Tiere töten, nur weil sie als invasiv gelten? Das wäre aus Tierschutzsicht absolut inakzeptabel. Fünf Tierschutzverbände reagieren auf die EU-Verordnung, die weiteren Zuzug invasiver Arten verhindern will. Sie fordern für hier lebende Tieren dabei das deutsche Tierschutzgesetz als Maßstab anzusetzen – ein Positionspapier.
(hh) – Schätzungen zufolge gibt es über 12.000 gebietsfremde Arten in Europa; rund 10 bis 15 Prozent davon gelten als invasiv – das heißt: Sie können mit ihrer Ausbreitung andere Arten verdrängen oder Ökosysteme beeinträchtigen und so der biologischen Vielfalt (Biodoversität) schaden. Einige gelten auch als Krankheitsüberträger, andere verursachen ökonomische Schäden, etwa in der Landwirtschaft. Der wirtschaftliche Schaden wird EU-weit insgesamt auf über 12 Mrd. Euro pro Jahr geschätzt.
EU will invasive Arten eindämmen – aber wie?
Die EU hat darauf reagiert und zunächst eine Verordnung zum Umgang mit diesen Arten vorgelegt und diese dann um eine erste Artenliste ergänzt. Diese Tier und Pflanzenarten dürfen seit August 2016 nicht absichtlich in die EU eingebracht, dort gehalten, gezüchtet, befördert, in Verkehr gebracht, verwendet oder getauscht, zur Fortpflanzung gebracht oder freigesetzt werden. Im Juni 2017 will man die Liste erweitern.
Wie die einzelnen EU-Staaten diese Vorgabe umsetzen, bleibt diesen überlassen. Die Tierschutzverbände fürchten nun, das gerade bei invasiven Tierarten diese intensiv bejagt oder anderweitig getötet werden könnten. So soll bei Brilon ein ganzer See trockengelegt und zugeschüttet werden, um die dortige Population von Signalkrebsen und deren Brut zu eliminieren.
Gemeinsames Positionspapier …
Wie in Deutschland die Behörden verwaltungsrechtlich die invasiven Arten bekämpfen, ist noch gesetzlich geregelt. Ein Gesetzesentwurf steht vor der für Ende Juni geplanten Verabschiedung.
Fünf Tierschutzverbände …
- der Bund gegen Missbrauch der Tiere
- der Bundesverband für fachgerechten Natur-, Tier- und Artenschutz
- der Deutsche Tierschutzbund
- die Auffangstation für Reptilien München
- und die Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz
… haben deshalb ein gemeinsames Positionspapier zur Umsetzung der EU-Verordnung für invasive, gebietsfremde Arten in Deutschland vorgelegt. Sie sorgen sich um den Umgang mit diesen Tieren und fordern, dass dem Tierschutz oberste Priorität eingeräumt wird.
… mit Tierschutzforderungen:
Die Verbände erwarten,
- dass Tierheime und Auffangstationen auch zukünftig Tierarten, die als invasive, gebietsfremde Arten gelistet sind, aufnehmen, pflegen und vermitteln dürfen. (…) Der Bund und die Länder müssen dringend handeln, etwa mit finanzieller Hilfe für die Tierheime und mit dem Bau staatlicher Auffangstationen.
- Tötungs- oder Ausrottungsmaßnahmen für Tiere, nur weil sie als invasiv gelten, werden aus Tierschutzsicht abgelehnt und zudem als nicht zielführend angesehen. Dem Präventionsgedanken muss Vorrang eingeräumt werden. (…) Verletzten oder verwaisten Wildtieren muss weiterhin geholfen werden dürfen. Ebenfalls müssen rechtliche Sicherheiten für private Tierhalter geschaffen werden, die das Weiterleben und die Unversehrtheit der betroffenen Tiere garantiert
- Hinsichtlich Kontroll-, Beseitigungs- und Managementmaßnahmen müssen tierschutzgerechte Möglichkeiten unbedingt Vorrang erhalten, um sowohl Stress als auch Schmerzen, Leiden und Schäden der betroffenen Tiere zu minimieren oder ganz zu vermeiden. Da bisher bei Beseitigungsmaßnahmen vor allem tödliche Methoden (z.B. Abschuss, Totschlagfalle, Giftköder, etc.) eingesetzt werden, bedarf es hier eines Umdenkens im Sinne des Tierschutzes. Diesbezüglich gilt es, entsprechende Strategien im Umgang mit als invasiv eingestuften Arten zu entwickeln, die prioritär tierschutzgerechte und nicht-tödliche Maßnahmen verfolgen. (…)
Tierschutzverbände fordern: Keine pauschale Tötung
Das Problem: Die EU überlässt es den Mitgliedsstaaten, die entsprechenden Methoden zu wählen und anzuwenden. Dabei könnten „sowohl letale als auch nicht-letale Möglichkeiten eingesetzt werden“, berichten die Tierschutzverbände in ihrem Positionspapier. Insbesondere, wenn Arten bereits weit verbreitet sind, wie der Waschbär in Deutschland, seien Managementvorgaben angebracht. Statt vergebliche Ausrottungsversuche zu starten, solle man eher in Richtung Unfruchtbarmachung gehen – analog zum Umgang mit verwilderten Katzen. Auch bleibe bisher unklar, wie mit verletzten oder verwaisten Tieren umzugehen ist.
Der Deutsche Jagdverband (DJV) hält dies angesichts der starken Ausbreitung zum Beispiel von Waschbären für realitätsfern. So müssten in Deutschland weit mehr als 130.000 Waschbären (Jagdstrecke 2015/16) jährlich gefangen und kastriert werden. Kostenpunkt rund 13 Millionen Euro jährlich.
Verbände: Umdenken im Sinne des Tierschutzes
„Grundsätzlich ist es zu begrüßen“, schreiben die Verbände, „dass die EU Vorkehrungen ergriffen hat, mit dem Ziel, unsere heimischen Ökosysteme zu schützen und vor invasiven Tier- und Pflanzenarten zu bewahren. Wichtig ist es hierbei jedoch, den präventiven Gedanken in den Mittelpunkt zu stellen. Der Zuzug noch nicht etablierter potentiell invasiver Arten ist zu verhindern und die Weiterausbreitung bereits etablierter Arten ist durch Verbot des Imports, der Nachzucht und des Handelns mit diesen Arten zu reduzieren. Für alle als invasiv geltenden Arten, die bereits in Deutschland leben, sind das deutsche Tierschutzgesetz und Art.20a des Grundgesetzes als Maßstab für alle geplanten Maßnahmen anzusetzen.“
Wen betrifft die EU-Verordnung?
Bedeutung hat die Verordnung für Ämter und Behörden, für private Tierhalter, gewerbliche Bestände, Tierheime, Zoos und Auffangstationen und für Tierärzte.
Wichtig für (private) Tierhalter: Für Tiere, die zum Inkrafttreten der Verordnung und der Unionsliste bereits gepflegt wurden und werden gilt Bestandsschutz. Das heißt, sie dürfen bis zu ihrem Lebensende weiter gehalten werden. Aber die Unterbringung und Haltung der Tiere muss so sicher sein, dass sie weder entweichen noch sich reproduzieren können. Es darf auch kein neues Listen-Tier angeschafft werden. Ebenso ist die Abgabe von Tieren oder der Transport nicht erlaubt.
Bislang besteht für invasive Arten keine Dokumentations-, Melde- oder Nachweispflicht für Privathalter. Dennoch raten die Verbände dringend, Nachweise für den Vorbesitz der Tiere aufzubewahren und gegebenenfalls den Altbestand an Tieren – freiwillig – den Naturschutzbehörden zu melden. So könne man den Bestandsschutz für den Altbestand abgesichern.