Verbrauchermacht in den USA: Molkereien nehmen keine Hormonmilch mehr an

Anti-Hormonmilch-Kampagnen in den USA haben Erfolg: Molkereien nehmen Milch von behandelten Tieren nicht mehr ab. (Grafik: © learnstuff)

In den USA wurde jahrzehntelang die Milchleistung mit Hormonen gesteigert. Jetzt führen massive Verbraucherproteste wohl zu einem Ende. Ab Januar 2018 nehmen Molkereien im US-Bundesstaat Wisconsin – einem der „Milchstaaten“ in den USA – keine Milch von Betrieben mehr an, die mit dem Hormon rBST arbeiten. Dessen Einsatz ist in der EU nicht erlaubt. Das Beispiel zeigt, wie Verbraucher Märkte verändern.

von Annegret Wagner

Bovines-Somatotropin (BST) ist ein Hormon, das in der Hypophyse der Rinder gebildet wird und das Wachstum der Tiere beeinflusst. Bereits in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts wurde BST bei Rindern eingesetzt, um die Milchproduktion zu erhöhen. Experimente in den 30er Jahren hatten gezeigt, dass sich mit Somatotropin die Milchleistung steigern lässt.

„Ohne rBST“ wird vom Nischensiegel (2014/Foto) künftig in Wisconsin zur Liefervoraussetzung. (Foto:WiSiTiA/aw)

Synthetische Herstellung für den Massenmarkt

Die eigentliche Revolution begann, als Monsanto im Jahr 1994 ein synthetisch hergestelltes Somatotropin (rBST) auf den Markt brachte. Bis dahin konnte man das Hormon ausschließlich aus Tierkadavern gewinnen und die Verfügbarkeit war entsprechend eingeschränkt. Monsanto benutzte für sein Produkt gentechnisch veränderte E. Coli-Bakterien, die das BST-Gen auf einem Vektor tragen.
Die Hormon wirkt, indem es das Absterben von Milchdrüsenzellen ab dem zweiten Drittel der Laktation (ab etwa 70 Tage nach der Geburt) verhindert beziehungsweise reduziert. Im Idealfall sollte es daher nur bei Kühen eingesetzt werden, die mehr als 100 Tage in der Laktation stehen, sich in gutem Allgemeinzustand befinden und wieder trächtig sind.

Effektive Ressourcennutzung

Argumente für den Einsatz von rBST sind eine höhere Effektivität der Kühe. Sie nutzen   Ressourcen (u.a Futter) besser aus. Prof. Michael Hutjens hat ausgerechnet, dass in Wisconsin für die gleiche Milchmenge ohne rBST 59.000 Kühe mehr gehalten werden müssten. Sie stießen dann 733.000 Tonnen mehr Kohlendioxid aus.
Der rBST-Einsatz bedeutet auch eine Steigerung des Gewinns für die Landwirte. So schätzt etwa Jim Milsna, ein Milchviehhalter und Tierarzt aus Wisconsin, dass er pro Jahr rund 87.000 US-Dollar weniger verdienen wird, wenn er das Präparat nicht mehr anwenden kann und die Milchleistung seiner Kühe entsprechend sinkt.
„Wir lassen uns von fünf Prozent der Bevölkerung vorschreiben, was die anderen 95 Prozent tun dürfen,“ moniert Milena mit Blick auf Aktivisten und Verbraucherschützer. Die protestieren schon seit 2009 vehement gegen den Einsatz von rBST in der Milchproduktion. Nach und nach haben sie erreicht, dass Käufer Milch meiden, die mit Hilfe von rBST gewonnen wird.

Verbraucheraufklärung über Hormone in der Milch in den USA: Worauf muss man bei Kampagnensiegeln achten. (Screenshot: © consumerreport)

Kein Schaden für Verbraucher

Tatsächlich ist nicht bewiesen, dass Milch aus rBST-Beständen schädlich für den Konsumenten ist. Die Aminosäuresequenz dieses Proteins ist zu über 70 Prozent mit der des menschlichen Somatotropins identisch.
Ob die Anwendung von rBST zu Gesundheitsproblemen bei Kühen führt, ist ebenfalls nicht eindeutig belegt. Ian Dohoo von der University of Prince Edward Island (Kanada), sieht Gesundheitsprobleme bei den Kühen. Er veröffentlichte im Jahr 2003 eine Meta-Analyse, aus der hervorgeht, dass die Tiere vermehrt unter Euterentzündungen, Lahmheiten und Fruchtbarkeitsproblemen leiden, wenn sie rBST erhalten. Dagegen konnte eine weitere Meta-Analyse von Normand St-Pierre (Ohio State University / USA) für die Zinkvariante des Hormons (rBST-Zn) keine negativen Gesundheitseffekte belegen.
Ein Aspekt, der kaum berücksichtigt wird, ist die Frage: Was bewirkt rBST beim ausgewachsenen Tier tatsächlich? Es handelt sich immerhin um ein Wachstumshormon, daher könnte es sein, dass es Schmerzen an den Akren (Ohren, Zehen etc.) und im Bereich der verknöcherten Wachstumsfugen der Knochen auslöst.

Die Macht der Verbraucher

Abseits möglicher Gesundheitsrisiken und Fragen der Wirtschaftlichkeit geht es den Verbrauchern und Aktivisten aber um eine ganz einfache Frage: Darf man Tieren Hormone und andere Substanzen verabreichen, um deren Leistung zu verbessern? Der Begriff „Doping“ drängt sich sofort auf, denn vor allem im Sport greifen Athleten auf diese Möglichkeit der Leistungssteigerung zurück.
Die Anwendung von BST war und ist deshalb weder in Kanada noch der EU erlaubt. Jetzt steht sie wohl auch in den USA aufgrund massiver Verbraucherproteste vor dem Aus.

wir-sind-tierarzt.de meint: Auf die Signale achten

(aw) – Diese Entwicklung sollte Landwirten und Tierärzten zu Denken geben. Gerade der Einsatz von Hormonen wird in diesen Berufsgruppen eher selten hinterfragt. Ein Beispiel ist die Ferkelproduktion, die aktuell aufgrund der problematischen Gewinnung des Hormons PMSG in der Kritik steht.
Der Einsatz von Hormonen erfolgt bei Sauen zur Synchronisation von Arbeitsabläufen  vor allem aus hygienischen Gründen und weil sich so potentiell die Anwendung von Antibiotika reduziert. Doch ob es ethisch vertretbar ist, weibliche Tiere derart zu „takten“, darf durchaus hinterfragt werden – und wird es in Zukunft mit Sicherheit auch. Zumal die Abbauprodukte über Urin und Kot auch in die Umwelt gelangen. Früher oder später steht die Frage im Raum: Rechtfertigen die Vorteile tatsächlich die eventuellen Langzeiteffekte?

Davon abgesehen bringt der Einsatz von Hormonen den Landwirten als Berufsgruppe insgesamt offenbar keine wirtschaftlichen Vorteile: In den USA ist trotz rBST die Anzahl der Milchviehhalter in den letzten 25 Jahren massiv zurück gegangen. Auch die deutschen Schweinezüchter kämpfen trotz steigender Sauenproduktivität nach wie vor vielfach um ihre Existenz. So meldet aktuell das statistische Bundesamt: „Besonders deutlich zeigte sich ein Strukturwandel bei Betrieben mit Zuchtsauen, deren Zahl binnen eines halben Jahres um 4,3 % (– 400) abgenommen hat. Im Mai 2017 wurden nur noch 8 400 Betriebe mit dieser Produktionsrichtung erfasst.“ Insgesamt ist der deutsche Schweinebestand so niedrig wie seit 2010 nicht mehr.  

Die Macht der Verbraucher darf in der Lebensmittelproduktion nicht unterschätzt werden und Landwirte und Tierärzte tun gut daran, Behandlungen von Tieren – ob mit Hormonen oder Antibiotika – solide begründen zu können.

Quellen im Artikel verlinkt

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Über den Autor

Annegret Wagner

Dr. Annegret Wagner (aw) hat in Gießen Tiermedizin studiert und arbeitet seit 1991 in der Großtierpraxis; seit 2005 niedergelassen in eigener Praxis mit Schwerpunkt Milchrind im Raum Rosenheim. Seit 2006 arbeitet sie auch als tiermedizinische Fachjournalistin. So hat sie für die VETimpulse die Nutztierthemen betreut und übernimmt diese Aufgabe auch bei wir-sind-tierarzt.de. Um nicht zum Mia-san-mia-Bayer zu mutieren, schaut sie intensiv über den Alpenrand hinaus, vorzugsweise ins englischsprachige Ausland. Kontakt: annegret.wagner(at)wir-sind-tierarzt.de
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