Für Exoten aber auch manche Nutztierarten, fehlen häufig zugelassene Impfstoffe, weil es wirtschaftlich nicht lohnt. Unter bestimmten Voraussetzungen kann ein Tierarzt dann einen für eine andere Tierart zugelassenen Impfstoff umwidmen. Auf welche medizinischen und rechtlichen Fragen er dabei achten muss, beschreibt eine neue Stellungnahme der Ständigen Impfkommission der Veterinärmedizin (StIKo Vet).
(PM/hh) – Besonders häufig fehlen immunologischen Tierarzneimittel – umgangssprachlich Impfstoffe genannt – bei Exoten und Zootieren. Teilweise sind aber auch für wirtschaftlich weniger interessante Nutztierarten, die sogenannten „minor species“, wie zum Beispiel Esel, kleine Wiederkäuer, Neuweltkameliden aber auch Puten keine Impfstoffe zugelassen. Dadurch ist die tiermedizinische Versorgung dieser Tiere häufig ernstlich gefährdet.
Einen medizinischen Ausweg bietet unter Umständen die Umwidmung. Das bedeutet: Ein Tierarzt setzt ein in Deutschland für ein anderes Anwendungsgebiet, eine andere Zieltierart oder andere Applikationsart zugelassenes, immunologischen Tierarzneimittel ein.
Die Stellungnahme der Ständigen Impfkommission der Veterinärmedizin (StIKoVet) zur Umwidmung von immunologischen Tierarzneimitteln finden Sie hier (PDF-Download)
Medizinisch „nicht unproblematisch“
Obwohl sie medizinisch notwendig sein kann, ist die Umwidmung von Impfstoffen nicht unproblematisch. So gibt es in der Regel keine gesicherten Daten zur Wirksamkeit und Unschädlichkeit, weil das im Rahmen der Zulassung für diese Tierarten nicht untersucht wurde.
„Insbesondere attenuierte Lebendimpfstoffe können bei Nicht-Zieltierarten schwere Impfkrankheiten auslösen“, schreibt die StIKo Vet, „weil die Unschädlichkeit eines Lebendimpfstoffes aus der Kombination von Erreger-Attenuierung und der Prädisposition des geimpften Tieres resultiert.“ Diese Kombination sei für jede Tierart spezifisch und lasse sich nicht theoretisch vorhersagen.
Zu tödlichen, beziehungsweise schwerwiegenden Impfzwischenfällen kam es beispielsweise bei der Anwendung von gebräuchlichen Staupe-Lebendimpfstoffen bei Schwarzfußiltissen oder Seehunden. Aber auch Aujeszky- Lebendimpfstoffe, die bei Hunden oder Schafen eingesetzt wurden, hatten schwere Nebenwirkungen. Die Liste möglicher Impfkomplikationen ist lang.
Umgekehrt kann es auch zu einer mangelnden Wirksamkeit kommen, wenn der Impfstamm zu attenuiert beziehungsweise gar nicht in der Lage ist, eine Impfreaktion in der gewählten Tierart zu induzieren.
Der Einsatz von Inaktivatimpfstoffen vermeidet das Problem der nicht einschätzbaren Attenuierung. Aber auch bei adjuvantierten Inaktivatimpfstoffen ist Vorsicht geboten. So kann aufgrund unterschiedlicher Empfindlichkeiten (und aufgrund unterschiedlicher Nutzungs- und Bewertungskriterien) das Sicherheitsprofil eines Impfstoffes zwischen Zieltierart und Nicht-Zieltierart erheblich variieren.
Der Tierarzt haftet!
In der Regel werden praktische Erfahrungen mit umgewidmeten Tierimpfstoffen nicht gemeldet oder kommuniziert. Das liegt nicht zuletzt daran, dass sich der Tierarzt nach wie vor mit einer Umwidmung auf rechtlich unsicherem Terrain bewegt.
Das Tiergesundheitsgesetz (TierGesG) regelt die Anwendung von immunologischen Tierarzneimitteln. In § 11 heißt es, dass „Immunologische Tierarzneimittel (…) nur in den Verkehr gebracht oder angewendet werden (dürfen), wenn sie vom Paul-Ehrlich-Institut (oder entsprechendem europäischen Rechtsakt) zugelassen worden sind…“.
Das bedeutet: Eine Möglichkeit der Umwidmung findet sich im TierGesG nicht. Es findet sich im TierGesG allerdings auch kein explizites Verbot. Die Ständige Impfkommission weist deshalb darauf hin, dass rechtliche Regelungen durch den Gesetzgeber wünschenswert wären.
Trotzdem: Fünf Handlungsempfehlungen der StIKo Vet
Auch wenn aktuell letztlich der Tierarzt haftet, hat die StIKo Vet einige Punkte formuliert, an denen er sich bei einer Impfstoffumwidmung orientieren kann – und die er dokumentieren sollte:
- Die Notwendigkeit der zulassungsüberschreitenden Anwendung muss im Einzelfall geprüft und als unerlässlich festgestellt sein:
Die zu verhindernde Infektionskrankheit muss ein reales Gefährdungspotential für Tier oder/und Mensch aufweisen. Dies umfasst auch ökonomische Risiken, etwa durch krankheitsbedingte Leistungseinbußen. Zudem sollte die aktuelle Gefährdungssituation, zum Beispiel durch entsprechende, gegebenenfalls retrospektiv diagnostizierte Krankheitsfälle oder die Feststellung eines aktuellen Krankheitsgeschehens mittels Erregernachweis dokumentiert sein. Dazu zählen auch Warnhinweise der Veterinärbehörden oder Tiergesundheitsdienste. - Es darf keine sinnvolle Alternative zur Umwidmung zur Verfügung stehen:
● So dürfen weder für das fragliche Anwendungsgebiet bei der betroffenen Tierart andere Impfstoffe zugelassen noch andere, dem Stand der tierärztlichen Kunst entsprechende, umsetzbare Therapiemöglichkeiten im Krankheitsfall gegeben sein.
● Es ist zu prüfen, ob außerhalb der Bundesrepublik Deutschland für das gesuchte Anwendungsgebiet und die Zieltierart ein Tierimpfstoff zugelassen ist, und ob für dessen Anwendung eine Ausnahmegenehmigung gemäß § 11 Absatz 6 TierGesG erwirkt werden kann.
● Bei regelhafter Anwendung eines immunologischen Tierarzneimittels bei einer Nicht-Zieltierart ist auch die Möglichkeit zu prüfen, einen Feldversuch im Sinne des § 11 Absatz 5 Nummer 1 TierGesG zu beantragen. Dieser Antrag kann allerdings nicht vom behandelnden Tierarzt, sondern muss vom Zulassungsinhaber bei der zuständigen Bundesoberbehörde gestellt werden. - Die zulassungsüberschreitende Anwendung muss dem Stand der tierärztlichen Kunst entsprechen:
Fachliteratur oder Empfehlungen von Fachgremien oder -gesellschaften sollten vorliegen, welche die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Anwendung bei der entsprechenden Tierart belegen. Mögliche Warnhinweise des Zulassungsinhabers, zum Beispiel in den Gebrauchsinformationen, sind zu beachten. - Tierhalteraufklärung vorgeschrieben:
Der Tierhalter ist darüber aufzuklären, dass es sich um eine zulassungsüberschreitende Anwendung handelt. Er sollte ein entsprechendes Aufklärungsformular unterschreiben. - Umgang mit unerwünschten Nebenwirkungen:
Sofern wenig Erfahrung mit der Umwidmung eines bestimmten Impfstoffes besteht, empfiehlt es sich, zunächst nur eine kleinere Gruppe von Tieren zu impfen. Mit der Impfung des restlichen Bestandes sollte erst fortgefahren werden, wenn die Unbedenklichkeit der Anwendung nach einer entsprechenden Beobachtungszeit festgestellt wurde. Sollte es trotz aller Vorsichtsmaßnahmen zu unerwünschten Nebenwirkungen kommen, sollte dies im Pharmakovigilanz-Meldesystem des Paul-Ehrlich-Institutes hinterlegt werden. Die Meldungen werden gesammelt, um gegebenenfalls Warnhinweise veröffentlichen zu können.