Die Debatte über Massentierhaltung macht vielen Verbrauchern ein schlechtes Gewissen, wenn sie Fleisch essen. Als Alternative der Zukunft gilt „In-vitro-Fleisch“ aus dem Labor. Von allen Verbrauchergruppen würden gerade Veganer am häufigsten den Burger aus der Petrischale probieren, sagt eine Umfrage. Doch frühestens 2021 sollen die ersten künstlichen Chicken-Nuggets auf dem Markt sein.
(aw/jh) – Kunstfleisch, In-vitro-Fleisch oder „cultured meat“ wie die Amerikaner sagen – die Idee aus Muskelzellen im Labor Fleischfasern künstlich zu erzeugen und daraus Fleischprodukte herzustellen, hat das Potential zur disruptiven Technologie. Zumindest glauben das Investoren, wie Richard Branson, aber auch der Philosoph Richard David Precht – und auch Tierrechtler.
tagesschau.de hat erklärt, wie Laborfleisch entsteht:
Wiesenhof innvestiert in Kunstfleisch Startup
Schon 2008 hatten die Tierrechtler von PETA ein Preisgeld von einer Million Euro für denjenigen ausgelobt, der das erste „tierleidfreie Hähnchenfleisch“ auf den Markt bringt. Damals noch ohne Erfolg. Aber 2013 stellten Wissenschaftler den ersten „Burger aus der Petrischale“ vor (Video). Er hat noch 250.000Euro gekostet. Doch die Branche macht Fortschritte: Anfang 2017 schätzte man den Preis auf 10 Euro. Bis zur Serienreife dürfte es aber immer nich einige Jahre dauern. Ab 2021 will die US-Firma Memphis Meats das erste Geflügelfleisch aus dem Labor anbieten.
In Deutschland sorgte Anfang des Jahres die Wiesenhof-Entscheidung in ein Startup für künstliches Geflügelfleisch zu investieren, für ein Rauschen im Blätterwald von FAZ bis taz. Auch der Wiesenhof-Partner, die israelische Firma Supermeat, will ab 2021 Geflügelfleisch aus dem Labor an Restaurants liefern und drei Jahre später den Massenmarkt erobern.
Ein umfangreiches Dossier über den Stand der Forschung, die Chancen für Mensch und Tier, aber auch die Grenzen der „In-vitro-Fleischproduktion“ hat das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) erstellt – PDF-Download hier
Ist die Bezeichnung „Fleisch“ verdient?
Die In-vitro-Fleisch-Produktion muss allerdings noch einige Hürden nehmen, bis das Produkt den Namen „Fleisch“ auch wirklich verdient. Bisher ist es erst möglich, dünne Schichten von Muskelzellen zu produzieren. Diese können übereinander geschichtet werden und ähneln dann wenig strukturiertem Hackfleisch – man könnte es für Hamburger verwenden. Nötig ist auch eine noch Wachstumslösung aus Kälberserum, die für die Massenproduktion durch ethisch korrektere Alternativen ersetzt werden muss. Und auch das dreidimensionale Wachstum, etwa für Steaks ist noch ein Problem. Außerdem müssten die Muskelzellen mechanischer Bewegung ausgesetzt werden, um eine ähnliche Konsistenz wie normales Fleisch zu bekommen.
Veganer mögen die Labor-Fleisch-Idee
Die Veganer-Szene aber sympathisiert durchweg schon länger mit der „ethisch korrekten“ Fleischalternative aus dem Edelstahl-Bioreaktor, weil sie Milliarden Tieren das Leben retten könnte. Neben PETA betont auch die Albert-Schweitzer-Stiftung, dass In-Vitro-Fleisch „nicht nur Tierleid erheblich mindern, sondern auch die Umwelt und die natürlichen Ressourcen schonen“ würde.
Immerhin erklärten beeindruckende 60 Prozent der Veganer in einer Umfrage, dass sie „Laborfleisch“ ausprobieren würden, während nur 23 Prozent der Vegetarier und 21 Prozent der Pescetarier Interesse. Auch die Fleischesser waren mit 28 Prozent eher skeptisch.
In der Umfrage hat Surveygoo 1.000 Briten und US-Amerikaner nicht nur gefragt, ob sie Fleischprodukte essen würden, die im Labor aus natürlichen Fleischzellen(!) gezüchtet wurden und nicht direkt von Tieren stammten.
Es wurden auch die Essgewohnheiten abgefragt: Vegetarier, Veganer, Pescetarier (Vegetarier die Fisch essen) oder Fleischesser. Insgesamt waren 29 Prozent aller Befragten bereit, die Laboralternative auszuprobieren.
„Fleisch aus dem Labor braucht kein Mensch“
„Fleisch aus dem Labor braucht kein Mensch“, kommentiert dagegen Bioland Pressesprecher Gerald Wehde. Auch Klon-Burger würden im Kulturkampf um das Fleisch die Welt nicht retten. Wenn 80 Prozent der Deutschen gentechnisch veränderte Lebensmittel und 70 Prozent das Klonen von Nutztieren ablehnten, weshalb sollten sie dann genetisch identisches Fleisch, also geklonte Burger kaufen? Und Verbraucher, die jegliche Nutztierhaltung für ethisch inakzeptabel halten, bräuchten erst recht kein Kunstfleisch: „Die leben besser vegan.“
Wider den Trend zu natürlicher Ernährung?
Eigentlich müsste „Laborfleisch“ dem großen Trend nach möglichst natürlicher Lebensmittelproduktion entgegenstehen, glaubt auch Richard Clarke, Gründer und leitender Direktor von Ingredient Communications. Doch gerade Veganer suchten nach ethisch vertretbaren Proteinquellen zur Deckung ihrer Ernährung. Sie könnten daher die erste Gruppe sein, die sich für In-vitro-Fleisch begeistert könnte.
Clarke bewertet das Umfrageergebnis gegenüber thepoultrysite.com so: „Es ist einleuchtend, dass Konsumenten das im Labor produzierte Fleisch probieren würden, denn viele von ihnen fühlen sich schuldig, wenn sie Fleisch essen, obwohl sie um Missstände bei der Tiergerechtheit wissen und um die Auswirkungen der landwirtschaftlichen Tierhaltung auf die Umwelt.“
Amerikaner offener als Europäer
Neil Cary, leitender Direktor von Surveygoo ergänzt, dass es offensichtlich auch eine Frage der Mentalität/Nationalität sei, wie offen Verbraucher mit dem Thema umgehen. Obwohl Briten und US-Amerikaner auf den ersten Blick viele Werte verbinden, scheinen die US-Bürger weniger Probleme damit zu haben, Neuerungen auszuprobieren als die Inselbewohner: 40 Prozent der US-Amerikaner waren offen für Kunstfleisch, bei den Briten dagegen waren nes lediglich 18 Prozent.