REWE gibt „Antibiotika-frei“-Label bei Schweinefleisch auf

Ein WDR-Beitrag hat die Tücken des REWE-Antibiotika-frei-Labels entlarvt. (Foto: Screenshot WDR)

REWE hat sein im Frühjahr gestartetes Projekt eingestellt, Schweinefleisch mit einem Antibiotika-frei-Label zu vermarkten. Der Verbraucher war wohl nicht bereit, die zwei Euro Aufpreis pro Kilo zu bezahlen. Doch in den USA, aber auch in Dänemark sind „antibiotics-free“-Produkte unaufhaltsam auf dem Vormarsch. Sie  profitieren von der Verbraucherangst vor Rückständen – dabei loben sie etwas ganz anderes aus.

von Jörg Held und Annegret Wagner (mit Kommentar)

Der erste Sprung der in den USA populären „antibiotics-free“-Vermarktungswelle nach Deutschland ist gescheitert. REWE-Dortmund hat die „Antibiotikafreiheit“ als Qualitätsmerkmal aus seinem regionalen „meat4you“-Fleischangebot gestrichen (wir-sind-tierarzt-Kommentar zum Marktstart Anfang 2017 hier).
Die netten Grafiken mit den „umfallenden“ Schweinen, die dann nach Antibiotikabehandlung nicht mehr unter dem Label vermarktet werden durften, sind ebenso von der „meat4you“-Webseite verschwunden, wie das Versprechen „Schweinefleisch aus garantiert antibiotikafreier Mast“ zu liefern. Geblieben ist ein rein regionales Fleischangebot.

Gefährliche Botschaft: kranke und mit Antibiotika behandelte Schweine „fliegen“ aus der Produktionskette – sie sind nicht mehr gut genug „4 you“. (Illustration: © REWE meet4you-Programm – April 2017)

Absicht: Marketing mit Missverständnissen?

Produktlabel mit dem Begriff „antibiotics-free“ oder „ohne Antibiotika“ sind extrem missverständlich, weil bei dieser verbalen Verkürzung auf zwei Worte drei andere Punkte für den Verbraucher kaum zu trennen sind:

  • Es geht es nicht um Antibiotikarückstände im Fleisch. Die sind in Deutschland ohnehin kein Problem. Das bestätigen die Nationalen Rückstandskontrolluntersuchungen immer wieder. Mit Antibiotika behandelte Tiere dürfen nur nach Ablauf von Wartezeiten geschlachtet werden. Das wird genau überwacht.
  • Ohne Antibiotika bedeutet(e) bei REWE und anderen Labeln vielmehr, dass Tiere in ihrem Leben (oder auch nur in bestimmten Lebensabschnitten) nicht antibiotisch behandelt wurden.
  • Wird ein Tier krank und muss behandelt werden – was auch in den „antibiotics-free“-Programmen erlaubt ist – wird es getrennt vermarktet. Damit spalten die Label den Markt in „gutes“ und „böses“ Fleisch.

Nur „teilweise“ antibiotikafrei

So bezog sich auch das REWE-Dortmund-Versprechen von „Schweinefleisch aus garantiert antibiotikafreier Mast“ nur auf eine teilweise Antibiotikafreiheit. Zwei Cent mehr pro Kilo Fleisch erhielten die im Frühjahr 2017 ausgesuchten 50 Schweinemäster, wenn sie in der Mast (ab 30 kg) ganz auf Antibiotika verzichten. Als Ferkel oder Läufer durften aber auch diese Schweine zuvor mit Antibiotika behandelt werden. In diese „Kindergartenphase“ fallen jedoch die meisten Antibiotikabehandlungen. Antibiotikafreie Mastdurchgänge sind auch für konventionelle Schweinhalter nicht ungewöhnlich.

Rückstandsängste – der Treibstoff für Kampagnen

Mit Antibiotika – Greenpeace-Aufkleber auf Fleischpackungen in Lidl-Kühltheken spielen mit den Ängsten der Verbraucher. (Foto: © Greenpeace)

Während REWE sein Projekt also einstellte (Bericht hier), arbeiten andere weiter mit der Antibiotikaangst. So suggeriert eine Greenpeace-Kampagne gegen Lidl, dass Fleisch Antibiotika(rückstände) enthält. Aktivisten klebten „Mit-Antibiotika-Warnhinweise“ auf Fleischpackungen in Lidl-Kühltheken – und setzen so den Handel unter Druck.
Ob Antibiotika-frei-Programme in Europa auch eine Reaktion auf solche Kampagnen sind? Jedenfalls will man in Dänemark bis 2021 rund 1,5 Millionen der rund 17 Millionen jährlich geschlachteten Schweine als „Antibiotika-frei“ vermarkten.

USA: „Antibiotic-free“ bedeutet nicht immer „ohne Antibiotika“

Wie gut sind die (No)Antibiotikapläne von US-Retsaurantketten? NGO’s versuchen es mit einem Ranking zu erklären. (Grafik: © NRDC)

Vorbild für den „antibiotics-free“-Trend sind die USA. Dort gibt es – insbesondere im Geflügelmarkt – fast keine(n) Restaurantkette oder Produzenten mehr, die nicht eine „antibiotics-free“-Policy auf den Weg gebracht haben (siehe Grafik oben oder Linkliste am Textende). Sie loben aber unter diesem Schlagwort ganz unterschiedliche „Freiheiten“ aus: Aufzucht ohne therapeutische Wirkstoffe als Wachstumsförderer; Verzicht auf für die Humanmedizin wichtige Antibiotika; oder auch ganz frei von jeglichen Antibiotika.
Das hat dazu geführt, dass US-Verbraucherschutzorganisationen jährlich ein Ranking für Restaurantketten veröffentlichen (Grafik), in dem sie versuchen herauszuarbeiten, wie glaubwürdig die jeweilige Policy ist.

Nur „no-antibiotics-ever“ (NAE) ist ganz ohne

Tyson Foods geht formal am weitesten: Der seit Juni 2017 gültige Slogan „no-antibiotics-ever“ (abgekürzt „NAE“) proklamiert den völligen Verzicht auf jeglichen Antibiotikaeinsatz – für bestimmte Eigenmarken. Natürlich werde man kranke Tiere auch weiter antibiotisch behandeln, heißt es, diese dann aber eben nicht als „NAE“-Produkt, sondern anderweitig vermarkten.

Ähnlich streng ist Chipotle, einer der Vorreiter der „antibiotika-frei“-Welle in den USA und von den NGOs dafür mit Bestnoten bewertet. Das Unternehmen erklärt zwar, das kranke Tiere behandelt werden müssen und sollen. Wenn Tiere therapeutisch Antibiotika erhalten haben, dann bedeute dies auch nicht, dass das Fleisch noch Antibiotika enthält. Auch solches Fleisch sei nach einer Wartezeit frei von Antibiotika.
Nur: Als Chipotle-Pork darf es dennoch in den USA auf keinen Fall mehr vermarktet werden; in den europäischen Filialen dagegen schon.

Solche Ausweichstrategien zeigen, dass einige Konzerne sich unbedingt ein antibiotika-freies Saubermann-Image zulegen wollen.  Wie „sauber“ sie sein wollen, das entscheiden sie aber je nach „Marktdruck“ und „Region“ und nicht etwa, weil es medizinisch oder aus Verbraucherschutzgründen notwendig wäre.

McDonalds: Manche Länder sind wichtiger

So hat McDonalds, die auch schon im Deutschen Bundestag von Grünen Politikern für ihre Antibiotika-frei-Strategie gelobt wurden, im Sommer einen „Stufenplan“ angekündigt. Ab Januar 2018 sollen alle Zulieferer für Geflügelfleisch keine für die Humanmedizin besonders kritischen Antibiotika (HPCIAs) mehr in den Ställen einsetzen dürfen. Darüber hinaus plant man in Europa vermutlich ab Ende 2019 keine mit Colistin behandelten Tiere mehr zu vermarkten.

Mehr zum Unterschied zwischen „Reserve-Antibiotika“ und „Highest Priority Critically Important Antimicrobials“ (HPCIA) lesen Sie hier

Diese HPCIA-free Vorgaben gelten aber erst mal nur für Staaten, in denen die Antibiotika-Debatte von Politik oder dem Markt sensibel geführt wird: Kanada, Japan, Süd-Korea, den USA und eben Europa sowie Brasilien (als wichtiges Lieferland von Geflügelfleisch). Im Rest der Welt dürfen McDonalds Lieferanten noch bis 2027 weiter kritische Antibiotika bei Masthühnern einsetzen.
„Frei von“ jeglichem Antibiotikeinsatz ist die McDonalds-Mast ohnehin nicht: In den USA bleiben – anders als in Europa – sogar Wachstumsförderer (Ionophore) erlaubt.
Positiv: McDonalds erlaubt die Behandlung kranker Tiere mit „klassischen“ Antibiotika und vermarktet sie ohne Einschränkungen.

wir-sind-tierarzt.de kommentiert:
Ein „Antibiotika-frei“-gelabeltes Leben ist absurd

(aw/jh) – Gut, dass REWE sich mit dem Antibiotika-frei-Vorstoß erkennbar dumm angestellt hat: Frei war nur ein Teil der Produktion (Mastschweine ab 30 Kilo). Die ohne Antibiotika aufzuziehen, gelingt hunderten Schweinehaltern sowieso. Daraus ein Pseudolabel mit Mehrpreis (und hohem Dokumentationsaufwand) zu konstruieren, hat sich wohl nicht gelohnt – zumal die Medien (siehe WDR-Beitrag unten) das Projekt schnell enttarnt hatten.

Experiment vorbei, Problem gelöst? Wir fürchten: Nein.
Ob aber der Verbraucher wirklich durchschaut hat, dass es bei „antibiotika-frei“ gar nicht um frei von Medikamentenrückständen geht, sondern um eine Tierhaltung ohne Antibiotikabehandlung? Wir glauben das nicht.

Mit Antibiotika – Greenpeace-Aufkleber auf Lidl spielen mit Ängsten der Verbraucher. (Foto: © Greenpeace)

Nicht umsonst spielen Campaigner der NGOs – wie etwa Greenpeace – immer wieder mit genau dieser Angst vor Rückständen. Sie nehmen in Kauf, dass dies auch die Behandlung kranker Tiere beeinflusst.
Der Handel geht solchen „Mit-Antibiotika“-Kampagnen durch „Ohne-Antibiotika“-Label perfekt auf den Leim. Je lauter und häufiger etwas als „frei von“ gefordert oder eben „ausgelobt“ wird, desto eher nimmt der Verbraucher im Umkehrschluss an: Da muss ja ansonsten was drin (gewesen) sein. Das stigmatisiert kranke Tiere.

Wie absurd ein „Antibiotika-frei“-gelabeltes Leben ist, zeigen wir Menschen.
Wir werden selbst im hochentwickelten Deutschland trotz optimaler Lebensbedingungen und ausgewogener Ernährung krank. Wir brauchen dann auch Antibiotika – und das in beachtlichen Mengen. Dieses Recht auf eine Behandlung im Krankheitsfalle, sollten auch Tiere haben – ohne dass man sie anschließend brandmarken und separat „vermarkten“ muss wie Ausschussware. Deshalb ist es gut, dass REWE damit gescheitert ist.

Wir fürchten aber: Märkte sind nicht aufzuhalten.
Wenn der erste Händler einen Vermarktungs- oder Imagevorteil nicht nur wittert, sondern wirklich erzielen kann, dann bricht auch in Deutschland der Damm. In den USA ist „antibiotics-free“ jedenfalls nicht mehr zu stoppen.

Quellen:
Verzicht von REWE auf „Antibiotikafreiheit“ – Bericht des Agrar-Journalisten Roland Krieg auf seiner Webseite „Herd und Hof“

Stellungnahmen von US-Konzernen zu ihren „antibiotics free“-Programmen
Tyson Foods (hier)
McDonalds (hier)
Chipotle (hier)

Ein Bewertung der „Commitments to Responsible Antibiotics Use“ von 25 US-Konzernen veröffentlicht jährlich ein Konsortium von sechs Verbraucherschutzorganisationen: Die Webseite mit der aktuellen Bewertung finden Sie hier (Stand 9/2017) – die Pressemeldung hier.

WDR-TV-Beitrag entlarvt REWE „Antibiotika-frei“-Label

Klick auf das Bild wechselt zum Film in der WDR-Mediathek

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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