Tierärzte müssten junge Fohlen unbehandelt und notfalls sogar sterben lassen – zumindest wenn es streng nach dem Gesetz ginge. Da die Fohlen noch nicht gekennzeichnet sind, dürfen Tierärzte eine Reihe von Medikamenten nicht einsetzen, ohne sich strafbar zu machen. Eine Bund-Länderabsprache schafft Rechtssicherheit. Die neue Eingabemaske in der HIT-Equidendatenbank für diese Fälle ist ab 19. Dezember 2017 online.
(jh/GPM) – Für Pferde muss im Equidenpasses unwiderruflich festgelegt sein, ob sie als lebensmittellieferndes Tier gelten oder nicht. Da Fohlen in der Regel noch nicht gekennzeichnet sind, wären sie einerseits grundsätzlich zur Schlachtung vorgesehen. Andererseits dürfte der Tierarzt sie weder mit Wirkstoffen aus der Positivliste, noch mit Wirkstoffen für Nicht-Schlacht-Equiden behandeln. In der Konsequenz gab es – durch diese Regelungslücke in der EU-Rechtsverordnungen zum Equidenpass (EU 2015/262) – bislang für die Behandlung von Fohlen ohne Pass keine belastbare rechtliche Grundlage.
Der Streit zwischen Behörden, wie hier zu verfahren sei, gipfelte 2016 in der offiziellen Aussage: Einzige Alternative sei eine Euthanasie des Fohlens statt Behandlung.
Aus Tierschutzgründen ist das ein unhaltbarer Zustand. Darauf haben 2016 der Bundesverband der praktizierenden Tierärzte (bpt) und die Gesellschaft für Pferdemedizin (GPM) hingewiesen. In Gesprächen mit dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) und der Länderseite haben sie den jetzt startenden Lösungsweg vorbereitet (wir-sind-tierarzt berichtete hier).
Notfall-Chip für Fohlen
Nordrhein-Westfalen und Bayern wurden beauftragt, eine neue Erfassungsmaske für Fohlen in der HIT-Equidendatenbank zu entwickeln. So können Tierärzte kritische Behandlungen (Medikamentenliste am Ende des Artikels) dokumentieren und Notfallkennzeichnungen melden. Dieser Bereich der HIT-Equidendatenbank ist ab 19. Dezember 2017 aktiv geschaltet.
Halten sie die Schritte des nachfolgend beschriebenen Verfahrens ein, können Tierärzte Fohlen so adäquat behandeln, ohne gegen geltendes Recht zu verstoßen:
- Der Tierarzt klärt den Besitzer über die mit dem Equidenpass verbundenen Konsequenzen auf (Positivliste, Nicht-Schlacht-Status) und holt die Einwilligung ein
- Das Fohlen bekommt einen Chip (bzw. Notfall-Chip) durch den Tierarzt (Besonderheiten für jeden Fall siehe nächste Absätze)
- Der Tierarzt registriert das Tier in der neuen HIT-Equiden-Datenbank, meldet den Lebensmittelstatus und die Arzneimittelanwendung (Datenbankmaske siehe Abbildung unten).
- Bei der Pass-Ausstellung (Zucht-Verband) muss die HIT-Equiden-Datenbank eingesehen werden
- Der dort eingetragene Status wird dann direkt für den Pass-Druck verwendet (Positivliste: 6 Monate, Nicht-Schlacht-Status)
- Der Pass geht an den Tierarzt zur Unterschrift
- Der Pass geht an den Besitzer/Halter
Für den Zugang zur Datenbank benötigt der Pferdetierarzt – sofern nicht bereits vorhanden – eine Betriebsnummer und eine PIN. Beides beides erhält er von der in seinem Bundesland zuständigen Stelle (Übersicht hier).
A) Transponder für Fohlen bereits zugeteilt
Es gibt – je nach Bundesland – Tierhalter/Züchter, die bereits Transponder für Fohlen als „Jahresbedarf“ vorab erhalten haben. In der HI-Tier liegen die Daten mit Betriebsregistriernummer dann bereits vor. Falls das Fohlen noch nicht mit dem Transponder gekennzeichnet ist, wird dieser zur Behandlung mitgebracht und vom behandelnden Tierarzt eingesetzt. Der meldet dann nur die Arzneimittelanwendung.
Liegt die Meldung zur Transponderzuteilung in der Datenbank noch nicht vor, erscheint eine entsprechende Fehlermeldung. Dann muss die Transponder-zuteilende Stelle des Bundeslandes die Meldung nachholen, damit die Arzneimittelverwendung der Transpondernummer zugeordnet werden kann.
B) Kein Transponder für Fohlen vorhanden
Es gibt Bundesländer, die Transponder nur für bereits geborene Fohlen zuteilen. Hier erhält der Tierarzt von der Transponder-ausgebende Stelle einen Vorrat an „Notfall-Transpondern“. Er kennzeichnet dann im Rahmen der Behandlung das Fohlen mit einem Transponder aus dem „Notfallset“, die er nur für diesen Zweck verwenden darf. Eine Behandlung kann auch mehrere Tage umfassen.
In diesem Fall trägt der Tierarzt die Zuteilung des Transponders an den Halter des Fohlens zusammen mit der Meldung der Arzneimittelanwendung in die Equidendatenbank ein („Kombi-Meldemaske“, siehe Abbildung unten).
Die Zuteilungsmeldung (durch Häkchen setzten bei „Automatische Transponder-Zuteilung“) verknüpft den Transponder mit dem Halter des Fohlens. Fehlt sie, kann die Pass-ausgebende Stelle keine Passdaten in HIT melden und damit den Equidenpass nicht ausgeben.
Um welche Wirkstoffe geht es (Positivliste)
Eine Vielzahl der von der Regelungslücke in der EU-Verordung betroffenen Fohlen ist neonatal oder erst wenige Tage alt. Bei bestimmten Krankheitsbildern (z.B. Blasenruptur, Mekoniumverhalten, Entropium) muss der Tierarzt noch sehr junge Fohlen für eine Operation in Narkose legen oder sedieren. Da bei Fohlen unter 2 Wochen keine α2-Agonisten, wie zum Beispiel Xylazin, Romifidin oder Detomidin, zum Einsatz kommen sollten, verwendet er dafür Benzodiazepine wie Diazepam oder Midazolam. Beide Substanzen sind in der „Positivliste“ aufgeführt.
Zahlreiche weitere Substanzen der Positivliste sind ausdrücklich für die Behandlung von Fohlen aufgeführt:
- Propofol: Narkoseeinleitung beim Fohlen; kommt es während einer Narkose zu einem Blutdruckabfall, wird Dopamin eingesetzt.
- Noradrenalin wird in Form einer Infusion bei Herz-Kreislauf-Versagen des Fohlens eingesetzt.
- Sevofluran kann bei der Maskeneinleitung der Narkose bei Fohlen verwendet werden.
- Zur Erleichterung des Setzens eines intravenösen Katheters, besonders bei Fohlen, kann Prilocain verwendet werden.
- Phenytoin und Primidon werden in der Krampfbehandlung bei Fohlen verwendet.
- Betanechol wird zum Zweck der Behandlung von gastroduodenalen Verengungen bei Fohlen eingesetzt.
- Azithromyzin in Kombination mit Rifampicin ist die Standardbehandlung zur Bekämpfung von Infektionen mit Rhodococcus equi, weil es von Fohlen besser vertragen wird als Erythromycin.
- Amikacin: Behandlung der septischen Arthritis. Wird von Fohlen besser vertragen als Gentamicin oder andere Aminoglykoside.
- Ambroxol zur Stimulierung der Surfactantbildung bei früh geborenen Fohlen.
- Allopurinol zur Behandlung von Schäden durch Ischämie-Reperfusion bei neugeborenen Fohlen.
- Vasopressin zur Behandlung eines Kreislaufkollapses beim Fohlen und adulten Equiden.
- Codein und Loperamid zur effektiven Behandlung von nichtinfektiösem Durchfall, insbesondere beim Fohlen.
- Ranitidin und Sucralfat für die Prophylaxe von Magengeschwüren beim neugeborenen Fohlen.