Der Wahlkampf, das Bundesverfassungsgericht und die Schweine

Pläne für eine Normenkontrollklage zur Schweinhaltungsverordnung kündigte Berlins Justizsenator Dirk Behrendt an. (Foto: twitter/Behrendt)

Muss sich das Bundesverfassungsgericht mit der Schweinhaltung befassen? Wenn es nach dem Grünen Berliner Justizsenator Dirk Behrendt geht, ja. Er schlägt dem Berliner Senat vor, eine Normenkontrollklage einzureichen. Geprüft werden soll, ob die geltenden Vorschriften zur Schweinehaltung gegen das Tierschutz- und Grundgesetz verstoßen. Ob es tatsächlich zu einer Klage kommt, ist noch offen.

Aktualisierung (26.9.2017): Der rot-rot-grüne Berliner Senat hat beschlossen (Pressemeldung hier), die in diesem Artikel skizzierte Normenkontrollklage zur Tierschutz-Nuzttierhaltungsverordnung beim Bundesverfassungsgericht einzureichen.

von Jörg Held

Seinen Vorstoß kündigte Justiz- und Verbraucherschutzsenator Dirk Behrendt (Grüne), der in Berlin auch für Landwirtschaft zuständig ist, passend beim Besuch einer Freilandschweinehaltung an (Foto).

Passender Rahmen? Berlins Verbraucherschutzsenator Dirk Behrendt kündigt den Vorstoß zur Normenkontrollklage in einer Freilaufhaltung an. (Twitter D. Behrendt)

Das Bundesverfassungsgericht soll prüfen, ob die Rechtsvorschriften zur Schweinehaltung (TierSchNutztVmit dem Grundgesetz vereinbar sind. Behrendt bezweifelt dass: „Insbesondere ungenügendes Platzangebot, das Fehlen separater Liegeplätze und unzureichende Beschäftigungsmöglichkeiten drängen die Grundbedürfnisse unangemessen und damit tierschutzwidrig zurück.“ Er stützt sich dabei auf ein Rechtsgutachten (PDF-Download), das Greenpeace im Mai vorgestellt hatte.

Mehr lesen: Greenpeace-Gutachten behauptet: Schweinehaltung rechtswidrig

Sollte der Berliner Senat die Normenkontrollklage tatsächlich einreichen, muss(!) sich das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe mit der Frage beschäftigen.
Das Ziel ist klar: Analog zum Legehennenurteil des Bundesverfassungsgerichtes, das 1999 die Käfighaltung verboten hat, erwartet man eine komplette Neufassung der Verordnung. Das könnte die Schweinehaltung in Deutschland durchaus verändern.

Schweinehalter: „Stoppt den Irrweg“

Entsprechend gespalten fallen die Reaktionen auf den angekündigten Berliner Vorstoß aus:

„Stoppt den Irrweg“, fordert etwa die Interessengemeinschaft der deutschen Schweinehalter (ISN). Eine Normenkontrollklage würde den Tierhaltern sowie der Agrar- und Ernährungsindustrie jegliche Planungssicherheit nehmen und die Zukunft des ländlichen Raums aufs Spiel setzen. Die begonnene Arbeit an der „Nationalen Nutztierstrategie“ würde torpediert, jegliche Weiterentwicklung der Tierhaltung auf Eis gelegt. Man gehe zwar nicht davon aus, dass eine Klage Erfolg habe, aber da sich derartige Verfahren über Jahre hinziehen, würde sich wegen fehlender Planungssicherheit zunächst jegliche Weiterentwicklung der Tierhaltung erübrigen.

Grüne: Gericht muss Sauerei stoppen

Genau andersherum sehen es die Grünen: Die industrielle Schweinehaltung sei mit dem Tierschutz nicht vereinbar. „Hoffentlich stoppen die Gerichte diese Sauerei.“ Mit klaren Worten begrüßte der Vorsitzende von Bündnis90/Die Grünen, Anton Hofreiter, den Klagepläne.

Unterstützt die Idee einer Normenkontrollklage: Grünen-Chdef Anton Hofreiter. (via Facebook)

Schon im Mai – bei Vorlage des Gutachtens – hatten der Agrarpolitische Sprecher der Grünen, Friedrich Ostendorff, und Tierschutzsprecherin Nicole Maisch die Klageidee unterstützt: „Die Tierschutznutztierhaltungsverordnung muss grundlegend überarbeitet werden. Den Bedürfnissen der Tiere nach ausreichend Platz, Beschäftigung und artgerechter Ernährung muss endlich Rechnung getragen werden.“

Tierschutzbund: „Tohuwabohu im Schweineland“

Auch Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, befürwortet die Klage: „Wir erwarten, dass der Senat zustimmt und die Klage eilig eingereicht wird. Es braucht endlich Klarheit, was den Schweinen zukünftig angetan werden darf und was eben nicht mehr.“
Eine Normenkontrollklage müsse Klarheit schaffen, weil sich freiwillig zu wenig bewegt und der Bundesminister und die Länder derzeit aus Schröders Sicht ein „Tohuwabohu im Schweineland“ Deutschland veranstalten. Recht dürfe nicht mehr länger vor Unrecht weichen. Das klarzustellen, sei schon mit der Normenkontrollklage zur Legehennenhaltung in Batteriekäfigen gelungen.
Der Tierschutzbund hofft auf eine zeitnahe Entscheidung: „Die Schweine brauchen jetzt mehr Platz, mehr Beschäftigung, mehr Leben.“
Von der ersten Normenkontrollklage 1999 bis zum endgültigen Inkrafttreten des Käfigverbotes nach Übergangsfristen (2016) vergingen 17 Jahre (Chronologie des Käfigverbotes).

wir-sind-tierarzt.de meint: Keine Angst vor drohender Klage

(jh) – Es ist Wahlkampfzeit. Und der rot-rot-grün regierte Stadtstaat Berlin ist nicht mit einer all zu großen Schweinproduktion gesegnet. Das Statistische Bundesamt weist aktuell einen glatten NULL-Bestand aus. Behrendts Fotovordergrund gehört zu einem ökologischen Freilandmuseum.
Ideale Bedingungen also, um von dort einen medienwirksamen Vorstoß zu wagen. Andere Bundesländer mit Schweinehaltungen – auch die, in denen ein grüner Landwirtschaftsminister amtiert – würden die Schweinehalter kaum derart brüskieren. 
Bis jetzt ist die Klage aber nicht mehr, als eine „Vorlage an den Senat“. Ob der zustimmt? Erstmal die Wahlsaison abwarten.

Und wenn: Muss man die Klage denn unbedingt fürchten? Der Ausgang ist keineswegs sicher und ein Verfahren dauert. Das „Vorbild Käfighaltung“ war ein anderes Kaliber.
In der Zwischenzeit hindert niemand die Politik daran, weiter an einer Nationalen Nutztierstrategie zu arbeiten und auch die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung weiter zu entwickeln. In Sachen Kastenstand steht das ja ohnehin an.

Ob eine Klage tatsächliche jegliche Weiterentwicklung der Schweinehaltung blockiert, scheint für mich fraglich? Sie als Rechtfertigung für Stillstand zu nehmen, wäre aber auf jeden Fall der falsche Weg.

Quellen im Artikel verlinkt

Hintergründe zum Greenpeace-Gutachten:
Das Greenpeace-Gutachten als PDF-Download
wir-sind-tierarzt-Bericht über die Vorstellung des Gutachtens
Zusammenfassung der Verbändestellungnahmen zum Greenpeace-Gutachten

Teilen
Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
Web Design MymensinghPremium WordPress ThemesWeb Development

Wildtiere: Hilfe kann auch Leid bedeuten

9. März 20169. März 2016
Ein Faltblatt gibt Tipps zum Umgang mit Wildtieren. (©Landestierschutzbeauftragte Hessen / Erni/Fotolia.com)„Wildtiere brauchen in den aller seltensten Fällen menschliche Hilfe," sagt die Landestierschutzbeauftragte Hessen. Was tun kann, wer ein Wildtier findet – oder aber auch besser lassen sollte – erklärt ein Flyer, den Dr. Madeleine Martin zusammen mit der Landestierärztekammer Hessen herausgegeben hat. (mehr …)