Die „Unheimlichen Sechs“ – Stoffwechselstörungen bei der Milchkuh

Festliegende Kuh – die Fälle durch Hyperkalzämie werden seltener. Doch dafür beobachten Tierärzte mehr Fälle subklinischen Kalziummangels. (Foto: WiSiTiA/aw)

Hochleistende Milchkühe sind Stoffwechsel-Spitzensportler. Für Milchmengen von teilweise deutlich über 40 Litern pro Tag, brauchen sie entsprechend viel Energie und hohe Mengen an Vitaminen und Mineralstoffen. Stimmen Management und Fütterung nicht,  kommt es zu Stoffwechselentgleisungen. Die sechs wichtigsten in einer kurzen Übersicht.

(aw) – Die „Unheimlichen Sechs“ nennt sie Professor Garrett Oetzel von der University of Wisconsin (USA). Bei Milchleistungen von zum Teil deutlich über 40 Litern pro Tag, geben die Kühe viel Energie und hohe Mengen an Vitaminen und Mineralstoffen direkt in die Milch – und können häufig nicht genug für den eigenen Bedarf nutzen. Für die wichtigsten sechs Stoffwechselstörungen, an denen eine hochleistende Milchkuh im Anschluss an die Geburt erkranken kann, hat DVM Garret Oetzel eine Übersicht erstellt. Ist die Fütterung und auch die Reaktion auf eine Entgleisung nicht leistungsgerecht, können sie sogar zum Tod der Tiere führen.

1. Hypokalzämie

Kalziummangel oder auch Milchfieber ist die häufigste Stoffwechsel-Erkrankung im geburtsnahen Zeitraum. Offensichtliche Fälle, die mit Festliegen der Kühe einhergehen werden seltener. Dafür beobachtet Oetzel ein Ansteigen des subklinische Kalziummangels.
Kühe haben zu Beginn der Laktation ein Problem, genug Kalzium für die Milch freizusetzen. Sie „holen“ sich bei ungenügender Versorgung Kalzium aus den Knochen und das je nach Leistung über bis zu vier Monate.
Ein Kalziummangel muss dabei nicht unbedingt zum Festliegen führen. Er bewirkt aber, dass die Funktion der glatten Muskulatur eingeschränkt wird und sich die betroffenen Tiere leichter verletzen. Außerdem ist die Pansen- und Darmmotorik herabgesetzt. Das kann unter anderem zu Labmagenverlagerungen führen.

  • Bei Kühen, die noch stehen, reicht unter Umständen die orale Versorgung mit Kalzium aus.
  • Sobald sie zum Festliegen kommen, sind intravenöse Infusionen notwendig.

2. Hypophosphatämie

In Verbindung mit einem Kalziummangel kann sich außerdem ein Phosphormangel entwickeln. Dieser entsteht, wenn das Parathormon, das die Freisetzung von Kalzium aus den Knochen bewirkt, die vermehrte Ausscheidung von Phosphor über Urin und Speichel fördert. Phosphor, das sich so mit dem Speichel im Pansen sammelt, steht dem Körper nicht mehr unmittelbar zur Verfügung.

  • 95 Prozent der Kühe mit Phosphormangel erholen sich nach Oetzels Erfahrung automatisch, wenn der Kalziummangel behoben ist.
  • Die übrigen fünf Prozent der Tiere müssen zusätzlich entweder oral oder intravenös mit Phosphor behandelt werden.

3. Hypomagnesämie

Zu einem Magnesiummangel kommt es, wenn Kühe vor allem auf der Weide gehalten werden – daher auch die Bezeichnung „Weidetetanie“.  Fressen Kühe viel junges Grünfutter – überwiegend im Frühjahr – kann das darin enthaltene Kalium zur Verdrängung von Magnesium führen.
Doch die Erkrankung kann auch bei Stallhaltung auftreten. Und zwar dann, wenn die Kühe Futter erhalten, das auf kaliumreichen und gleichzeitig magnesiumarmen Böden gewachsen ist.

  • Zur Vermeidung eines Magnesiummangels empfiehlt Oetzel ein Verhältnis von Kalium zu Magnesium von unter 4:1. Bei bekannter Problematik sollte außerdem Magnesium zugefüttert werden.

4. Hypokalämie

Nicht nur ein Kaliumüberschuss (im Verhältnis zu Magnesium) ist problematisch, sondern auch ein Kaliummangel. Dabei kommt es zu schlaffen Lähmungen: Die Kühe können sich nicht mehr bewegen und sterben in der Regel sehr schnell nach Einsetzen von Krankheitsanzeichen. Ein Kaliummangel tritt normalerweise nur innerhalb den ersten zwei bis drei Wochen der Laktation auf.

  • Solange die Tiere noch aufstehen können und die Kaliumkonzentration zwischen 2,5 und 3,5 mEq/l liegt, reicht einmal tägliche eine orale Gabe von 100 g Kaliumchlorid.
  • Unter einer Konzentration von 2,2 mEq/l sollten die Probanden zwei mal täglich 200 g Kaliumchlorid oral erhalten.

5. Ketose

Neben subklinischem Kalziummangel ist sie die zweithäufigste Stoffwechselerkrankung von Milchkühen innerhalb der ersten sechs Laktationswochen und geht mit erhöhten Ketonkörpern im Blut einher. Rund 30 bis 40 Prozent aller Milchkühe erkranken mindestens einmal in ihrem Leben an einer Ketose. Die hat viele negative Effekte: Sinkende Milchleistung, gehäuftes Auftreten von Labmagenverlagerungen, schlechtere Fruchtbarkeit und alles in allem eine höhere Abgangsrate. Die Diagnose ist direkt am Tier gut zu stellen, indem man die Ketonkörperkonzentration im Urin, der Milch oder im Blut per Schnelltest bestimmt.

  • Im Anfangsstadium reicht die orale Gabe von glukoplastischer Energie (Propylenglykol, Natriumpropionat) aus.
  • Bei stark erhöhten Ketonkörperkonzentrationen sollten zusätzlich intravenöse Infusionen mit Glukose in entsprechender Konzentration vorgenommen werden und anschließend über mehrere Tage eine orale Behandlung erfolgen.

6. Labmagenverlagerung

Mittlerweile ist bekannt, dass sich Labmagenverlagerungen in der Regel im Anschluss an eine Hypokalzämie oder eine Ketose entwickeln.

  • „Wir können das Entstehen von Labmagenverlagerungen deutlich reduzieren, wenn wir Hypokalzämie und Ketose früh erkennen und entsprechend behandeln,“ sagt Oetzel.

Quelle: dairyherd.com

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Über den Autor

Annegret Wagner

Dr. Annegret Wagner (aw) hat in Gießen Tiermedizin studiert und arbeitet seit 1991 in der Großtierpraxis; seit 2005 niedergelassen in eigener Praxis mit Schwerpunkt Milchrind im Raum Rosenheim. Seit 2006 arbeitet sie auch als tiermedizinische Fachjournalistin. So hat sie für die VETimpulse die Nutztierthemen betreut und übernimmt diese Aufgabe auch bei wir-sind-tierarzt.de. Um nicht zum Mia-san-mia-Bayer zu mutieren, schaut sie intensiv über den Alpenrand hinaus, vorzugsweise ins englischsprachige Ausland. Kontakt: annegret.wagner(at)wir-sind-tierarzt.de
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