Nach einem Bauchschuss musste ein Amtstierarzt notoperiert werden; Ärzte hatten ihn in ein künstliches Koma versetzt, eine Niere und einen Teil des Darms entfernt. Jetzt sagte der ehemalige Chef des Veterinäramtes im Landkreis Cuxhaven als Zeuge gegen den Landwirt aus, der ihn im Februar angeschossen hatte. Mit Polizeibegleitung waren er und Kollegen zu dem Hof gefahren, um ein vom Verwaltungsgericht angeordnetes Tierhaltungsverbot zu vollstrecken.
(jh) – „Mir geht es soweit gut, aber ich muss erhebliche Einschränkungen in meinem Leben hinnehmen“, sagte der 65-jährige ehemalige Veterinäramtsleiter des Landkreises Cuxhaven. Als Zeuge wurde er im aktuell vor dem Landgericht Stade laufenden Prozess gegen einen 56-jährigen Landwirt gehört. Dem wirft die Anklage versuchten Mord vor: Er habe versucht, einen Menschen heimtückisch zu töten.
Streit um ein Tierhaltungsverbot
Am 1. Februar, drei Monate vor seiner Pensionierung (wir-sind-tierarzt.de hat hier über den Fall berichtet) war der Amtstierarzt mit Kollegen und in Begleitung zweier Polizisten zu dem Hof in Osterbruch-Norderende gefahren. Er wollte ein vom Gericht angeordnetes Tierhaltungsverbot vollstrecken. Es ging um rund 100 Schafe, vier Pferde und 20 bis 25 Rinder. Die rechtliche Auseinandersetzung mit dem Tierhalter lief schon länger. Ihm war mehrmals vorgeworfen worden, die Tiere nicht tierschutz- und artgerecht zu halten. Mit Klagen und Beschwerden gegen ein angeordnetes Tierhalteverbot war der Bauer bereits mehrfach gescheitert.
Ohne Vorwarnung geschossen
Als der Amtstierarzt ihm die Verfügung aushändigen wollte, habe dieser sich die Anordnung nicht mal angeschaut, sagte ein anderer Zeuge. Weder der Tierarzt, noch die Polizisten und auch ein herbeigerufener Vertreters des Landvolks konnten den Landwirt überzeugen. Er wollte sich nicht von seinen Tieren trennen und ging dann kurz ins Haus, schildern Polizei und Zeugen den Ablauf.
Als er wieder rauskam – gegen 09:30 Uhr – hat er geschossen, plötzlich und „ohne jegliche Vorwarnung“, wie es in der Anklage heißt. Die Kugel traf den Amtstierarzt in den Bauch, durchschlug die Leber und verletzte weitere Organe lebensgefährlich. „Ich brach zusammen, ich weiß, dass ich auf den Hofplatz gelegen habe, und dass mir sehr kalt war“, erinnerte sich der Kreisveterinär. Er ist auch Nebenkläger in dem Prozess.
Täter war erstaunlich ruhig
Einer der Polizisten gab einen Warnschuss ab, worauf sich der Landwirt widerstandslos festnehmen ließ. Angeklagter und Tierarzt kannten sich aus dem jahrelangen Streit um die Art der Tierhaltung. Der Landwirt galt aber – so wurde es vor Gericht geschildert – nicht als aggressiv, ausfällig oder beleidigend. Er sei zwar „wenig kooperativ“ gewesen, habe aber auch nicht gedroht. So schilderte ein Verwaltungsmitarbeiter des Landkreises Cuxhaven es vor Gericht. Er war an dem Einsatz beteiligt.
Nach der Tat habe der Angeklagte der Aufforderung der Polizisten Folge geleistet. Er sei dann in Handschellen gelegt und auf dem Boden fixiert worden. Selbst in der Situation habe er noch gefordert, die Stalltür zu schließen, damit den Lämmern nicht zu kalt werde. „Das war schon erstaunlich, wie ruhig der war“, wunderte sich der 48-jährige Zeuge im Rückblick.
Unerlaubter Waffenbesitz
Die Tatwaffe, eine 9-Millimeter-Pistole der Marke „Star“ hatte der mutmaßliche Täter geerbt. Diese und eine weitere Waffe durfte er besitzen. Beide waren den Behörden auch bekannte. Die nötige Munition hatte sich der Landwirt allerdings wohl illegal beschafft. Auch das legt ihm die Anklage zur Last.
Mehr Gewalt gegen Amtstierärzte?
- Anfang 2015 hatte in Brandenburg ebenfalls ein Landwirt auf Mitarbeiter des Veterinäramtes geschossen und einen Angestellten getötet (wir-sind-tierarzt berichtete hier). Das Landgericht Potsdam verurteilte den 72-Jährigen Landwirt im September 2015 zu sieben Jahren Haft (ein Prozeßbericht hier).
- Im Mai 2016 steigt ein Landwirt auf seinen Trecker und rammt fünf Polizeiautos und zwei Transporter von Veterinären von der Strasse. Ein Tierarzt wurde dabei verletzt. Sie sollten den Rindern im amtlichen Auftrag Ohrmarken einziehen.
- Oktober 2016 hatte ein Landwirt im Kreis Kleve mit einer Eisenstange auf zwei Veterinäramtsmitarbeiter eingeschlagen und einen von ihnen schwer verletzt. Er wurde wegen versuchten Mordes angeklagt. Der Veterinärausschuss des Landkreistages NRW hatte dazu eine Stellungnahme verfasst (PDF-Download).
Der Deutsche Landkreistag (Erklärung hier) und der Niedersächsische Landkreistag (Erklärung hier) hatten sich bestürzt über die erneute Gewalttat Kreis Cuxhaven gezeigt und sie scharf verurteilten.
Behörden und Politiker appellieren an die Bürger, bei Konflikten zu unterscheiden zwischen der Behördenentscheidungen und den Menschen, die sie umsetzen (müssen).