Kürzere Ruhezeiten, mehr Bereitschaftsdienste pro Monat und flexiblere Regeln für kleine Praxen – in der Schweiz reagiert die Politik auf die Sorgen der Tierarztpraxen. Beantragt hatte dies auch die Gesellschaft Schweizer Tierärzte, weil ohne flexiblere Arbeitszeiten die Notfallversorgung gefährdet sei. Die Politik hat das anerkannt und nur für Tierärzte Ausnahmen genehmigt.
von Jörg Held
Als „Pikettdienst“ wird in der Schweiz der Bereitschaftsdienst bezeichnet, der sowohl Präsenz- als auch Rufbereitschaft umfassen kann. Bisher mussten innerhalb eines Zeitraums von vier Wochen zwei Wochen komplett pikettdienstfrei bleiben. Das und die elf Stunden verpflichtende Ruhezeit zwischen einem Arbeitseinsatz erschwere zunehmend die Notdienstversorgung insbesondere von Nutztieren. Gerade kleinere Praxen gerieten bei der Organisation der Sonntags- und Nachtarbeit regelmässig in Konflikt mit dem Arbeits(zeit)recht, so wurde 2016 ein Antrag an den Schweizer Bundesrat begründet. Ab Januar 2018 gilt deshalb nur für Tierärzte eine gelockertes Arbeitszeitregelung.
Strukturwandel bei Tierarztpraxen
Auch die Gesellschaft Schweizer Tierärzte (GST) hat sich für eine Änderung der Arbeitszeitbestimmungen eingesetzt. Sie begründet dies vor allem mit dem Strukturwandel: Die Zahl der Einzelpraxen habe abgenommen; junge Tierärzte arbeiteten vermehrt als Angestellte. Sie seien – anders als selbständige Praxisinhaber – dem Schweizer Arbeitsgesetz unterstellt, was die Notdienstversorgung erschwere. Arbeitgeber und Arbeitnehmer bräuchten eine flexiblere Regelung der Dienste, um besser planen zu können.
Zahlen und Fakten zum Strukturwandel der Schweizer Tierärzteschaft finden Sie hier: „Teilzeitlücke und Nachwuchssorgen“
Arbeitszeitausnahmen nur für Tierärzte
Mit den Sozialpartnern und den Kantonen hat man in einer Anhörung nach einer Lösung des Problems gesucht (Dokumentation hier). Heraus kam eine speziell „für Tierarztpraxen und Tierkliniken“ maßgeschneiderte und auch nur für diese gültige neue Formulierung in der Schweizer „Verordnung 2“ zum Arbeitsgesetz (ArGV 2).
Ab 15. Januar 2018 gelten in der Schweiz die neuen Arbeitszeitregeln für den tierärztlichen Bereitschaftsdienst (Pikettdienst).
- Bisher (alt) schrieben die allgemeinen Regeln zum Pikettdienst vor, dass innerhalb eines Zeitraums von vier Wochen eine pikettdienstfreie Zeit von zwei Wochen gewährt werden muss.
- Die neuen Sonderbestimmungen befreien die Tierarztpraxen und Tierkliniken von dieser Regel. Praxen dürfen Angestellte künftig immer am gleichen Wochentag zum Pikettdienst einteilen. Zudem darf die Ruhezeit nach erfolgtem Pikettdienst auf neun Stunden verkürzt werden, falls sie im Durchschnitt von zwei Wochen zwölf Stunden beträgt.
Zusätzliche Flexibilisierung für kleine Praxen
Für kleine Tierarztpraxen mit nicht mehr als vier angestellten Tierärzten (Inhaber zählen nicht mit), die in Randregionen liegen oder fachlich spezialisiert sind, sieht die neue Regelung weitergehende Flexibilisierungen vor. Politik und Sozialpartner erkennen damit an, dass es in diesen Praxen oft an den notwendigen personellen Ressourcen für den Pikettdienst fehlt. Hier darf …
- … die Anzahl Pikettdienste pro angestellten Tierarzt auf zehn pro vier Wochen erhöht werden,
- wenn im jährlichen Durchschnitt nicht mehr als sieben Pikettdienste mit Einsatz(!) – eine Rufbereitschaft ohne Einsatz zählt nicht – pro Monat geleistet werden. Mit dieser Einschränkung bleibe der Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmenden gewährleistet.
Begründet wird die Ausnahme von den Schutzvorschriften des Arbeitszeitgesetzes auch mit dem Tierschutz. So erkenne die Schweizer Rechtsordnung Tieren vermehrt Rechte zu. Auch die gesellschaftliche Wahrnehmung der Tierhaltung habe sich verändert und verlange, in bestmöglicher Weise auf ihre Bedürfnisse einzugehen und für ihr Wohlergehen zu sorgen. Das beinhalte auch die Forderung nach umfassender medizinischer Versorgung der Tiere.
Dem sollen die Ausnahmeregeln Rechnung tragen.
wir-sind-tierarzt.de meint:
Beachtlicher Erfolg – interessante Begründung
(jh) – Dass der Gesetzgeber so unmittelbar (Antragstellung 2016 / Umsetzung Januar 2018) auf die Bedürfnisse einer so kleinen Branche wie der Tierärzteschaft eingeht, ist ungewöhnlich. Es zeigt aber auch, dass die Folgen des Strukturwandels bei den Schweizer Tierärzten wohl insbesondere in den ländlichen Regionen deutlich zu spüren sind.
Interessant ist auch die „Legitimation“ mit dem Tierschutz. Es wäre spannend zu prüfen, ob ein solcher Antrag auch in Deutschland Erfolg hätte?
Allerdings sind die Arbeitszeitgesetze in den beiden Ländern nicht „gleich“. Die Schweizer Variante ist noch etwas restriktiver als die deutsche. Die zwei Wochen Dienstfreiheit etwa kennt das hiesige Arbeitszeitgesetz nicht.
Aber: Auch in Deutschland gerät die Notdienstversorgung immer mehr an ihre Grenzen. Eine Tierklinik (nachzulesen in diesem Artikel) hat deshalb bereits eine Ausnahmegenehmigung erreicht – das ist aber eine Einzelfallentscheidung.
(Mehr zu den geltenden Regeln des deutschen Arbeitszeitgesetzes und wie sie in Tierarztpraxen umzusetzen sind, lesen Sie hier: „Wie lange darf ein Angestellter Tierarzt arbeiten?“)