Angestellte Tierärzte klagen, dass sie zu viel arbeiten: 50, 60 Stunden pro Woche und mehr; Praxis- und Klinikinhaber, dass sie mit den bestehenden Gesetzen kaum noch einen Notdienst gewährleisten können. Die Schweizer ändern deshalb sogar ihr Arbeitszeitgesetz speziell für Tierarztpraxen. Was aber gilt in Deutschland? Was erlaubt das Arbeitszeitgesetz und was nicht? Eine Übersicht.
Hinweis: Dies ist eine informative journalistische Übersicht der geltenden Arbeitszeitregeln für angestellte Tierärzte und keine verbindliche Rechts/Vertragsberatung.
von Jörg Held
Flexiblere Arbeitszeiten – das war Thema bei den Jamaika-Verhandlungen und ist auch eine Forderung der Wirtschaftsweisen. Allerdings zielt die in Deutschland angedachte Verlängerung der Tagesarbeitszeit – bei gleichbleibender Wochenarbeitszeit – eher auf die digitale Arbeitswelt.
Tierarztpraxen/kliniken kämpfen dagegen mit der Anrechnung von Nacht-, Not- und Bereitschaftsdiensten. Ihnen würde eher die – in der Humanmedizin mögliche – Verkürzung der verpflichtenden Ruhezeiten zwischen Dienst und nächstem Arbeitseinsatz helfen: Statt jetzt elf sind künftig neun Stunden im Gespräch. In der Schweiz wurden genau diese neun Stunden per gesetzlicher Ausnahme für angestellte Tierärzte eingeführt (Bericht hier).
Nicht ohne Arbeitsvertrag
Doch bis es auch hierzulande soweit ist, gilt uneingeschränkt das aktuelle Arbeitszeitgesetz. Dessen Umsetzung sorgt in Tierarztpraxen immer wieder für Konflikte – auch weil es anders als in der Humanmedizin keine tarifvertraglichen Ausnahmeregeln gibt.
Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz haben Folgen: „Tierklinik muss 15.000 Euro Bußgeld zahlen (Bericht hier)
Zwei wichtige Punkte deshalb vorab:
Zu einem ordentlichen Arbeitsverhältnis gehört heutzutage ein schriftlicher Arbeitsvertrag. Der gibt – auch wenn er nicht zwingend vorgeschrieben ist – Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichermaßen Sicherheit. Dazu sollte er genaue Angaben zu Arbeitszeiten, Diensten, Mehrarbeit und der entsprechenden Vergütung enthalten.
Musterarbeitsvertrag des Bundesverbandes praktizierender Tierärzte (PDF-Download)
Außerdem sollten Angestellter und Arbeitgeber klären, wie sie die geleistete Arbeitszeit, insbesondere mögliche Überstunden und Dienste dokumentieren. Letzteres ist nämlich gesetzlich vorgeschrieben.
60 Stunden maximal
Das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) stellt folgende Grundsätze für die Festlegung und Gestaltung von Arbeitszeiten auf:
- Die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer darf 8 Stunden nicht überschreiten. Das bedeutet bei einer Sechs-Tage-Woche (Samstag ist ein Werktag): 48 Stunden pro Woche.
- Die Arbeitszeit kann (unter Bedingungen/nächste Punkte) auf bis zu 10 Stunden am Tag verlängert werden. Aus dieser Begrenzung und der Ruhezeitenregelung (siehe unten) ergibt sich: Ein Arbeitnehmer darf im Höchstfall 60 Stunden pro Woche arbeiten.
- An einzelnen Tagen darf der Arbeitgeber „für außergewöhnliche Fälle“ (§14 Arbeitszeitgesetz) auch eine Arbeitszeit von mehr als 10 Stunden anordnen.
- Die Verlängerung auf zehn oder mehr Stunden ist nur möglich, wenn innerhalb von 6 Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen (durch Freizeitausgleich) eine Durchschnittsarbeitszeit von 8 Stunden pro Werktag nicht überschritten wird (§ 3 Arbeitszeitgesetz).
- Arbeitnehmern ist nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit (in diesem Sinne: auch nach Beendigung eines Bereitschaftsdienstes) eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens 11 Stunden zu gewähren.
Regeln für die „Sonntagsarbeit“
Eine Beschäftigung an Sonn- und Feiertagen in der Woche ist nur in Ausnahmen zulässig. Das Gesetz nennt eine solche Ausnahme aber ausdrücklich für „Einrichtungen zur Behandlung und Pflege von Tieren“. In Tierarztpraxen/-kliniken ist Sonn- und Feiertagsarbeit also erlaubt. Dabei müssen aber für jeden Angestellten mindestens 15 Sonntage im Jahr beschäftigungsfrei bleiben.
Arbeitnehmer, die an einem Sonntag oder Wochen-Feiertag im Einsatz sind, haben – unabhängig davon, wie viel Zeit sie an diesem Tag arbeiten – Anspruch auf einen vollen Ersatzruhetag. Der Ersatzruhetag ist für Sonntagsarbeit innerhalb von 2 Wochen und bei einer Beschäftigung an einem Wochen-Feiertag innerhalb von 8 Wochen zu gewähren.
Arbeitgeber muss Mehrarbeitszeiten dokumentieren
Der Arbeitgeber ist nach § 16 des Arbeitszeitgesetzes verpflichtet, die über die vertraglich vereinbarte werktägliche(!) Arbeitszeit hinausgehende Arbeitszeit aufzuzeichnen. Das gilt also für die Arbeit an Sonn- und Feiertagen einschließlich der Bereitschaftsdienstzeiten und Überstunden eines Arbeitnehmers. Ein Dienstplan reicht nicht als Aufzeichnung. Es geht darum, die tatsächlich geleistete Arbeitszeit nachvollziehen zu können. Die Pflicht zur Aufzeichnung kann der Arbeitgeber auf den Arbeitnehmer übertragen (Stundenbuch o.ä.). Diese Nachweise muss der Arbeitgeber mindestens zwei Jahre aufbewahren.
Als Überstunden gelten die auf Anordnung des Arbeitgebers geleisteten Arbeitsstunden, „die über die im Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit für die Woche dienstplanmäßig beziehungsweise betriebsüblich festgesetzten Arbeitsstunden hinausgehen“ – und die nicht bis zum Ende der folgenden Kalenderwoche ausgeglichen werden.
Eine Broschüre zum Arbeitszeitgesetz/zur Arbeitszeiterfassung in der Tierarztpraxis hat der bpt erstellt (PDF-Download)
Keine Überstunden für Teilzeitbeschäftigte?
Teilzeitbeschäftigte können zunächst grundsätzlich nicht zu Überstunden herangezogen werden. Das ist in der Natur eines Teilzeit-Arbeitsverhältnisses begründet, dass ja explizit eine begrenzte Stundenzahl definiert. Ausnahmen gibt es nur, wenn etwa Notfälle über die vereinbarte Arbeitszeit hinaus versorgt werden müssen.
Wenn also eine Teilzeitkraft Überstunden und „Dienste“ ohne genau definierte Arbeitszeiten leisten soll, ist es unerlässlich, (im Arbeitsvertrag) festzulegen, in welchem zeitlichen Umfang dies in einem bestimmten Bezugszeitraum (Woche, Monat u. ä.) erfolgen und ausgeglichen werden soll.
(Bezahlung von Überstunden – siehe letzter Absatz)
Unterschied von Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft
Für Konflikte in Tierarztpraxen sorgen immer wieder die Notdienste – konkret die Abgrenzung zwischen Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft und deren Auswirkung auf die zulässige Arbeitszeit. Beides ist aber rechtlich eindeutig definiert:
Ein Bereitschaftsdienst liegt vor, wenn sich ein Angestellter zu Praxiszwecken in der Praxis oder Klinik aufhalten muss. Als Bereitschaftsdienst gilt auch, wenn der Angestellte sich an einer vom Praxisinhaber bestimmten Stelle außerhalb der Praxis aufhalten muss, damit er im Bedarfsfall seine Arbeitstätigkeit sofort aufnehmen kann. Üblicherweise (so regelt es etwa der Tarifvertrag für Humanmediziner) soll ein Arbeitgeber Bereitschaftsdienste nur anordnen, wenn zu erwarten ist, dass zwar Arbeit anfällt, erfahrungsgemäß aber die Zeit ohne Arbeitsleistung überwiegt. Ansonsten ist normale Arbeitszeit anzusetzen, etwa als Nacht/Schichtdienst.
Diese Bereitschaft an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort gilt immer als Arbeitszeit und wird als solche voll auf die mögliche wöchentliche Höchstarbeitszeit angerechnet.
Bei der Rufbereitschaft ist der angestellte Tierarzt dagegen in der Wahl des Aufenthaltsortes frei. Er muss ihn nur dem Praxisinhaber (im Vorhinein) anzeigen, damit er im Bedarfsfall über Handy/Piepser/o. ä. zur Arbeit abgerufen werden kann. Hier gilt: Der Arbeitgeber soll Rufbereitschaft nur anordnen, wenn erfahrungsgemäß lediglich in Ausnahmefällen Arbeit anfällt.
Im Arbeitszeitrecht gilt Rufbereitschaft als „Freizeit“. Als Arbeitszeit zählt nur die Zeit, in der der Angestellte tatsächlich zur Arbeit abgerufen wird. Die muss dann auch auf die Wochenarbeitszeit angerechnet werden.
Das „Bereitschaftsdienst-Thema“ ist insbesondere für tierärztliche Kliniken wichtig, wenn die Klinik-Richtlinien der jeweiligen Kammer ausdrücklich eine ständige Präsenzpflicht vorsehen, also eine kurzfristige Erreichbarkeit nicht als ausreichend gelten lassen.
Bezahlung von Diensten
Zwar ist man sich in der einschlägigen arbeitsrechtlichen Literatur einig, dass beide Dienste – Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft – dem Grunde nach zusätzlich zu vergüten sind. Wie hoch, das ist aber weder in Gesetzen oder Verordnungen, noch als rechtliche Empfehlung in einschlägigen Veröffentlichungen zu finden, heißt es in den Anmerkungen zum bpt-Musterarbeitsvertrag. Andere Branchen regeln das in einen Tarifvertrag.
Es gibt zwei Rechtsgrundsätze:
- Ein Bereitschaftsdienst muss nicht in der gleichen Höhe vergütet werden wie die Arbeit im Rahmen der üblichen Arbeitszeit.
- Allerdings darf die Vergütung der angeordneten Bereitschaftszeiten nicht unter dem gesetzlichen Mindestlohn erfolgen.
Daraus ergibt sich rechnerisch zumindest eine „Untergrenze“, nämlich der Verstoß gegen das Mindestlohngesetz: Wenn man die im Arbeitsvertrag vereinbarte Vergütungssumme durch die addierten Stunden der „normalen“ Arbeitszeit und der Bereitschaftsdienstzeiten teilt, darf die Stundenvergütung insgesamt nicht unter 8,84 € (Mindestlohn Stand 1.1.2017) fallen.
Im Manteltarifvertrag für Tiermedizinische Fachangestellte (§ 7) wird die Bereitschaftsdienstvergütung wie folgt berechnet: Die Bereitschaftsdienstzeit ist zu 50 Prozent zu bezahlen und zwar gegebenenfalls mit Aufschlägen (Nachtdienst/Feiertage – siehe letzter Absatz unten). Die Humanmedizin hat eine nach Arbeitsanfall komplex gestaffelte Vergütung im Tarifvertrag vereinbart (§ 12 Bereitschaftsdienstentgelt).
Bei Rufbereitschaft gibt es für die Höhe der Vergütung keine Vorgabe. Sie muss aber in irgendeiner Form erfolgen, da der Arbeitnehmer ansonsten gegenüber der „normalen“ Freizeit schlechter gestellt wäre. Der bpt verweist zur Orientierung auf eine Regelung in einem früheren Manteltarifvertrag für Tierarzthelferinnen: Dort wurde die Zeit der Rufbereitschaft (ohne Arbeitseinsatz) zu 20 Prozent als Arbeitszeit bewertet und zusätzlich zum Grundgehalt vergütet. Wird ein Tierarzt aus der Rufbereitschaft zur Arbeit gerufen, ist diese Zeit dann allerdings wie normale Arbeitszeit (ggf. mit Zuschlägen) zu bezahlen.
Bei der Bezahlung von Bereitschaftsdiensten und Rufbereitschaft können Praxisinhaber und Angestellte also im Rahmen ihrer Vertragsfreiheit verschiedenste Kombinationen von Freizeitausgleich und zusätzlicher (Pauschal-) Vergütung vereinbaren.
Was die Anrechnung auf die Arbeitszeit betrifft, müssen sich beide Seiten aber uneingeschränkt an das Arbeitszeitgesetz halten. Hier kann nichts abweichendes (etwa Auszahlen der Stunden statt des verpflichtenden Freizeitausgleiches im Halbjahreszeitraum) vereinbart werden.
Wie muss man Überstunden bezahlen?
Mangels Tarifvertrag gibt es für angestellte Tierärzte hier keine Regelung. Unbezahlt dürfen Überstunden aber nur ganz selten bleiben.
Überschreitet man die 48-Stunden-Wochenarbeitszeit müssen sie nach Arbeitszeitgesetz – unabhängig von einer Bezahlung – auf jeden Fall im nächsten halben Jahr durch Freizeit ausgeglichen werden.
Als Orientierung für eine Vergütung können die Sätze im Gehaltstarifvertrag für Tiermedizinische Fachangestellte (TFA) oder aus dem Tarifvertrag für Humanmediziner (Prozentzahlen in Klammern – Grundgehälter deutlich höher als in der Tiermedizin) dienen. Dort sind folgende Zuschläge festgehalten:
- 25% (15%) für Überstunden
- 50% für Sonn- (25%) und Feiertagsarbeit (35%)
- 100% für Arbeiten am Neujahrstag, dem 1. Mai sowie an den Oster-, Pfingst-und Weihnachtsfeiertagen (35%)
- 50% (15%) für Nachtarbeit (für TFAs definiert als „zwischen 20 und 7 Uhr“)
wir-sind-tierarzt meint:
Gesetze einhalten – Vorbilder anderer Bereiche nutzen
(jh) – Jeder Praxisinhaber sollte das Arbeitszeitgesetz kennen – und anwenden! Sonst wird es teuer. Ausreden gelten nicht. Die Behörden – und auch die Angestellten – achten zunehmend darauf.
Für die intelligente Gestaltung von Dienstplänen gibt es Berater, für (Arbeits)Verträge gibt es Vorlagen und Juristen. Da Tierärzte mangels Tarifvertrag selbst Modelle für die Gestaltung und Bezahlung von Diensten entwickeln müssen, sollten sie einen Blick in die Tarifverträge der Humanmedizin und der TFA werfen. Die grundsätzlichen (Vergütungs)Strukturen dürften auch für Tierärzte passen.
Auch Mindestgehälter (als Untergrenze!!) haben die Berufsverbände für angestellte Tierärzte inzwischen beziffert.
Es gibt also mehr als genug Informationsquellen für eine faire Gestaltung der Arbeitsverhältnisse. Man muss sie nur nutzen (wollen).