Inzwischen streifen 60 Wolfsrudel sowie 13 Wolfpaare und drei Einzeltiere durch Deutschland. Sie sollen im Jahr 2016 rund 1.100 Nutztiere getötet haben. Das Bundesamt für Naturschutz plädiert deshalb für verstärkten Herdenschutz. Die Tierärztekammer Baden-Württemberg hält die in diesem Zusammenhang auch genannten „Herdenschutzhunde“ aber für eine „risikoreiche Scheinlösung“.
von Jörg Held
Die Wolfspopulation in Deutschland steigt weiter an: 13 neue Rudel gab es im Monitoringzeitraum 2016/2017. Jetzt lebten insgesamt 60 bestätigte Wolfsrudel, 13 Wolfspaare und drei Einzelwölfe in Deutschland, teilt aktuell das Bundesamt für Naturschutz (BfN) mit. Die Zahlen seien erfreulich, „jedoch weist die Art noch immer eine insgesamt ungünstige Erhaltungssituation auf“, erläutert BfN-Präsidentin Prof. Beate Jessel. Wie viele Wölfe es insgesamt wirklich sind und ab welcher Zahl der Erhaltungszustand dann günstig sei, hat sie nicht beantwortet. Eine Gesamtzahl der in Deutschland lebenden Wölfe könne bestenfalls als grobe Schätzung bestimmt werden. Das BfN geht von 150 bis 160 „adulten“ Tieren aus, Jungtiere werden nicht erfasst.
1.100 gerissene Nutztiere – höhere Elektrozäune als Schutz?
In 2016 haben die Wölfe bei insgesamt 285 gemeldeten Attacken rund 1.100 Weidetiere getötet – vor allem Schafe und Ziegen. Das Bundesamt hält als Gegenmaßnahme einen flächendeckenden Herdenschutz für essentiell, der sich an den vom BfN empfohlenen Schutzstandards orientieren soll (BfN-Handlungsempfehlungen Download hier). Mit höheren Elektrozäunen und häufiger eingesetzten, speziell trainierte Herdenschutzhunden will das BfN die Angriffe auf Weidetiere reduzieren. Solche Herdenschuztmaßnahmen haben die Bundesländer im vergangenen Jahr mit 1.1 Millionen Euro bezuschußt. Die Tierhalter erhielten als Schadenersatz für von Wölfen gerissene Nutztiere 135.140 Euro an Ausgleichszahlungen.
Herdenschutzhunde sind „risikoreiche Scheinlösung“
Den – neben Schutzzäunen – zunehmend geforderten Einsatz von Herdenschutzhunden sieht die Landestierärztekammer Baden-Württemberg allerdings als „risikoreiche Scheinlösung“. „Der Herdenschutzhund ist in unseren kleinteiligen Wäldern und eng besiedelten Kulturräumen, kein geeignetes „Anti-Wolf-Instrument“, sondern für unbeteiligte Dritte im höchsten Grade risikobehaftet,“ warnt Dr. Thomas Steidl, Präsident der Landestierärztekammer Baden-Württemberg in einer Pressemeldung.
Klassische Ursprungsländer dieser sehr alten Hunderassen sind wilde, menschenleere Gebiete wie die Maremma, die Pyrenäen, der Kaukasus oder das anatolische Bergland. Herdenschutzhunde dürfe man auch nicht verwechseln mit Hütehunden, die auf Befehl und Anweisung des Schäfers mit der Herde arbeiten.
Die Sozialisierung von Herdenschutzhunden sei extrem aufwendig und erfordere ein hohes Maß an Sachkunde und Verantwortung vom Halter“, gibt auch Dr. Julia Stubenbord, Landestierschutzbeauftragte in Baden-Württembergzu bedenken. „Die Hunde haben meist nur eine geringe Motivation mit dem Menschen zu kooperieren. Sie zeigen selbstbewusst ein starkes Territorialverhalten und werden seit vielen Generationen darauf gezüchtet, eigenverantwortliche Entscheidungen zu treffen, wenn sie die Sicherheit ihrer Herde bedroht sehen“, ergänzt Ariane Kari, Amtstierärztin und stellvertretende Landestierschutzbeauftragte.
Wer sagt was in der Wolfsdebatte
Die Akzeptanz für den Wolf scheint insgesamt zu schwinden. Auch weil die Zahl der Wölfe rasant steigt – der Bestand verdoppelt sich etwa alle drei Jahre. Mit ihm steigt auch die Zahl der Nutztierrisse. Da inzwischen nicht mehr nur Schafe und Kälber dazu zählen, sondern auch Pferde, rückt die gefühlte Bedrohung auch näher an Hobbytierhalter heran.
Der einzige „natürliche“ Feind des Wolfs in Deutschland ist der Straßenverkehr – seit dem Jahr 2000 sind 140 Wölfe überfahren worden. Er darf nicht bejagt werden; selbst gegen den Abschuss auffälliger Wölfe gehen Naturschützer juristisch vor (z.B. Meldung hier).
wir-sind-tierarzt skizziert einige Positionen in der Wolfsdebatte mit verlinkten Quellen.
Wölfe verlieren „natürliche Scheu“
Das Bundesamt für Naturschutz hat „Handlungsempfehlungen zum Wolfsamangement“ herausgegeben (PDF-Download hier). Darin räumt es ein, „dass es die so genannte ’natürliche Scheu‘ von Wildtieren nicht gibt, sondern dem Verhalten des einzelnen Tieres vielmehr ein individuelles Risikomanagement zugrunde liegt“. Sprich: Die Tiere lernen, dass von Menschen keine Gefahr ausgeht. Dennoch votiert das BfN weiter allein für den Herdenschutz.
Kapitulation vor der Wirklichkeit
Sieben Tierhalterverbände – darunter Schaf und Ziegenhalter aber auch die Deutsche Reiterliche Vereinigung – empfinden diese BfN-Position als „Kapitulation vor der Wirklichkeit“. Die Verbände kritisieren den Fokus des Bundesamtes auf den Herdenschutz und das man die Verantwortung so allein auf die Weidetierhalter verlagert. Dagegen würden Länder wie Frankreich, Schweden oder Finnland mit deutlich geringeren Wolfsbeständen als im dicht besiedelten Deutschland die Tierzahlen aktiv regulieren – sprich Wölfe bejagen.
Nicht „blutrünstig“ aber auch nicht ungefährlich
Auch der Deutsche Jagdverband will eine „kritiklose Grundhaltung des BfN gegenüber dem Wolf“ erkennen. Diese sorge dafür, dass die Akzeptanz für den Fleischfresser zusehends schwindet. Laut BfN-Managementempfehlung „verlangt“ es lediglich „Aufmerksamkeit“, wenn Wölfe mehrere Tage weniger als 30 Meter entfernt von bewohnten Häusern gesehen werden. „Ungefährlich“ sei es, wenn Wölfe in Dunkelheit durch Siedlungen laufen oder tagsüber in Sichtweite von Häusern. Der DJV sieht darin „verharmlosende Konzepte“ und einen „groß geplante Feldversuch nach dem Motto ‚Versuch und Irrtum‘.“ Das sei risikoreich und einzigartig in Europa. In Finnland würden solche Problemwölfe erlegt. Wölfe seien zwar nicht blutrünstig, aber gefährlich.
Umweltschutzministerkonferenz für Entnahme von Problemwölfen
Die Umweltschutzministerkonferenz der Länder stellt „einen erheblichen Anstieg an Übergriffen auf Nutztiere“ fest, die sich zum Teil regional sehr zugespitzt hätten. Genehmigungen für die Entnahme von Problemwölfen seien aber kaum umgesetzt worden, weil die unklare artenschutzrechtliche Situation die Verfahren blockiert hat. Man brauche Rechtssicherheit, dazu müsse der Bund gemeinsam mit Polen nachweisen, dass der gute Erhaltungszustand des Wolfes in der zentraleuropäischen Flachlandpopulation mit schätzungsweise weit über 1.000 Individuen längst erreicht sei.
Obergrenze für Wölfe
Das wiederum begrüßt die Vereinigung der deutschen Landesschafzuchtverbände (VDL). Schäfer leiden am meisten unter Wolfsübergriffen. Der Aufwand die Herden jede Nacht wolfssicher einzupferchen ist kaum zu refinanzieren. Sie stellen deshalb die Forderung nach einer zahlenmäßig definierten Obergrenze für Wölfe in Deutschland (mehr hier).
Naturschützer: Lernen, mit dem Wolf zu leben
Die uneingeschränkte Pro-Wolf Position vertreten der Naturschutzbund Deutschland (NABU) und weitere Umweltschutzverbände: Man müsse lernen mit dem Wolf zu leben. Der NABU hat ein „Eckpunktepapier Herdenschutz“ erstellt (PDF-Download) – darin befürworten die Naturschützer auch den Einsatz von Herdenschutzhunden als wirksame Abschreckung. Eine Übersichtsseite seiner Einschätzungen zum Thema Wolf stellt der NABU hier bereit.
Bundesumweltministerium: Wie Verhalten bei Wolfsbegegnung
Das Bundesumweltministerium informiert auf einer Webseite (hier), wie man sich Verhalten soll, „begegnet man einem Wolf in der Kulturlandschaft“.