Viele Erkrankungen bei kleinen Heimtieren werden nicht diagnostiziert. Das liegt zum Beispiel auch daran, dass Tierärzte sie nicht ausreichend untersuchen. Es gibt aber auch noch eine Reihe anderer Schwierigkeiten. Eine Übersicht, worauf bei Heimtieren zu achten ist.
Von Henrik Hofmann
Die Heimtiermedizin ist noch immer ein „Stiefkind“ in vielen Tierarztpraxen. „Warum machen sie Probleme?“, fragte Kerstin Müller von der Klinik für kleine Haustiere der FU Berlin auf dem 9. Leipziger Tierärztekongress. Das liege zum Beispiel daran, dass sie keine oder nur unspezifische Symptome zeigen; eventuell sei auch die Diagnostik schwieriger, was unter anderem an ihrer Größe liege. Auch seien Analysegeräte nicht für kleinste Blutmengen ausgelegt; Referenzbereiche variierten zum Teil extrem in der Literatur oder seien nicht mehr „up-to-date“. Und: „Im Studium lernt man wenig dazu“. Ausserdem seien manche Erkrankungen nicht diagnostizierbar, Therapien nicht immer erfolgreich beziehungsweise nicht validiert. „Und Besitzer machen aus Kostengründen leider auch nicht immer alles mit!“
„Anamnesebogen für Heimtiere benutzen“
„Gerade bei Heimtieren, die bei Erkrankungen nur selten spezifische Symptome zeigen“, so Heimtierspezialistin Kerstin Müller, „ist die Anamnese von besonderer Bedeutung.“ Bei Kaninchen sei durch die veränderte Infektionslage – Stichwort: „China-Seuche“ RHD2 – die Frage nach Außen- oder Innenhaltung und Impfschutz besonders wichtig.
Berichten die Besitzer, ihr Tier „war vierzehn Tage bei Bekannten“ habe man einen Hinweis darauf, dass das Tier Stress hatte. War das Tier in (anderer) tierärztlicher Betreuung? Viele Fragen könnten auf einem Anamnesebogen auch schon im Wartezimmer abgefragt werden. Dazu gehören Fragen nach Fütterung, Kot- und Harnabsatz, Kotballengröße und -form, Futter- und Wasseraufnahme, Erkrankungen von Partnertieren oder Behandlungen in anderen Tierarztpraxen und deren Erfolg sowie Veränderungen im (Haltungs)Umfeld des Patienten.
Klinische Untersuchung: Vitalparameter ermitteln
Ziel der klinischen Untersuchung ist, alles zu finden, was da ist, „erst dann sollte man auswerten!“ Und man solle nicht voreilig urteilen: „Kopfschiefhaltung muss nicht E. Cuniculi sein“, so Kerstin Müller weiter. Die klinische Allgemeinuntersuchung sollte gründlich und vergleichbar zu Kleintieren erfolgen. Ausser bei Tieren in Größe von Degus erfolgt sie in Seitenlage – auch die Geschlechtsbestimmung. Als wichtige Vitalparameter nannte Müller Körpergewicht, Körpertemperatur, Herz, Atmung, Ernährungszustand, konjunctivale Schleimhäute, Palpation der Lymphknoten und vieles mehr.
Mit dem „schmissigen“ Satz „Heimtiere sind nur auf der Welt, um sie in die Irre zu führen und Probleme zu machen!“, machte Kerstin Müller deutlich, dass Heimtiermedizin viel Sorgfalt erfordert.
„Eine Beurteilung der Schneidezähne sollte bei allen Kleinsäugern vorgenommen werden“, rät Müller. Bei Frettchen, Kaninchen, Meerschweinchen, Chinchillas und Degus sollte man zusätzlich die Backenzähne adspektorisch untersuchen. Bei Kleinnagern und Kaninchen kann dies für einen ersten Überblick ohne Sedation mit Hilfe eines Wangenspreizers und/oder eines Otoskopes mit weitem Ohrtrichter oder eines Spreizspekulums erfolgen. Liegen Hinweise auf Zahnprobleme vor, müsse nach Abklärung der Narkosefähigkeit gegebenenfalls eine gründliche Maulhöhlenuntersuchung in Narkose erfolgen.
Beim Kaninchen nicht selten: Tumore und Abszesse. Sind die Schneidezähne ungleichmäßig abgenutzt, kommen eventuell auch die Backenzähne als Ursache in Frage.
Zur Vorsicht mahnte Kerstin Müller bei Meerschweinchen: „Schneidezähne kürzen, kann wochenlange Zwangsfütterung bedeuten“!
Harn durch Druck auf die Blase gewinnen
Bei Frettchen, Kaninchen und Meerschweinchen ist für Müller eine Harnuntersuchung eine sehr hilfreiche Ergänzung der Allgemeinuntersuchung. Der durch vorsichtigen Druck auf die Blase gewonnene Harn kann Hinweise auf eine Katabolie (saurer pH-Wert bei herbivoren Arten), Erkrankungen des Harnapparates (Frettchen, Kaninchen, Meerschweinchen) beziehungsweise des Fortpflanzungstraktes (Frettchen, Kaninchen) geben. Da ein Harnstick nur begrenzt aussagekräftig ist, sollte zusätzlich immer auch ein Tropfen Harn nativ untersucht werden, rät Müller: „Das spezifische Gewicht muss mit einem Refraktometer ermittelt werden.“
„Erstaunlich wie oft nach der Untersuchung die Tiere umbenannt werden müssen“, meinte Kollegin Müller.
„Bei weiblichen Nagern kann die Öffnung der Vaginalmembran ein Hinweis auf einen bestehenden Östros oder aber eine Metropathie sein.“ Bei der Unterscheidung helfe die zytologische Untersuchung von Vaginalsekret.
Wissen was normal ist!
Hamster haben bilateral dunkle Flankendrüsen; Meerschweinchen sind hinter dem Ohr haarlos; Gerbile dagegen haben nicht selten an der Unterseite operable Adenocarcinome, Meerschweinchen eher Atherome. Zur Unterscheidung solle man punktieren und eine Zytologie anfertigen.
- Palpation: Kaninchen z.B. Gynäkomastie
- Mundhöhle beurteilen: gerade beim Kaninchen nicht selten: Tumore, Abszesse….; Schneidezähne ungleichmäßig abgenutzt, Ursache evtl. backenzähne? Ms: cave Schneidezähne kürzen, kann wochenlange Zwangsfütterung bedeuten
- Harn gewinnen! Er sollte alkalisch sein! Wenn sauer weitere Diagnostik! Vorsichtig Blase ausdrücken – das selbe Vorgehen wie bei Hund und Katze!
Zwangsmassnahmen oft unumgänglich
Interessant waren auch Kerstin Müllers Hinweise zu Zwangsmassnahmen. Bei Heimtieren sind sie in sehr vielen Fällen unumgänglich.
„Ganz wichtig: Wirbelsäule stabilisieren, es kann leicht zu Verletzung und Fraktur kommen“, sagt Müller. „Auch kollabieren sie bei übermäßigem Zwang leicht … Hamster einwickeln und dann Zangengriff; Ratten am besten auf dem Arm der Besitzer untersuchen; Frettchen vom Besitzer übergeben lassen, sie beissen leicht beim Herausnehmen …“
Für den erfahrenen Heimtierpraktiker bot der Vortrag sicherlich wenig spektakuläre Neuigkeiten. Wie groß der Bedarf und das Interesse in diesem Bereich sind, zeigte aber der übervolle Tagungsraum. Insgesamt ein guter Schritt auf dem Weg, endlich Heimtiere als „vollwertige“ Patienten zu betrachten und zu behandeln!