Die Tierärzteverbände haben sich fachlich nicht durchsetzen können. Der Agrarausschuss des Bundesrates hat die Novelle der Tierärztlichen Hausapothekenverordnung durchgewunken. Schon Ende Februar könnten für Klein- und Nutztierpraktiker jetzt Umwidmungsverbote für Antibiotika und Antibiogrammpflichten gelten. Selbst ein Verbot für sogenannte „Reserveantibiotika“ und das Rabattverbot stehen wieder auf der Tagesordnung des Bundesrates Anfang Februar. (aktualisiert 23.1.2018*)
Update 28.2.2018: Die TÄHAV ist ab 1.März 2018 in Kraft – aktuellster Bericht mit der finalen TÄHAV-Fassung
Update: 2.2.2018: Der Bundesrat hat der TÄHAV-Novelle ohne weitere Änderung zugestimmt – ebenso dem Entschließungsantrag: Die Bundesregierung möge ein Rabattverbot für Antibiotika beschließen und eine „Reserveantibotika“-Liste erstellen (nachzulesen hier unter TOP 18).
Einordnung von Jörg Held
Es ist und bleibt Koalitionsverhandlungszeit. Und das fördert die Parteiendisziplin. Vielleicht kann man so erklären, dass „schwarze“ Bundesländer den TÄHAV-Entwurf des „schwarzen“ Landwirtschaftsministers Christian Schmidt mehrheitlich durchwinken oder sich zumindest enthalten – obwohl die Fachebene in einigen Länderministerien erhebliche Bedenken formuliert hat.
*Den Entwurfstext der Verordnung des BMEL finden Sie als PDF hier – die Änderungswünsche der Länder hier
Tierarztforderungen abgelehnt
Der weitgehendeste – und von den tierärztlichen Berufsverbänden massiv geforderte – Antrag, die Novelle der Tierärztlichen Hausapothekenverordnung (TÄHAV) zu vertagen, bis 2019 das neue EU-Tierazneimittelrecht in Kraft tritt, weil ein weiterer nationaler Alleingang wenig zielführend sei, wurde komplett abgelehnt. Nur wenige Länder stimmten dafür*. Dabei hatten im Vorfeld – neben Mecklenburg-Vorpommern, dem Saarland und NRW – auch einige andere „schwarze“ Länder das für eigentlich sinnvoll erachtet.
Auch die für Praktiker bedenkliche Dokumentationspflicht der Wirktage wollten die Länder mehrheitlich nicht streichen: Nur fünf votierten dafür.
Der Streit darüber, wie lange genau einmal gegebene One-Shot/Long-Acting-Antibiotika wirken, zieht sich schon seit mehreren Jahren hin. Weder die Pharmafirmen noch die Zulassungsbehörden wollen sich hier festlegen. Die Tierärzte aber werden jetzt per Verordnung verpflichtet, diese Wirktage zu dokumentieren – obwohl sie in der Praxis keine derartige wissenschaftlich belastbare Festlegung treffen können. Für Branchenexperten ein Unding.
Umfangreiche Dokumentationspflicht bleibt
Insgesamt gab es 20 fachliche Änderungsanträge am TÄHAV-Entwurf des Bundeslandwirtschaftsministers: neun wurden angenommen, sieben abgelehnt, vier zurückgezogen. Die von den Tierärzten kritisierten Punkte – vor allem die Dokumentationsunstimmigkeiten (mehr im Bericht hier) wurden praktisch nicht verändert. Eine einzige Änderung haben die Länder einstimmig beschlossen: Es hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass gerade bei Nutztierbeständen, ein Tierarzt nur ein „geschätztes“ Gewicht dokumentieren und für die Dosierungsberechnung heranziehen kann.
Verbotsanträge ärgern besonders
Für Tierärzte besonders ärgerlich: Das Land Berlin – dort verantwortet der Grüne Senator Dirk Behrendt die Landwirtschaftsthemen – brachte noch einen Entschließungsantrag ein. Dessen Forderungen könnten zum Teil aus alten Tagen der Grünen Agrarminister in Niedersachsen und NRW stammen. Aber dennoch fand er eine deutliche Mehrheit*. Der Wortlaut:
- 1. Der Bundesrat begrüßt die Vorlage der Bundesregierung zur Änderung der Verordnung über tierärztliche Hausapotheken als einen Schritt zur Eindämmung der zunehmenden Resistenz bakterieller Erreger in der Human- und Veterinärmedizin.
- 2. Der Bundesrat stellt fest, dass die Arzneimittelpreisverordnung durch die Möglichkeit der Rabattierung die Abnahme großer Mengen von Antibiotika begünstigt. Die Bundesregierung wird deshalb gebeten, wirtschaftliche Anreize beim Verkauf großer Mengen an Antibiotika an Betriebe mit Nutztierhaltung durch ein Verbot der Rabattierung zu beseitigen. Der Bundesrat sieht ein solches Verbot durch die Einführung von Festpreisen mit der Ermächtigungsnorm des § 78 des Arzneimittelgesetzes im Einklang.
Zu diesem Punkt hatte die Bundesregierung – auf Länderanforderung – extra das sogenannte „Rabattgutachten“ in Auftrag gegeben (Kurzfassung des Gutachtens hier und Langfassung hier). Das trifft die ziemlich eindeutige Aussage: Es gibt keinen Einfluß von Rabatten auf die Menge der verordneten Antibiotika (siehe Ausschnitt). Warum auch einige „schwarze“ Länder erneut auf diesen Zug aufspringen oder sich enthalten, ist schwer verständlich.
- 3. Der Bundesrat sieht die Notwendigkeit, die antibiotischen Wirkstoffe aufzulisten, die ausschließlich der Behandlung des Menschen vorbehalten sein sollen. Er bittet hierzu die Bundesregierung, eine auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhende Liste von sogenannten kritischen wichtigen Wirkstoffen und Wirkstoffgruppen für bestimmte Indikationen in der Humanmedizin (Reserveantibiotika) zu erstellen. Für diese Wirkstoffe und Wirkstoffgruppen müssen Einschränkungen bis hin zum Verbot vorgesehen werden.
Auch diese „Reserveantibiotika“-Forderung ist eine alte. Dass sie erneut erhoben wird, belegt eigentlich sogar, dass der aktuelle TÄHAV-Entwurf tatsächlich bereits überholt ist, denn genau in der Frage der kritischen Wirkstoffe* sollte er etwas Klarheit bringen.
Aber nur eines der darin genannten Antibiotika steht auf der aktuell von der Weltgesundheitsorganisation WHO vorgelegten Liste der „Reserveantibiotika“ (sogenannter Last-Ressort-Wirkstoffe der Humanmedizin – mehr zur „Klassifizierung“ antibiotischer Wirkstoffe und dem Unterschied zwischen „Reserve“ und „critically important“ hier). Ein nationaler Alleingang bei der Definition von „Reserveantibiotika“ mit Verbotszielen macht jedenfalls wenig Sinn.
- 4. Der Bundesrat betont, dass eine nachhaltige Verbesserung der Tiergesundheit, insbesondere durch Optimierung des Hygienestandards, der Haltungsbedingungen sowie des Bestandsmanagements, maßgeblich zur deutlichen Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes beiträgt.
Dieser letzte Punkt wiederum ist eine originäre Tierarztforderung. Hier anzusetzen wäre für den Gesetzgeber deutlich erfolgversprechender, als in einer Hausapothekenverordnung komplexe Vorgaben für einzelne Medikamente zu machen. Die Verknüpfung mit den anderen Punkten führt aber dazu, dass die Tierärzte den Entschließungsantrag als Ganzes ablehnen.
Wie geht es weiter?
Im vorbereitenden Ausschuss des Bundesrates* hat jedes der 16 Länder unabhängig von der Größe eine Stimme. Es braucht also mindestens 9-Ja-Stimmen für eine Mehrheit. Ein Patt (8 : 8) gilt als abgelehnt.
Im Bundesrat dagegen werden die Länderstimmen nach „Größe“ gewichtet (siehe Grafik unten): Bayern, Niedersachsen, NRW und Baden-Württemberg haben sechs Stimmen, die kleinen Länder nur drei. Theoretisch könnten sich hier andere Mehrheitsverhältnisse ergeben.
*Der Bundesverband praktizierender Tierärzte (bpt) hat deshalb bereits Gespräche mit acht Länderministern geführt, ein Termin mit BMEL-Staatsekretär Aikens steht. Der bpt will auch die Regierungschefs der Länder noch einmal schriftlich auf die fachlichen Mängel der Ausschussentscheidung hinweisen.
Es bleibt eine kleine Chance, dass der Bundesrat die Entscheidung über die TÄHAV-Verordnung doch noch als Ganzes vertagt: Mecklenburg-Vorpommern will seinen – im Ausschuss abgelehnten – Antrag auf Vertagung im Plenum noch einmal stellen. Es wird sich zeigen, ob und welche Länder dann zustimmen.* Dass der Bundesrat die Beschlüsse aus dem Ausschuss zu einzelnen TÄHAV-Paragraphen noch mal aufschnürt, scheint aber eher unwahrscheinlich.
Stimmt der Bundesrat am 2. Februar dem Entwurf der TÄHAV-Novelle mit Änderungsvorschlägen zu, kann Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt diese übernehmen und die Verordnung in Kraft setzen. Bereits Ende Februar könnten die Inhalte dann geltendes Recht sein.