Die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung sei – insbesondere für die Mastschweinehaltung – rechtswidrig. Das sagt Greenpeace und beruft sich auf ein eigens erarbeitetes Rechtsgutachten. Man hoffe nun auf ein Normenkontrollverfahren, das etwa vom Land Berlin geprüft werde. Analog zum Legehennenurteil des Bundesverfassungsgerichtes, das 1999 die Käfighaltung verboten habe, erwarte man eine Neufassung der Verordnung. (aktualisiert: 4.5.2017)
(jh) – Schweine könnten sich in der großen Mehrzahl der gesetzeskonformen deutschen Mastställe weder ausreichend bewegen noch artgerecht verhalten. Sie müssten Leiden und Schmerzen ertragen. Davon ist Greenpeace überzeugt und führt als Beleg „umfangreiches Bildmaterial aus deutschen Tierställen“ an. Dieses zeige eine schockierende Praxis:
Schweine, die zentimetertief in ihrem eigenen Kot stehen, die zum Teil blutige Verletzungen tragen, mit deutlichen Verhaltensstörungen wie Stangenbeißen, Leerkauen oder dem trauernden Hundesitz. Viele Tiere leiden an Klauen- und Gelenkerkrankungen sowie Herz-Kreislauf- und Lungenkrankheiten.
Auf einer Pressekonferenz erläuterte Tierärztin Dr. Claudia Preuß-Überschär entsprechende Videoaufnahmen aus acht Mastställen „mit hoher Viehdichte“. Auch auf Nachfrage erklärte Greenpeace, dass diese anonym erstellten Bilder keine Einzelfälle seien, sondern den Alltag in deutschen Schweinhaltungen zeigen würden – und verwies dabei auch auf die aktuelle Berichterstattung des Spiegel, die auf Video-Aufnahmen von PETA basiert. Es gebe ein „systemisches Problem in der Nutztierhaltung“.
Forderung: Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung verschärfen
Deshalb hat die Umweltschutzorganisation ein Rechtsgutachten (Details und Argumentation siehe unten) erstellen lassen, dass zu folgendem Ergebnis kommt:
- Die derzeit „zulässige“ Haltungsform für Mastschweine verstößt gegen das Tierschutzgesetz und auch gegen die Staatszielbestimmung Tierschutz (Artikel 20a Grundgesetz).
- Das gelte auch für die Vorgaben der bisher bestehenden oder geplanten „freiwilligen Tierwohlinitiativen“ des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMEL/Einstiegsstufe) und der wirtschaftsgetragenen Initiative Tierwohl. Beide Initiativen würden die gesetzlichen Anforderungen des Tierschutzgesetzes nicht erfüllen.
Greenpeace fordert das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) deshalb auf, die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung zu ändern. „Das BMEL muss die Haltungsvorschriften dringend verschärfen und das Leiden in den Ställen beenden“, sagt Stephanie Töwe, Greenpeace-Landwirtschaftsexpertin. „Die Haltung muss den Bedürfnissen der Tiere angepasst werden – nicht die Tiere den Haltungsbedingungen.“
Parallel wolle man ein Normenkontrollverfahren anstoßen. Für das Land Berlin prüfe der grüne Landwirtschaftssenator Dirk Behrendt dies bereits „wohlwollend“. Ein Bundesland oder der Bundestag (mind. ein Viertel der Abgeordneten) können auf diesem Weg die Überprüfung einer Rechtsnorm durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) erzwingen. So war der Auslöser für das „Legehennenurteil“ des BVerfG von 1999 ebenfalls eine sogenannte „abstrakte Normenkontrolle“. Im Ergebnis hat das Gericht nach neun Jahren Verhandlungsführung die Käfighaltung für Legehennen verboten, weil die Richter die Bedürfnisse der Hennen in dieser Haltungsform unverhältnismäßig zurückgedrängt und als Verstoß gegen Tierschutzrecht ansahen.
Was sagt das Greenpeace-Rechtsgutachten?
Erstellt haben das Greenpeace-Gutachten (PDF-Download hier) die Hamburger Anwälte Dr. Davina Bruhn und Dr. Ulrich Wollenteit. Bruhn war früher Syndikusanwältin der Tierrechtsorganisation PETA Deutschland. Das Gutachten argumentiert dabei wie folgt:
- Die Generalklausel in §2 Tierschutzgesetz (TSchG) legt fest, dass ein Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernährt, gepflegt und verhaltensgerecht untergebracht werden muss. Bei diesen Grundbedürfnissen erlaube der Gesetzgeber keine Relativierung.
Außerdem dürfe eine Einschränkung der Bewegung nicht zu Schmerzen oder vermeidbaren Leiden oder Schäden führen. - Das Tierschutzgesetz ermächtige den Gesetzgeber, diese Generalklausel mit einer Verordnung (hier Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung) zu konkretisieren. Dabei sei er aber verpflichtet, neueste Erkenntnisse der Verhaltensforschung heranzuziehen. Auch dürfe eine nachrangige Verordnung das Schutzniveau der Generalklausel nicht absenken.
- Die aktuell geltende Tierschutz- Nutztierhaltungverordnung (TierSchNutztV) von 2006 beschreibe und erlaube aber Haltungsbedingungen für Mastschweine, die von der „Generalklausel“ und dem im Staatsziel Tierschutz verankerten „Optimierungsgebot“ nicht (mehr) gedeckt seien.
Greenpeace glaubt, dass die Argumente des Gutachtens (Details siehe unten) nicht nur für die Schweinemast gelten, sondern auch auf die Haltung von Geflügel oder anderen Nutztieren übertragbar sind.
Bauernverband: Gutachten juristisch wenig belastbar
Der Deutsche Bauernverband betont in einer ersten Stellungnahme: „Die Schweinehaltung ist gesetzeskonform.“ Sie sei das Ergebnis einer Güterabwägung zwischen Verbraucherschutz, Tierwohl, Tiergesundheit, Arbeitsschutz, Emissionsschutz sowie der Ökonomie und unterliege einem dichten Gesetzes- und Regelungsgefüge sowie einem engmaschigen Kontrollsystem. Die juristischen Aussagen des Gutachtens seien wenig belastbar.
Argumente des Rechtsgutachtens
Konkret argumentiert das Greenpeace-Gutachten: Schweine könnten in Ställen, die den Vorgaben der TierSchNutztV entsprächen, die folgenden, vom Tierschutzgesetz garantierten Bedürfnisse nicht ausleben:
- Ernährung – statt, wie bei sozial lebenden Schweinen üblich, sieben bis acht Stunden gleichzeitiger Nahrungsaufnahme und Futterbearbeitung erhielten Mastschweine üblicherweise nur zwei mal täglich für 10 bis 20 Minuten Flüssigfutter. Sie könnten aufgrund der Enge in gesetzeskonformen Ställen (1qm Platz für 100 Kilo-Schweine) auch oft nicht alle gleichzeitig fressen. Statt 70 bis 80 Prozent der tägliche Aktivitätszeit mit Nahrungssuche und Wühlen zu verbringen, sei die Haltung auf Spaltenböden ohne verpflichtende Einstreu und Wühlmöglichkeit erlaubt.
- Pflege – zur „Eigenkörperpflege/Hautpflege“ gehöre, dass Schweine sich an fremden Gegenständen scheuern, zur Thermoregulation verschiedene Klimazonen aufsuchen könnten und Kot- und Liegebereich getrennt seien. Scheuern sei in den Ställen nicht oder nur stark eingeschränkt möglich, es gebe keine Abkühlungsmöglichkeiten und in den zugelassenen Einflächenbuchten existierten keine getrennten Bereiche für Koten/Liegen.
- Verhaltensgerechte Unterbringung – sie müsse das ungehinderte Ausleben der Verhaltensabläufe aller Funtkionskreise ermöglichen. Dazu zähle ungestörtes Ruhen / Bau von Schlafnestern sowie ein ausgeprägtes Sozial- und Erkundungsverhalten. In den bisher zugelassen Stallanlagen sei das aufgrund fehlenden Platzes, fehlender Einstreu und fehlender Strukturierung der Buchten nicht oder nur stark eingeschränkt möglich.
- Einschränkung der Bewegung – die Vorgabe der TierSchNutztV mit maximal einem Quadratmeter Platz pro Mastschwein sei unzureichend und kein angemessenes Platzangebot. In der Folge komme es zu Erkrankungen und Verhaltensstörungen.
Weit besser als in Deutschland sehe es laut Greenpeace beispielsweise in Schweden, der Schweiz und Österreich aus. Dort fordere der Staat deutlich bessere Ausstattungen der Stallanlagen bei Tageslicht, Stallaufteilung, Spiel- und Wühlmaterial, Bodenbeschaffung und Kühlungsmöglichkeiten.