Futterqualität – lebenswichtig für Kühe

Zwei Botulismus-Fälle im Landkreis Rosenheim mit über 50 verendeten Rindern machen deutlich: Futterqualität ist entscheidend. Dabei helfen können Qualitätssicherungskonzepte nach HACCP-Standard. (Foto: © pixabay)

Bei zwei Botulismus-Fällen im Landkreis Rosenheim verendeten über 50 Rinder.   Ein trauriges Beispiel, für Probleme bei der Rinderfütterung. Ein Tierhalter sollte täglich Futterverunreinigungen und andere Qualitätsprobleme erkennen – und beseitigen. Dabei helfen können Qualitätssicherungskonzepte nach HACCP-Standard. Ein Beispiel.

von Annegret Wagner

Gleichbleibende Fütterungsbedingungen sind wichtig für die Kuhgesundheit und die Leistung. Dabei helfen Standards. In einigen Industriezweigen gehört das HACCP-Konzept (hazard analysis and critical control points – die Gefahrenanalyse kritischer Lenkungspunkte) zur normalen Produktion, etwa an Schlachthöfen oder in der Lebensmittelverarbeitung. Hierbei werden zunächst kritische Produktionsschritte identifiziert, bei denen eventuell eine Kontamination des Lebensmittels durch unerwünschte Keime oder Tierkot möglich ist.

Kritische Punkte bei der Milchkuhfütterung

Solche kritischen Lenkpunkte kann man aber auch bei der Fütterung von Milchkühen festlegen und so das Fütterungsregime verbessern. Dass dies nötig sein kann, zeigen unter anderem zwei aktuelle Botulismus-Fälle in Milchviehherden im Landkreis Rosenheim. Über 50 Tiere verendeten. In der örtlichen Presse (hier und hier) heisst es zwar, die Landwirte treffe keine Schuld an dem Geschehen. Doch das ist nicht ganz richtig: Immerhin haben diese den Kühen das kontaminierte Futter vorgelegt.
Solche Fälle zeigen eindringlich, welchen hohen Einfluss die Fütterung auf die Tiergesundheit hat. Enrique Schcolnik, Tierarzt und Fütterungsberater bei Progressive Dairy Solutions, Kalifornien (USA) betont: Man muss in der Rinderfütterung täglich Futterverunreinigungen mit Mykotoxinen und anderen Pathogenen erkennen und auch beseitigen. Darüber hinaus sollte die Futterzusammensetzung und der Trockenmasseanteil möglichst wenig schwanken, auch wenn die Silagequalität (verschiedene Schnittzeitpunkte) sich ändert.
Es gibt also zahlreiche Fehlerquellen in der Tierfütterung und damit auch die Möglichkeit, kritische Lenkpunkte zu benennen und zu kontrollieren. Mit einem Qualitätssicherungskonzept lässt sich eine möglichst hohe Futterqualität erreichen und so die Tiergesundheit erhalten.

Beispiel für eine HACCP-Struktur

Kollege Schcolnik hat daher ein HACCP-Konzept zur Anwendung in der Milchkuhfütterung erarbeitet. Die einzelnen Punkte greifen kritische Aspekte der Fütterung auf und legen Ziele fest. Diese Ziele müssen nicht zwingend für jeden Betrieb gleich sein, sondern stehen hier exemplarisch für die Ziele an der Westküste der USA. Und sie sind als Beispiel zu verstehen, wie ein HAACP-Konzept aufzubauen ist.

1. Die Gefahr benennen

Hier: Die Kühe bekommen nicht die zugewiesene Futtermenge

2. Die kritischen Lenkungspunkte (CCP) benennen

A –Futterverfügbarkeit

  1. Verstehen, was die Situation auf dem Futtertisch bedeutet  – z.B. zu viel Futter, zu wenig, Selektion
  2. Wiegen des übriggelassenen Futters ist nicht unbedingt ein Maß für die Futterverfügbarkeit für jede Kuh in einer Gruppe. Untersuchungen haben gezeigt, dass einige Fressplätze bevorzugt werden bzw. Kühe meistens immer an der gleichen Stelle ihr Futter aufnehmen

B – Fütterungszeit: Die Zeiten, zu denen Futter neu vorgelegt wird, sollten dokumentiert werden

C – Gleichmäßiges Nährstoffprofil in der TMR

  1. Milchharnstoff (MUN) ist ein guter Indikator zur Kontrolle der gleichbleibenden Versorgung der Kuh
  2. Messung von TMR-Proben mittels NIT (Nahinfrarot)-Spektroskopie, um sicherzugehen, dass die richtige Nährstoffzusammensetzung gewährleistet ist

D – Trockenmasse der TMR

  1. Messung der Trockenmasse mit einem geeigneten Instrument

E – Temperatur der TMR

  1. Zur Kontrolle der Futtertemperatur sollte ein langstieliges Thermometer verwendet werden, um in das vorgelegt Futter eindringen zu können
  2. Wenn sich die TMR erwärmt, muss herausgefunden werden, welche Komponenten für die Erwärmung zuständig sind oder ob das Futtermanagement Schuld ist

3. Festsetzen von Ober- und Untergrenzen für kritische Lenkungspunkte

A – Futterverfügbarkeit: Es sollten nicht mehr als fünf Fressplätze pro Reihe (wenn mit Fressgatter gearbeitet wird) bereits eine Stunde vor der erneuten Fütterung komplett leer gefressen sein

B – Fütterungszeiten: Die Zeiten zu denen frisches Futter vorgelegt wird, sollten von Tag zu Tag nicht mehr als zehn Minuten schwanken.

C – TMR-Nährstoffzusammensetzung: Der Milchharnstoffwert sollte nicht mehr als zwei bis drei Punkte vom wöchentlichen Durchschnitt abweichen (8 bis 11 mg/dl); das NIR-Nährstoffprofil sollte sich im Bereich des festgelegten Rahmens befinden

D – TMR-Trockenmasse: Sie sollte zwischen 48 und 52 Prozent liegen

E – TMR-Temperatur: Sie  sollte maximal 6 °C über der Umgebungstemperatur liegen

4. Kritische Grenzen definieren:

A – Futterverfügbarkeit: Mehr als fünf Fressplätze pro Reihe komplett leergefressen

B – Fütterungszeiten: Mehr als fünf Minuten früher oder später als am Vortag

C – TMR-Nährstoffzusammensetzung: Milchharnstoff unter 8 mg/dl oder über 11 mg/dl

D – TMR- Trockenmasse: Unter 48 oder über 52 Prozent

E – TMR-Temperatur: mehr als 6 °C über Umgebungstemperatur

5. Überwachungsmöglichkeiten festsetzen

Wo, wie und wann werden die kritischen Lenkungspunkte gemessen?

6. Festsetzen von korrigierenden Maßnahmen

A – Korrekturen müssen schnell umzusetzen sein

  1. Wer: Ein verantwortliche Person benennen
  2. Wann: Sobald die selbst gesteckten Grenzen überschritten werden
  3. Wie: Festlegen, was zu geschehen hat, wenn welche Grenze überschritten wurde

B – Beispiel für eine Korrektur:
Wenn die TMR zu hohe Trockenmasse hat, wird Wasser zugesetzt,
wenn der Milchharnstoff zu sehr schwankt, prüft man

  1. sind einzelne Futterkomponenten ausgegangen?
  2. liegt ein Berechnungsfehler vor oder wurde ein neuer Silageschnitt angefangen?

7. Festlegen, wie Aufzeichnungen geführt werden

Aufzeichnungen sind wichtig, um zu dokumentieren, dass die Fütterung kontrolliert erfolgt.

8. Festlegen, wie die einzelnen Aspekte überprüft werden

Eine verantwortliche Person sollte in regelmäßigen Abständen kontrollieren, ob alle kritischen Lenkpunkte eingehalten werden.

Diese Auflistungen sind als Beispiele zu verstehen, wie das HACCP-Konzept bei der Fütterung von Milchkühen umgesetzt werden kann. Enrique Schcolnik ist der Ansicht, dass solche Kontrollprogramme wesentlich dazu beitragen können, die Herdengesundheit und die Leistung der Tiere zu verbessern.

Quellen:
im Artikel verlinkt
HACCP-Konzept: Dairyherd.com

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Über den Autor

Annegret Wagner

Dr. Annegret Wagner (aw) hat in Gießen Tiermedizin studiert und arbeitet seit 1991 in der Großtierpraxis; seit 2005 niedergelassen in eigener Praxis mit Schwerpunkt Milchrind im Raum Rosenheim. Seit 2006 arbeitet sie auch als tiermedizinische Fachjournalistin. So hat sie für die VETimpulse die Nutztierthemen betreut und übernimmt diese Aufgabe auch bei wir-sind-tierarzt.de. Um nicht zum Mia-san-mia-Bayer zu mutieren, schaut sie intensiv über den Alpenrand hinaus, vorzugsweise ins englischsprachige Ausland. Kontakt: annegret.wagner(at)wir-sind-tierarzt.de
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