Biosicherheit – wie gut wird sie eingehalten?

Vorbildliche Hygieneschleuse in einer Sauenanlage: Ausziehen im Vorraum – betreten der Dusche durch eine Tür – einduschen – betriebseigene saubere Wäsche nach Größen sortiert von Unterwäsche bis Overall – stalleigene Stiefel erst hinter der nächsten Tür im Stall. (Foto: WiSITiA/jh)

Tierseuchen wie Geflügelgrippe und Afrikanische Schweinepest bedrohen aktuell deutsche Tierbestände. Wildtiere können sie übertragen, Menschen in Ställe einschleppen. Nur Biosicherheit kann verhindern, dass Krankheitserreger die Nutztiere infizieren – doch sie ist weniger ein technisches, denn ein menschliches Problem: Selbst nach Ausbrüchen mit hunderttausenden toten Tieren kehrt der Schlendrian oft schnell zurück. Warum?

(aw) – „Biosicherheit ist kein kulturelles sondern ein menschliches Problem“, betont    Dr. Jean-Pierre Vaillancourt (University of Montreal/Kanada). Seit 40 Jahren beschäftigt er sich mit dem Themen und sieht bei seinen weltweiten Bestandsbesuchen regelmäßig Verstöße gegen die Prinzipien (Auflistung am Artikelende). Damit Biosicherheit erfolgreich ist, dürfen die Maßnahmen nicht nur kurzfristig eingehalten, sondern müssen kontinuierlich und immer beachtet werden. Wichtiger noch als technische Lösungen ist die Einsicht und das Bestreben von Tierhalter und Angestellten, sich an die betriebsspezifischen Sicherheitsvorkehrung zu halten.

Tierhalter zu oft betriebsblind

Zu häufig fehlt den Betriebsleitern oder Angestellten das Verständnis, wie leicht sie selbst als „betriebsinterne“ die Krankheitserreger in einen Tierbestand einschleppen können, stellt Prof. Vaillancourt fest. Er werde regelmäßig auf Betrieben korrekt angewiesen, Schuhe zu wechseln und Schutzkleidung anzulegen – während der Betriebsführer genau das nicht tut. Gerade, wenn nur kurze Stallbesuche geplant sind oder die Tierbetreuer „nur schnell mal in den Stall müssen“, beachten sie die Sicherheitsmaßnahmen oft nicht.

Biosicherheit möglichst „leicht“ machen

Deshalb sei es extrem wichtig, ein Biosicherheitsystem so nutzerfreundlich wie möglich zu gestalten. In den Wechselzonen muss Waschen und Umziehen einfach und schnell möglich sein. Die Wechselkleidung/betriebseigenen Stiefel sollten auch „ansprechend“ sein, damit sich Externe nicht eklen. Ideal ist persönliche Schutzkleidung für Tierarzt und anderer regelmäßige Besucher.
Während in Deutschland in der Regel nur mit zwei Zonen gearbeitet wird, nämlich schwarz (= schmutzig) und weiß (= sauber), ist auch eine dreiteilige Ampel-Struktur möglich: Dabei steht rot für schmutzig, gelb für eine Übergangszone und grün für sauber (siehe Grafik).

Ampelzonen für Biosicherheit: Vor allem Keime an Schuhe schaffen es so schwerer über die „Bank-Sperren“. (Grafik:

Linien helfen wenig

Die einzelnen Zonen könnten zwar einfach durch Linien auf dem Boden markiert werden. Doch wesentlich sinnvoller sei es, Bänke oder gar Wände als deutliche Zonenteiler zu benutzen, rät Vaillancourt. Die Umkleidebereiche sollten ausreichend groß dimensioniert sein und es sollten stets genug saubere Kleidung und Schuhe zur Verfügung stehen, die von der gelben beziehungsweise schwarzen Zone aus einfach zu erreichen sind – ohne überzutreten.
Die Mitarbeiter nehmen auf dem Boden markierten Linien allerdings kaum ernst. Das zeigte Dr. Manon Racicot vom kanadischen Amt für Lebensmittelsicherheit bei Betriebbesuchen im vom letzten Geflügelpestausbruch besonder gebeutelten Frankreich. Mit staatlichen Beihilfen hatten vier dieser Betriebe solche neue Sicherheitsschleusen vor den Stalleingängen installiert. Aber: In drei der vier Betriebe zogen die Mitarbeiter die sauberen Überschuhe schlicht im schmutzigen Bereich über.

Checklisten helfen – regelmäßige Schulung wichtiger

Checklisten an Türen oder Wänden können helfen, die Maßnahmen effektiver einzuhalten. Aber vor allem, wenn viel Personal angestellt ist oder häufig ausgewechselt wird, müssen regelmäßig Schulungen oder Auffrischungen erfolgen: Jeder muss immer wissen, was wann und warum zu tun ist.
Die Bedeutung solcher Schulungen und etablierten Routinen betont Racitot aufgrund des Linienbeispiels – auch damit sich staatliche oder private Investitionen lohnen: Rund 390 Millionen Euro hat Frankreich für eine Verbesserung der Biosicherheit nach dem letzten Ausbruch bereitgestellt.
Doch „viele können das Wort „Biosicherheit“ nicht mehr hören“, erklärt Nathaniel Tablante vom Maryland-Virginia College of Veterinary Medicine Extension. Er hat Kamera-Aufnahmen von Betrieben in North Carolina ausgewertet: Auch dort gibt es häufig Fehler, weil Biosicherheitsmaßnahmen aus Zeitgründen oder Bequemlichkeit umgangen werden. Auch fänden viele Beteiligte das Thema extrem langweilig und besuchten ungern entsprechende Fortbildungen.

Vorbildliche Hygieneschleuse in einer Sauenanlage: Ausziehen im Vorraum – betreten der Dusche durch eine Tür – einduschen – betriebseigene saubere Wäsche nach Größen sortiert von Unterwäsche bis Overall – stalleigene Stiefel erst hinter der nächsten Tür im Stall. (Foto: WiSITiA/jh)

Nur Einsicht schützt

Weltweit gilt: Nur einsichtige Betriebsleiter und Mitarbeiter, die verstehen, dass alles außerhalb der Stallungen mit Krankheitserregern kontaminiert sein könnte, befolgen auch die Maßnahmen zur Biosicherheit. Unter „alles“ fällt auch tatsächlich alles:

  • Jeder Gegenstand, der sich im Außenbereich und damit zugänglich für Wildtiere oder Vogelkot befindet, muss vor dem Verbringen in den Stall gereinigt werden.
  • Einstreumaterial und Futter müssen überdacht und sicher vor Wildtieren gelagert werden.
  • Fahrzeuge, vor allem die Reifen, können ebenfalls zum Eintrag von Krankheitserregern beitragen.

Biosicherheitstandards setzten

  • Mitarbeiter kontinuierlich sensibilisieren und fortbilden.
  • Protokollierte Abläufe für Besucher und Mitarbeiter beim Betreten/Verlassen des Stalls etablieren (Logbuch): „Be seen, be safe – wer „gesehen“ wird, verhält sich ordentlicher.
  • Gute Ausstattung mit entsprechenden Utensilien bereitstellen: Immer genug Schutzkleidung und Plastiküberzieher, ebenso wie Desinfektions- und Reinigungsmittel leicht zugänglich im Vorrat haben.
  • Je leichter es ist, Vorgaben zu erfüllen, desto eher werden sie auch angenommen.
  • Bei Mitarbeiterauswahl neben fachlichen Qualitäten wie Verantwortungsbewußtsein, die Fähigkeit, komplexere Vorgänge routiniert zu meistern und die Bereitschaft Handlungsanqeisungen einzuhalten, berücksichtigen. Niedrige Lohnkosten allein, können sehr teuer werden.
  • Besucher überwachen und stets alle Stalltüren abgeschlossen halten.
  • Kurze Stall-Besuche vermeiden – die Fehlerquote bei der Biosicherheit steigt, weil der Zeitaufwand dafür in der Relation als unangemessen empfunden wird.
  • In Micro-Zonen – Bereichen mit mehreren ummittelbar benachbarten Tierhaltungen – versuchen, gemeinsam einheitliche Sicherheitsmaßnahmen und -standards zu etablieren, eventuell mit Hilfe eines Mediators.

Quelle: ThePoultrySide

Biosicherheitshinweise des FLI zur Geflügelpest – Übersichtsseite hier – Checkliste hier (PDF-Download)

Nutzgeflügel vor Geflügelpest/Vogelgrippe schützen – Infografik des FLI. (Grafik: © FLI)

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Über den Autor

Annegret Wagner

Dr. Annegret Wagner (aw) hat in Gießen Tiermedizin studiert und arbeitet seit 1991 in der Großtierpraxis; seit 2005 niedergelassen in eigener Praxis mit Schwerpunkt Milchrind im Raum Rosenheim. Seit 2006 arbeitet sie auch als tiermedizinische Fachjournalistin. So hat sie für die VETimpulse die Nutztierthemen betreut und übernimmt diese Aufgabe auch bei wir-sind-tierarzt.de. Um nicht zum Mia-san-mia-Bayer zu mutieren, schaut sie intensiv über den Alpenrand hinaus, vorzugsweise ins englischsprachige Ausland. Kontakt: annegret.wagner(at)wir-sind-tierarzt.de
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