Die langen aber ganz schön zu, die Tierärzte: 100 Millionen Euro ist das Volumen der aktuellen Erhöhung der tierärztlichen Gebührenordnung (GOT). Prozentuale Aufschläge von 12 bis 30 Prozent müssen die Bauern und die „Bürgerinnen und Bürger, die Heimtiere halten“ zahlen. Warum so viel auf einen Schlag? Sind die Tierärzte raffgierig? Ein Kommentar.
Hinweis: Die GOT-Erhöhung ist zum 27.7.2017 in Kraft getreten – einen Übersichtsartikel mit Link zur neuen GOT/neuen Preisen finden Sie hier
Hier können Sie die neue GOT als PDF herunterladen (aktualisiert: 1.9.2017)
Ein Kommentar von Jörg Held
Stimmt, er wird teurer der Tierarzt. Und zwar deutlich (Hintergründe hier) – wenn sich denn die Praxen trauen, die aktuell beschlosse Gebührenerhöhung 1:1 umzusetzen. Die absoluten Zahlen, zu finden im Gesetzesentwurf zur GOT-Erhöhung* unter Erfüllungsaufwand, lesen sich beachtlich:
- 100 Millionen Euro Aufschlag insgesamt;
- 58 Millionen davon müssen die Bauern zahlen, allein 26,5 Millionen für den 30-Prozent-Aufschlag bei der tierärztlichen Bestandsbetreuung in der Nutztierhaltung.
- Für die „Bürgerinnen und Bürger, die Heimtiere halten“, summieren sich die 12 Prozent, um die der GOT-Einfachsatz erhöht wird, auf 42,6 Millionen Euro.
Das alles, weil die Bundesregierung der Meinung sei, „tierärztliche Leistungen sollen besser honoriert werden,“ heißt es in einer Agenturmeldung.
Drei Dinge machen wütend
1. Warum die Tierärzte jetzt solch einen vermeintlich „großen Schluck aus der Pulle nehmen“, arbeitet niemand sauber auf.
Es bleibt stets ein Nebensatz am Ende, dass die letzte GOT-Erhöhung neun Jahre her ist. 1.000 Euro Umsatz aus dem Jahr 2008 sind heute aber nur noch 894 Euro wert (siehe Tabelle).
Ein „Leistung besser honorieren“ sieht anders aus. Hier wird mit Mühe die Inflation ausgeglichen.
2. Ein ganzer Berufsstand kann also weiter sehen, woher er (s)eine „Gehaltserhöhung“ bekommt.
Gegenüber 2008 ist der jetzige Aufschlag eben nur ein Inflationsausgleich. Selbst wenn die Tierärzte im Praxisalltag künftig den um 12 Prozent erhöhten GOT-Satz berechnen, haben sie gegenüber 2008 noch nicht einen Cent mehr „verdient“ (siehe auch Nachtrag unten). Zum Vergleich: Tariferhöhungen von insgesamt 24,65 Prozent (ohne kumulative Effekte) gab es seit 2008 für den öffentlichen Dienst (eine Übersicht für Gesamtdeutschland ab 2006 finden Sie hier). Entsprechend hatten die Tierarztverbände eine vergleichbare Anpassung zwischen 20 und 25 Prozent gefordert. Das zuständige Landwirtschaftsministerium hat diese Forderung zwar „als berechtigt“ anerkannt, nur eben nicht umgesetzt.
3. Jetzt müssen sich (viele) Tierärzte dafür rechtfertigen, dass sie auf einen Schlag „so viel teurer“ werden.
Die Abrechnung nach GOT (mindestens Einfachsatz) ist gesetzlich vorgeschrieben. Die Praxen müssen, sollen und wollen erhöhen.
Es bleibt im ganzen Prozedere aber ein unschöner Unterton: Hohe Prozentzahlen, Millionenbeträge, fast 300 Euro Mehrkosten pro Nutztierhalter – der Rechtfertigungsdruck dafür liegt bei den Tierärzten. Sie müssen jetzt die Diskussion mit ihren Kunden führen. Sie müssen ausbaden, dass der Gesetzgeber zweimal hintereinander (1998 und 2008) über jeweils neun(!) Jahre eine kontinuierliche Anpassung verschleppt und Zwölf-Prozent-Sprünge „verordnet“ hat.
Es ist also dringend an der Zeit, dieses anachronistische Muster einer verschleppten Gebührenanpassung zu durchbrechen. Die Forderung der Bundestierärztekammer nach einer …
- … laufenden Anpassung der Gebührensätze an die Teuerungsrate, welche den praktizierenden Tierärzten die wirtschaftliche Basis für den Betrieb von Praxen ermöglicht, die den Qualitätsansprüchen der Gesellschaft und dem medizinischen Standard entsprechen …
… ist mehr als berechtigt, ihre Umsetzung überfällig. Eine staatlich vorgegebene Gebührenordnung muss sicherstellen, dass die Rechtsunterworfenen nicht von der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung abgekoppelt werden– sonst hat sie ihr Ziel schlicht verfehlt.
Alternative: GOT abschaffen
Ansonsten sollte man den Tatsachen ins Gesicht blicken und die GOT komplett abschaffen – wie es etwa die Niederländer getan haben.
Die deutsche Gebührenordnung ist in Europa ein Sonderweg. Sie soll sicherstellen, dass beim emotionalen Thema (Tier)Gesundheit keine Preisexzesse möglich sind, Notlagen nicht ausgenutzt werden. Die Gebührenordnung schützt also vor allem die Tierhalter, indem sie für einen gewissen Grad an Preistransparenz und Nachprüfbarkeit sorgt.
Gleichzeitig definiert sie eine Preisuntergrenze, die die medizinische Qualität sicherstellen soll. Diesen Aspekt von Gebührenordnungen sehen allerdings die europäischen Wettbewerbshüter sehr kritisch: Sie vermuten ein Wettbewerbshindernis – und forderten wiederholt eine Abschaffung.
Für die Praxen aber kann es letztlich wirtschaftlich erfolgsversprechender sein, wenn sie ihre Preise komplett auf Basis ihrer individuellen Kostensituation kalkulieren können, anstatt sich auf staatliche Rahmenvorgaben zu verlassen. Das Preisniveau ist in europäischen Nachbarländern ohne Gebührenordnung (Großbritannien, Niederlande, Dänemark, Schweden, etc.) jedenfalls inzwischen deutlich höher als in Deutschland.
Nachtrag:
Und nein: Die Faktorstaffelung der GOT ist nicht dazu da, dass sich Tierärzte selbst jährlich eine „Gehaltserhöhung“ verordnen. Dass sie laut Gebührenordnung (§2) für ihre Leistung zwischen dem ein- und dreifachen Satz abrechnen dürfen, soll die „… besonderen Umstände des einzelnen Falles, insbesondere der Schwierigkeit der Leistungen, des Zeitaufwandes, des Wertes des Tieres sowie der örtlichen Verhältnisse“ berücksichtigen. Speziell im letzten Punkt geht es um technische Ausstattung oder andere praxisindividuelle Mehrkosten (etwa höhere Mieten in Ballungsräumen).
Wenn betriebswirtschaftlich kalkulierende Praxen über den Faktor auch die laufenden Kostensteigerungen ausgeglichen haben, war das ökonomisch klug und unternehmerisch notwendig – aber nicht im Sinne des GOT-Gedankens.