Noch immer sterben jährlich 50.000 Menschen an Tollwut, rund 30.000 allein in Indien. Die Mehrheit in Folge von Hundebissen. In Indien stirbt deshalb nahezu jede Stunde ein Kind daran. Eine Tierärztin hilft, die Situation zu verbessern – ein Erfahrungsbericht.
Gastbeitrag von Silke Körlings-König, Tierärztin in Wetter bei Marburg
Hier in Europa sind die erschreckenden WHO Todeszahlen vermutlich den wenigsten bekannt. Luke Gamble, Gründer des Worldwide Veterinary Service (WVS), hat in zahlreichen Auslandseinsätzen aber unmittelbar miterlebt, was die Infektion mit dem Tollwutvirus für Menschen und Tiere bedeutet. Diese Zahlen haben Gamble dazu veranlasst, der Tollwutinfektion den Kampf anzusagen.
25 Millionen Hunde impfen
Im Jahr 2013 hat WVS innerhalb von 30 Tagen in zwölf indischen Städten mit der Hilfe von 500 Freiwilligen aus 14 verschiedenen Ländern – Tierärzten, Tierarzthelferinnen und Studenten – in Zusammenarbeit mit indischen Tierärzten und Einheimischen insgesamt 50.000 Hunde geimpft. Allerdings schätzt die WHO die Hundepopulation in Indien auf 25 Millionen Hunden. Es müssen zwangsläufig noch zahlreiche weitere Impfaktionen folgen, um einen nachhaltigen Erfolg zu erreichen.
15 Millionen US-Dollar nötig
Die indischen Behörden sind daran interessiert, die Eindämmung der Tollwut weiter voranzutreiben, denn die Tollwutinfektionen kosten den indischen Staat rund 25 Millionen US-Dollar jährlich nur für die Post-Expositions-Tollwutimpfung. Für deutlich weniger – 15 Millionen US-Dollar – könnte jeder Hund in Indien geimpft werden.
2014 begann das Projekt in Goa, einem kleinen indischen Bundesstaat am arabischen Meer, mit flächendeckenden Impfungen. Das Ziel ist, bis 2021 eine tollwutfreie Region zu schaffen. Da eine stabile Hundepopulation dabei ein wichtiger Faktor ist, wurden in Goa innerhalb von sechs Monaten 20.400 Hunde kastriert und geimpft. Der Erfolg lässt sich schon jetzt in rückläufigen Tollwutfällen beim Menschen messen: die Tollwutinfektionen mit Todesfolge reduzierten sich von 17 in 2015 auf fünf in 2016 und null Todesfälle in 2017.
Unterstützung für spontane Entscheidung
Der Erfolg des Projekts „Mission Rabies“ war beeindruckend, so dass ich kurzerhand mein Profil bei WVS hinterlegte. Anfang Oktober 2017 kam dann die Anfrage, ob ich mir vorstellen könnte, für einen Monat in Indien in einer mobilen Ambulanz zu arbeiten? Wir sollten die zahllosen verletzten Hunde versorgen, die während der „Mission Rabies“ Impfkampagne durch ein internationales Team aufgegriffen werden. Es war eine recht spontane Entscheidung, die vier-wöchige Abwesenheit musste vor allem durch das Praxisteam und meine Familie getragen werden – aber es gab von allen Seiten Unterstützung.
Internationales Team aus acht Ländern
Nach einer kurzen, aber intensiven Vorbereitungsphase – die letzte wichtige Impfung erhielt ich am Abend vor meiner Abreise – saß ich drei Wochen später bereits im Flugzeug auf dem Weg über Neu-Dehli nach Margao in Goa. Dort traf ich auf die restlichen Mitglieder des internationalen Impfteams aus Grossbritannien, Italien, Kanada, Puerto Rico, Sri Lanka, USA und Australien. In der Auffangstation bestand unser Team aus einem indischen Tierarzt, der in der Vergangenheit schon mehrfach für Mission Rabies im Einsatz gewesen war, einer Tierarzthelferin aus Ägypten, die ihre Ausbildung in den USA absolviert hatte und mir.
An den nun folgenden Tagen ging der Arbeitseinsatz bei Sonnenaufgang los und endete mit Sonnenuntergang. Die Freiwilligen wurden in zwölf Teams aufgeteilt und fuhren auf Lastwagen in ihre Einsatzgebiete. Unterstützt wurde jedes Team durch sechs Einheimische, die für das Fangen der Hunde zuständig waren. Jedes Team hatte ein GPS gestütztes Handy dabei, um das definierte Zielgebiet anzusteuern zu können. Mit Hilfe einer computergesteuerten Datenerfassung wurde die Zahl der geimpften Hunde sowie Datum und der Ort der Impfung täglich erfasst.
Unser Team richtete eine Ambulanz in einer privaten Auffangstation ein. Hier konnten wir bereits vorhandene Käfige nutzen. Ausserdem standen uns zwei kleine Räume zur Verfügung, zwar ohne Licht – dafür hatten wir unsere Kopflampen mitgebracht – aber mit Ventilatoren. Einer der Räume diente als Vorratsraum für unsere zahlreichen Instrumente, Sterilisator und Medikamente. Den zweiten Raum nutzten wir als OP. Ein weiterer OP-Tisch wurde draußen aufgebaut; dies sollte mein OP-Tisch werden, da das operieren bei Tageslicht doch besser ist, als im dunklen Raum mit Kopflampe.
Kein Licht, stumpfe Nadeln und Backsteine als OP-Kissen
„OP-Tisch“ ist ein hochtrabender Begriff für einen Tisch, der mit Zeitung ausgelegt ist und auf dem wir in Zeitungspapier gewickelte Backsteine rechts und links der Tischmitte gelegt haben, damit die zu operierenden Tiere auf dem Rücken gerade gelagert werden konnten. Ohne Lichtquellen, ohne Assistenz, mit stumpfen Nadeln und gewöhnungsbedürftigem Nahtmaterial und Instrumentarium bei 34 Grad Aussentemperatur waren Routineoperationen eine Herausforderung.
Für Narkosen, Schmerzmedikation, Antiparasitika, Antibiotika und die Op-Methoden gab es Protokolle, nach denen sich genauestens zu richten war. Für jedes behandelte Tier wurde die Art der Erkrankung, der Kastrationsstatus, und die Herkunft protokolliert.
Es war nicht einfach, den Überblick über die tägliche neu ankommenden Tiere zu behalten, da zwölf Teams über den Tag verteilt verletzt Tiere brachten und gleichzeitig bereits behandelte Tiere wieder mitnahmen, um sie „daheim“ wieder auszusetzen.
Entspannte Strassenhunde
Der Hauptteil unserer Patienten waren Strassenhunde, die in Goa an Bushaltestellen, Bahnhöfen, Kreuzungen, auf Verkehrsinseln oder mitten am Strand zu finden sind. Das besondere an diesen Hunden ist, dass sie in der Regel völlig entspannt sind. Man wird freundlich von ihnen begrüßt, sie zeigen kein Angst und heften sich gelegentlich sogar für längere Zeit an die Fersen vorübergehender Personen.
Diese positive Haltung resultiert nicht zuletzt aus dem respektvollen Umgang der Einwohner mit den dort lebenden Hunden und auch anderen Lebewesen.
Am Ende der vier Wochen hatten fast 10.000 Hunde eine Tollwutimpfung erhalten!
Mission Rabies braucht Unterstützung!
Wer jetzt Lust bekommen hat, auch einmal bei einem solchen Projekt teilzunehmen , kann sich auf der Internetseite unter www.missionrabies.com unter „Volunteers“ informieren. Bei der Freiwilligenarbeit sind nicht nur Tierärzte gefragt, Tierarzthelferinnen und Studenten können ebenfalls mitarbeiten.
Selbstverständlich sind auch Spenden willkommen unter:
www.missionrabies.com/donate
Mittlerweile wird „Mission Rabies“ auch in Malawi, Tansania, Uganda und Sri Lanka durchgeführt – also noch jede Menge Arbeit für die Zukunft.