Mediale Aufregung, deutschlandweite Datenerhebung, brancheninterne Ländervereinbarungen – bis zu einem bundesweiten gesetzlichen „Schlachtverbot“* für Rinder und Schweine im letzten Trächtigkeitsdrittel war es ein langer Weg. Am 1. September tritt das Gesetz in Kraft. Tierärzten wird eine wichtige Rolle zugewiesen: Sie sollen über Ausnahmen entscheiden.
von Jörg Held
Ab dem 1. September müssen Nutztierhalter sicherstellen, dass keine Rinder und Schweine zur Schlachtung gelangen (siehe *juristischer Hinweis am Artikelende), die sich im letzten Trächtigkeitsdrittel befinden.
Warum es zu dem Gesetz gekommen ist, können Sie in der Übersicht der Berichterstattung zum Thema „Schlachtung trächtiger Tiere“ nachlesen
Grund für die Vorschrift waren Berichte, dass bis zu 180.000 trächtige Rinder jährlich geschlachtet würden. Wie die Zahlen zu bewerten sind hat wir-tierarzt.de hier eingeordnet.
Medienberichte – hier Report Mainz – haben die Debatte über ein Schlachtverbot vorangebracht.
Das Problem: Das ungeborene Kalb eines hochträchtigen Rindes ist lebensfähig. Es wird bei der Betäubung und Schlachtung der Mutter nicht automatisch mitbetäubt und getötet, sondern stirbt aufgrund eines Sauerstoffmangels im Mutterleib. Ob und inwiefern der Fötus Schmerzen empfindet ist derzeit Gegenstand verschiedener Studien und noch nicht abschließend bewertet. Doch allein aus ethischen Gründen hatte sich – schon vor der gesetzlichen Regelung – die Branche in Deutschland in Ländervereinbarungen (siehe Linkliste am Textende) darauf geeinigt, Schlachtungen tragender Rinder unbedingt zu vermeiden.
Tierärzte dürfen Ausnahmen festlegen
Das jetzt im Tiererzeugnisse-Handels-Verbotsgesetz (TierErzHaVerbG) als § 4 eingefügte und ab 1. September 2017 gültige Abgabeverbot zur Schlachtung* im letzten Trächtigkeitsdrittel erlaubt aber auch Ausnahmen, wenn eine Schlachtung …
- … im Einzelfall nach tierärztlicher Indikation geboten ist und überwiegende Gründe des Tierschutzes einer Abgabe zur Schlachtung nicht entgegenstehen.
- In diesem Fall hat der Tierarzt dem Tierhalter unverzüglich eine Bescheinigung auszuhändigen, aus der sich dessen Voraussetzungen einschließlich der von ihm festgestellten Indikation ergeben. Die Bescheinigung ist vom Tierhalter mindestens drei Jahre aufzubewahren.
Dass der Gesetzgeber diese tierärztliche Indikation – also wann ein Tier noch geschlachtet werden darf und nicht euthanasiert werden muss – nicht näher definiert hat, kritisiert der Präsident des Bundesverbandes praktizierender Tierärzte (bpt) Dr. Siegfried Moder: So würde die Entscheidung zurück auf die Betriebe verlagert. Dort könnte wirtschaftlicher Druck auf die Praktiker entstehen.
Hintergrund: Fleisch geschlachteter Tier darf verwertet werden, das euthanasierter Tiere dagegen nicht.
Was müssen Tierhalter tun
Wie speziell Rinderhalter mit den neuen Vorschriften umgehen sollen, hat der Bauernverband Rheinland-Pfalz in einem Faltblatt (PDF-Download hier) zusammengestellt. Wichtig ist es, Unklarheiten zu vermeiden. Deshalb sollten Tierhalter insbesondere folgende Tiere vor dem Gang zum Schlachthof auf eine mögliche Trächtigkeit untersuchen:
- Alle weiblichen Tiere, die geschlechtsreif mit einem Bullen zusammen gehalten wurden.
- Alle weiblichen Tiere mit einem nicht eindeutigen Datum einer Besamung / Belegung ohne einen Nachweis der Nichtträchtigkeit.
- Alle weiblichen Tiere mit einem bisher nicht sicheren Trächtigkeitsbefund.
- Alle positiv auf Trächtigkeit untersuchten Tiere, bei denen danach Brunstanzeichen festgestellt wurden.
Das Ergebnis ist dann zu dokumentieren. Dabei muss die Zuordnung zum jeweiligen Tier sichergestellt sein (z.B. Ohrmarke).
Gesetz gilt nicht für Schafe und Ziegen
Ausgenommen sind derzeit noch Schafe und Ziegen. Hier unterschieden sich die Haltungsverfahren grundlegend von denen bei Rind und Schwein. Das Bundeslandwirtschaftsministerium hat aber Untersuchungen veranlasst, auf deren Grundlage später auch entsprechende Regelungen für Schafe und Ziegen vorgeschrieben werden können.
Die Verbände der Schaf- und Ziegenhalter haben eine Erklärung verabschiedet, wie die Tierhalter schon jetzt eine Schlachtung trächtiger Tiere im letzten Drittel vermeiden sollen/wollen.
Kritik der Tierarztverbände: Dringend nachbessern
Dass das Gesetz Ausnahmen enthält, die zum Teil wirtschaftlich motiviert scheinen, kritisieren die Tierarztverbände einhellig.
Einen ausführlichen Bericht mit den Argumenten der Kritiker finden Sie hier
Zumal der Gesetzgeber aus Tierarztsicht hinter bereits beschlossenen Ländervereinbarungen (siehe Links) zurückgeblieben. So hatten etwa in Schleswig-Hostein und Niedersachsen Behörden, Landwirtschaft, Tierärztevertretungen und Fleischwirtschaft vereinbart, die Schlachtung hochträchtiger Rinder grundsätzlich auszuschließen.
Wenn überhaupt – so hatte es auch 2016 eine Resolution der Bundestierärztekammer gefordert–, dann sollten trächtige Tiere nicht geschlachtet, sondern euthanasiert werden. Nur durch ein hochdosiertes Narkosemittel, das über den mütterlichen Kreislauf auch das Ungeborene erreicht und schmerzlos einschläfert, sei eine tierschutzgerechte Tötung des Fötus möglich.
Mit der neuen Gesetzeslage könne es aber weiter passieren, das Föten aufgrund von Sauerstoffmangel bei der Schlachtung des Muttertieres langsam ersticken, kritisiert die BTK-Präsident Dr. Uwe Tiedemann in einer Pressemitteilung. Auch bezüglich des Schlachtens trächtiger Schafe und Ziegen bestehe noch Nachbesserungsbedarf.
TVT: Ausnahmen nicht grundgesetzkonform
Die schärfsten Kritik formuliert die Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz (PDF-Download der Stellungnahme hier):
- Weder seien die Ausnahmen für Notschlachtungen, noch für Ziegen und Schafe im Sinne des Schutzes des Fötus zu rechtfertigen.
- Sollten ausnahmsweise im letzten Drittel trächtige Tiere getötet werden müssen, dann sei ein wirtschaftlicher Schaden verhältnismäßig und vertretbar. Die Ausnahmen eröffneten dagegen aus TVT-Sicht die Möglichkeit, hochtragende chronisch kranke oder von den Haltungsbedingungen und Leistungserwartungen überforderte Tiere über die Lebensmittelkette zu verwerten.
- Die TVT fordert: Wenn bei hochtragenden Tieren die Indikation für eine Tötung vorliegt sind diese ausnahmslos einzuschläfern und nicht zu schlachten.
- Auch die Ausnahme für Schaf und Ziege seien nicht hinreichend zu begründen. Durch ein entsprechendes Management könne man unbeabsichtigte Bedeckungen vermeiden. Per Ultraschall liesse sich auch bei diesen Tierarten eine Trächtigkeit routinemäßig feststellen oder ausschließen.
„Die TVT fordert die Entscheidungsträger deshalb auf, ein tatsächliches, grundgesetzkonformes Verbot der Schlachtung weiblicher Tiere in fortgeschrittener Trächtigkeit gesetzlich zu verankern und die fachlich unbegründeten und tierschutzwidrigen Ausnahmeregelungen zu streichen!“