„No antibiotics ever“ – immer mehr US-Geflügelkonzerne werben mit solchen Slogans. Die Welle schwappt auch nach Deutschland, wo REWE Fleisch aus garantiert antibiotikafreier Schweinemast anbieten will. Werden kranke Tiere also künftig diskriminiert?
von Annegret Wagner und Jörg Held
„Antibiotic free“ oder „no antibiotics ever“ – so lauten neue Werbeversprechen aus den USA. Unter dieser Überschrift wird aktuell vor allem Geflügelfleisch mit deutlichem Preisaufschlag vermarktet, aber auch „antibiotikafreie Schweine“.
Es war daher nur eine Frage der Zeit, bis erste deutsche Konzerne auf diesen Trend „aufspringen“. REWE versucht es aktuell mit dem Programm „Meat 4 you“ das Schweinefleisch aus „garantiert antibiotikafreier Mast“ anbieten will.
Die behandelten Tiere werden mit elektronischer Ohrmarke gekennzeichnet (Zitat REWE): „Das erkrankte Tier ist somit erkennbar und wird nicht zum Verkauf unter dem Label „meat 4 you“ angeboten.“
So wird bisher völlig unbedenkliches Fleisch per Marketingoffensive zur zweiten (schlechten?) Wahl – ungeachtet ob die Behandlung notwendig war und die für Antibiotikabehandlungen vorgeschriebenen gesetzlichen Wartezeiten eingehalten wurden.
Marketingschlacht in den USA
In den USA gibt es praktisch keinen Fleischkonzern und keine Fastfoodkette mehr, die nicht auf den „antibiotikafrei“-Zug aufgesprungen ist. Dazu sollte man allerdings folgendes wissen,
1. Antibiotikahaltiges leistungsförderndes Futter ist in USA erlaubt
Bis zum Januar 2017 durften in den USA die Geflügelmäster noch antibiotikahaltiges Futter verwenden, ohne dass überhaupt ein Tierarzt hinzugezogen werden musste oder gar eine Krankheitsdiagnose nötig gewesen wäre. Solche Leistungsförderer sind in der EU schon seit 2006 verboten.
In den Staaten dürfen Mäster auch künftig weiter Antibiotika selbst einsetzen, solange es sich um sogenannte Ionophore handelt. Das ist eine besondere Antibiotikastoffgruppe, deren Wirkmechanismus eine Resistenzbildung weitgehend ausschließt und die in der Humanmedizin nicht zum Einsatz kommen.
Nur für alle anderen Antibiotika brauchen die Mäster jetzt seit Anfang 2017 ein Rezept vom Tierarzt. Erst dann dürfen die Futtermittelhersteller die entsprechenden Wirkstoffe einmischen.
2. Antibiotikafrei ist nicht gleich antibiotikafrei
Wenn ein US-Mäster oder eine Fastfoodkette von „antibiotic free“ spricht, ist nicht immer klar, wovon genau man „frei“ ist. Einige verzichten auf antibiotische Leistungsförderer, andere auf „für die Humanmedizin wichtige Antibiotika“, ohne diese genau zu benennen. Wieder andere bauen Vermarktungslinien mit dem Titel „no antibiotics ever“ auf. Alle versichern, kranke Tiere auch künftig antibiotisch zu behandeln, allerdings werde das Fleisch dann „anders“ vermarktet.
„Antibiotikafrei“ wird also aktuell in der US-Lebensmittelwirtschaft sehr unterschiedlich ausgelegt, es gibt keine gesetzlich festgelegte Definition des Begriffs.
3. Kein staatliches Antibiotikamonitoring
Die USA kennen – außer einer Antibiotikamengenbilanz – keine gesetzliche Regelungen zur Kontrolle des Antibiotikaeinsatzes in der Nutztierhaltung. Ein staatliches Antibiotikamonitoring, wie es in Deutschland seit 2013 das Arzneimittelgesetz vorschreibt, oder auch ein mit dem privatwirtschaftlichen QS-Antibiotikamonitoring vergleichbares Projekt, gibt es dort nicht.
Die fünf großen Erzeuger – Tyson Foods, Pilgrim’s Pride, Perdue Farms, George’s und Koch Food – sind so in der Vergangenheit nicht gerade restriktiv mit dem Antibiotikaeinsatz umgegangen. Besonders gängig war die Praxis, Antibiotika in geringen Dosierungen, prophylaktisch und damit als Leistungsförderer einzusetzen. Wie die eingesetzten Medikamente in den Betrieben dosiert wurden, haben die US-Behörden laut Nachrichtenagentur Reuters nicht überwacht.
In einem Dossier hat Reuters im Jahr 2014 über 320 sogenannte „Feed-Tickets“ ausgewertet, die die Futtermittelhersteller den Mästern ausgehändigt haben. Demnach gehören etwa zehn Prozent der eingesetzten Antibiotika zu den „für die Humanmedizin wichtigen Wirkstoffklassen“. Allerdings ist die US-Definition nicht identisch mit der WHO-Klassifizierung (siehe Grafik weiter unten).
„Antibiotic free“ als Reaktion des Marktes
Medienberichte und der öffentliche Druck haben in den USA dazu geführt, dass die Wirtschaft schneller reagiert als die Behörden und eigene Antibiotikaregeln aufstellt – auch um sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen.
Zu den Vorreitern gehört der Geflügelgigant Perdue. Er verzichtet seit 2014 bei Masthühnern auf Antibiotika, die in der Humanmedizin eingesetzt werden, in den Brütereien etwa explizit auf Gentamycin, das er – anders als die WHO – als „highly important“ für den Menschen einstuft. 2016 führte Perdue das Markenzeichen „no antibiotics ever™“ ein. Kranke Tiere würden aber weiter antibiotisch behandelt, was laut Aussage des Konzerns noch bei etwa fünf Prozent der Broiler nötig sei.
Die Aussage, dass etwa zwei Drittel der Konzernprodukte ohne Antibiotikaeinsatz erzeugt würden, bedeutet umgekehrt aber auch: Im Geflügelfutter für das letzte Drittel setzt man weiterhin Antibiotika ein, die von der US-Gesundheitsbehörde (FDA) nicht als „medizinisch wichtig“ eingestuft sind – vorrangig Ionophore.
Tyson Foods – Lieferant unter anderem für McDonalds und KFC – will bis Ende 2017 zumindest auf Antibiotika verzichten, die (auch) bei Menschen eingesetzt werden. Andere Ketten wie Pilgrim’s Pride ziehen nach oder mit.
Protest: Wir sind stolz, Antibiotika einzusetzen
Anders agiert Sanderson Farms. Der drittgrößte US-Vermarkter für Geflügel sträubt sich gegen den Trend. Die Firma bezeichnete in Werbeanzeigen die Slogans der Konkurrenz a la „raised without antibiotics“ (ohne Antibiotika aufgezogen) als „sinnfreien Marketing-Gag“. Man wolle nicht länger tatenlos zusehen, wie die Konkurrenten den Konsumenten ein gesünderes Produkt mithilfe fragwürdiger Label vorgaukeln und dafür mehr Geld verlangen. Eine eigene Webseite erklärt die „Wahrheit über Hühner“: Es brauche einen verantwortungsvollen Einsatz der Medikamente, um die Tiere gesund zu erhalten. Es sei ein Mythos, dass nur Fleisch unbehandelter Tiere“ sicher“ sei: „Die Wahrheit ist – laut Bundesgesetz müssen alle Tiere, die zur Schlachtung gehen, antibiotikafrei sein.“ Diese Wartezeitregelung nach einer Antibiotikabehandlung ist auch in Deutschland Gesetz.
Auch der Sprecher des National Chicken Council, Tom Super, betont, dass der Einsatz von Antibiotika in der Geflügelmast den Tieren unnötiges Leiden erspare und zur guten veterinärmedizinischen Praxis gehöre. Bisher gebe es keine wissenschaftlichen Studien, die einen Transfer von resistenten Bakterien im nennenswerten Umfang vom Geflügel auf den Mensch beweisen.
Restaurantketten als treibende Kraft?
Aufzuhalten ist die „antibiotic free“-Welle dennoch nicht mehr. Inzwischen haben 10 der 15 großen Fastfood-Restaurantketten entsprechende Erklärungen abgegeben, 42 Prozent der US-Hühner-Industrie haben Antibiotic Stewardship- oder Minimierungsprogramme aufgelegt. Zuletzt hat mit KFC (Kentucky Fried Chicken) die größte Kette erklärt, sie werde spätestens ab 2019 keine Hähnchen mehr vermarkten, die zuvor mit „für den Menschen wichtigen (medically important) Antibiotika“ behandelt wurden. KFC bestätigt auf Anfrage, dass seine Lieferanten kranke Tiere behandeln dürfen. Man kaufe lediglich solche Tiere nicht, die mit Antibiotika behandelt wurden, die auch in der Humanmedizin eingesetzt werden.
Die Ketten treiben den Trend nicht nur weiter an, sondern machen den Geflügelmästern darüber hinausgehende Auflagen. „Jack in the Box“ und „Qdoba’s“ erwarten, dass ihre Zulieferer Rassen verwenden, die langsamer wachsen und über eine bessere Immunität gegenüber Infektionen verfügen. Darüber hinaus fordern sie 25 Prozent mehr Platz pro Hähnchen (29 kg/m² anstelle der erlaubten 38,5 kg/m²), eine ausgestaltete Umwelt (Einstreu, Licht, Beschäftigungsmöglichkeiten) und auch ein neues Betäubungsverfahren.
Beim sogenannten „multi-step controlled athmospheric stunning“ werden die Tiere schon auf dem LKW mit ansteigenden Konzentrationen von CO² begast und betäubt. So will man den Tieren weiteren Stress durch Handling ersparen und sicherstellen, dass sie vor der Entblutung im Schlachthof tatsächlich bewusstlos sind.
Antibiotikafreie Schweinemast – Vorbild Dänemark
Als Vorbild für eine antibiotikafreie Schweinemast auch in den USA gelten Projekte in Dänemark. So berichtete Tierarzt Michael Agerley von SvineVet auf dem bpt-Kongress 2016, dass vor allem der Preisanreiz immer mehr Mäster in entsprechende Projekte locke. „Antibiotikafrei“ aufgezogene Schweine liessen sich teuerer vermarkten, je nach Programm für 0,27 bis einen Euro mehr pro Kilogramm. Die Durchgänge würden streng und unangemeldet kontrolliert – etwa mit Urinproben. Fallen Behandlungen auf, verliere der ganze Mastdurchgang den Bonus. Behandelte Einzeltiere müssen zur Schlachtung für eine separate Vermarktung markiert sein.
So sieht es auch das deutsche REWE-Projekt „meat4you“ vor.
Lässt sich „antibiotikafrei“ kontrollieren?
Anders als in Dänemark, lässt sich beim US-Geflügel kaum beweisen, ob ein Tier ohne Antibiotika aufgezogen wurde. Die Mitarbeiter des US-Landwirtschaftsministeriums (USDA) kontrollieren lediglich Papiere, testen aber das verwendete Futter nicht auf eventuell vorhandene Antibiotika. Das Gesundheitsministerium (FDA) wiederum ist nur für die Kontrolle der tierärztlichen Rezepte zuständig. Auch hier werden weder Futter noch Tiere kontrolliert. Bei „antibiotikafrei“ handelt es sich daher nach Ansicht von Journalisten wie Lisa Gillspie bisher lediglich um Vermarktungsprogramme.