage leer stehen. Erst danach dürfen wieder Rinder eingestallt werden. Die Merzung aller Tiere soll aber flexibel erfolgen: So können die Kühe bis zum Ende der Saison gemolken und erst danach geschlachtet werden. Neuseeland arbeitet durch die überwiegende Weidehaltung mit saisonaler Abkalbung. Die Zeitverschiebung soll den wirtschaftlichen Schaden begrenzen.

Mycoplasma bovis: Weltweit „nicht relevant“

Mycoplasma bovis ist ein Bakterium, das bei Kühen schwer zu therapierende Euterentzündungen, Aborte, Otitiden, Pneumonien und Arthritiden verursachen kann. Es wird über direkten Tierkontakt oder kontaminierte Gegenstände übertragen, sowie über nicht-wärmebehandelte Milch von der Mutterkuh auf das Kalb.
Das Bakterium ist für Menschen ungefährlich, genau wie der Verzehr von Fleisch oder Milchprodukten von infizierten Tieren. Mykoplasmen sind bis auf Norwegen und Neuseeland weltweit verbreitet und werden von der Welt-Tiergesundheitsorganisation (OIE) als nicht relevant eingestuft. Daher bestehen auch keine Handelsrestriktionen für Fleisch und Milchprodukte sowie den Tierverkehr.

In Neuseeland allerdings hat die Milchproduktion und der Export eine herausragenden Stellung. Zwischen 1994 und 2017 hat sich der Tierbestand von 3,8 Millionen auf 6,47 Millionen fast verdoppelt. Das Land produziert mittlerweile drei Prozent der weltweiten Milchmenge und ist der größte Exporteur von Milch und Milchprodukten. Mit den vorgeschlagenen Maßnahmen zur Ausrottung der Infektion will der Staat langfristig die Produktivität (und Sonderrolle) der einheimischen Milchindustrie schützen.

Quellen:
direkt im Artikel verlinkt
Übersichtswebseite „Mycoplasma bovis“ – alle Meldungen des neuseeländischen Landwirtschaftsministeriums zum aktuellen Ausbruch

Bericht eines betroffenen Farmers:

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Über den Autor

Annegret Wagner

Dr. Annegret Wagner (aw) hat in Gießen Tiermedizin studiert und arbeitet seit 1991 in der Großtierpraxis; seit 2005 niedergelassen in eigener Praxis mit Schwerpunkt Milchrind im Raum Rosenheim. Seit 2006 arbeitet sie auch als tiermedizinische Fachjournalistin. So hat sie für die VETimpulse die Nutztierthemen betreut und übernimmt diese Aufgabe auch bei wir-sind-tierarzt.de. Um nicht zum Mia-san-mia-Bayer zu mutieren, schaut sie intensiv über den Alpenrand hinaus, vorzugsweise ins englischsprachige Ausland. Kontakt: annegret.wagner(at)wir-sind-tierarzt.de
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