Meldungen über „Tierschutzskandale“ folgen fast immer einem Drehbuch: Exklusiv und vorab berichten „Leitmedien“, denen „Material vorliegt“. Dann folgt zeitverzögert eine Pressekonferenz/Pressemitteilung und die „Restmedien“ klappern nach. Wie Greenpeace, Peta & Co den Exklusivhunger von Journalisten geschickt bedienen und professionell auf der PR-Klaviatur spielen und warum das für die „Vierte Gewalt im Staat“ (die Medien) nicht unbedingt imagefördernd ist – ein Kommentar.
Kommentar von Jörg Held
Greenpeace, Peta & Co sind Medienprofis. Die Veröffentlichung von „Skandalvideos“ oder „Rechtsgutachten“ ist strategisch gut geplant. So berichtete dieser Tage erst der Spiegel auf Basis von Peta-Videos über Missstände in der Schweinemast. Dann präsentierte Greenpeace ein Rechtsgutachten zur „verfassungswidrigen Schweinemast“ – flankiert mit Videoaufnahmen, die man „anonym erhalten habe“. Die Gutachterin selbst war ehemals Peta-Syndikusanwältin.
Hauptdarsteller: Exklusiv informierte Leitmedien
Ganz wichtig bei diesen Aktionen sind immer auch vorab informierte Journalisten. Diese bekommen so einen Wissens-, Zeit- und auch „Bilder“vorsprung. Der Absender kann sicher sein, dass sein Material verbreitet wird.
Diesmal waren es (wieder) „BR Recherche und Süddeutsche Zeitung“ … denen … „ein Rechtsgutachten vorliegt“. Diese „elegante“ Formulierung bedeutet: Man hat nicht etwa selbst recherchiert, sondern schlicht früher Zugriff auf die Quellen gehabt. Journalistisch sauber wäre die Einordnung: „Greenpeace hat uns vorab Gutachten, Stellungnahmen und Videomaterial zur Verfügung gestellt.“
Diese Vorabberichte zeichnen sich meist dadurch aus, dass die Botschaft des Absenders zunächst einmal ohne „störende“ Stellungnahmen und Einordnungen der „anderen Seite“ veröffentlicht werden. So hat BR24 am Vorabend der Pressekonferenz schlicht das Greenpeace-Videomaterial gesendet (online hier abzurufen – nur noch bis 9.5.2017).
Restmedien hecheln hinterher
Gleichzeitig setzt der Absender so die „Restmedien“, die auf die Informationen aus der regulären Pressekonferenz angewiesen sind, unter Zugzwang. Ihnen bleibt wenig(er) Zeit, das Material zu sichten und weitere Stellungnahmen einzuholen, denn die Nachricht ist ja schon seit Stunden „raus“ – man will nicht der Letzte sein.
Schön nachvollziehen lässt sich dieser Mechanismus an der Berichterstattung über das Greenpeace-Gutachten:
Deutlich vor der 10:00 Uhr Pressekonferenz am 3. Mai berichten die „Recherchemedien“ Süddeutsche Zeitung (hier um 8:31) und der BR bereits morgens im Hörfunk. Die „Verbundautoren“ bieten ihr Vorabwissen auch weiteren Medien an (etwa dem Deutschlandfunk hier).
Dann folgt mit zeitlichem Abstand eine Reihe von Berichten auf Basis der Pressekonferenz (auch von wir-sind.tierarzt.de). Im Tagesverlauf gibt es dann weitere Meldungen, die nach und nach auch Stellungnahmen anderer Institutionen enthalten (z.B. Tagesschau.de). So hat auch der BR seine ursprüngliche „Exklusiv“-Meldung im Tagesverlauf um das Statement von Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt ergänzt.
Auch wir haben die weitere Einordnung durch Stellungnahmen erst mit einem zweiten Artikel vorgenommen.
Den ersten Aufschlag – und damit die meist größte Wirkung – hat aber die Vorabberichterstattung. Sie bestimmt oft den „Tenor“ einer News.
Die steuerbare Vierte Gewalt?
Da immer mehr Menschen in Zeiten des World Wide Web und von Social-Media diese Mechanismen erkennen und auch nachvollziehen können, sollten wir Journalisten – und insbesondere die Kollegen beim öffentlichen Rundfunk und den großen Tageszeitungen, die einen Ruf als Qualitätsmedien beanspruchen – aufpassen, dass wir uns nicht zu sehr und zu oft mit einer Sache gemein machen – sei es auch eine noch so gute(!)*.
NGO’s jedenfalls nutzen den Journalisten-Hunger nach Exklusivität sehr geschickt. Speziell die Berichte über Tierschutzskandale folgen fast ausschließlich diesem Muster der Vorabinformation von „Leitmedien“.
Mir wird zunehmend Unwohl, wenn ich sehe, dass meine eigene Profession so leicht zu „steuern“ ist. Gerade von den „Großen“, die als Vierte Gewalt im Staat ein wichtige Rolle haben, würde ich mir wünschen, dass sie mehr eigene Recherchen vornehmen oder zumindest transparent einordnen, wie sie an ihre Informationen gekommen sind.
Das wertet meiner Meinung nach weder das Medium noch den Inhalt der Berichte ab – oder haben die Kollegen Sorge, es würde zu deutlich sichtbar, dass man vorab „bedient“ wurde?
Nachtrag: Diesen Weg der „Exklusiv-Fütterung“ von Journalisten wählen nicht nur die NGOs. Auch das Bundeslandwirtschaftsministerium hat es versucht – aktuell bei der Präsentation der Kriterien für das staatliche Tierschutzlabel, die „plötzlich in Umlauf waren“. Roland Krieg vom Agrarinformationsdienst Herd und Hof hat das hier sehr gut aufgearbeitet – inklusive Nachfrage beim BMEL.
Nur lässt man einem Ministerium solche Praktiken nicht ganz so leicht und wohlwollend durchgehen, wie Greenpeace & Co.
*vollständiges Zitat von Grimme-Preisträger und Tagesthemenmoderator Hanns Joachim Friedrichs
„Das hab’ ich in meinen fünf Jahren bei der BBC in London gelernt: Distanz halten, sich nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht mit einer guten, nicht in öffentliche Betroffenheit versinken, im Umgang mit Katastrophen cool bleiben, ohne kalt zu sein. Nur so schaffst du es, daß die Zuschauer dir vertrauen, dich zu einem Familienmitglied machen, dich jeden Abend einschalten und dir zuhören.“
Hanns Joachim Friedrichs: Interview mit dem Spiegel