Tierärzte im Gehaltsarmenhaus – ein Jahresrück- und -ausblick

Muss das sein? Viele junge Tierärzte geben sich aufgrund ihrer Arbeitsbedingungen "symbolisch die Kugel". (Foto: © 2016 WiSiTiA/hh)

Bezahlt unter Mindestlohn, gestresst im Studium – die Arbeitsbedingungen für den Tierarztnachwuchs waren das Top-Thema des Jahres 2016. Für die Leser und auch berufspolitisch. Doch was war sonst noch wichtig? Überraschender „Klicksieger“ waren zum Beispiel die Beiträge über die Kaninchenseuche RHDV-2.

Ein Jahresrück und -ausblick von Jörg Held

(Ein Klick auf die Fotos führt Sie bei Interesse zu den „Themen des Monats“)

Spannend: Bis auf das Angestelltenthema“ gibt es deutliche Abweichungen zwischen dem, was die Menschen als „User/Leser“ interessiert (messbar in Klicks) und dem, was die Branche berufspolitisch diskutiert:
Die Antibiotikathematik spielte zum Beispiel trotz deutlicher Reduzierungserfolge in der Tiermedizin für die Leser eher eine untergeordnete Rolle. Dabei werden hier gesetzliche Regelungen die Arbeitsbedingungen der Tierärzte für die nächsten Jahre entscheidend prägen – zum Beispiel durch die (inzwischen kurz vor der Verabschiedung stehende) neue tierärztliche Hausapothekenverordnung.
Unser Jahresrück- und -ausblick enthält beides: Was hat die Leser bewegt – und was wird den Berufsstand verändern. Eine kleine Auswahl aus 780 veröffentlichten Artikeln.

Januar 2016 – Tierärzte im Gehaltsarmenhaus

8,50 Mindestlohn für studierte Tierärzte? Das kann es doch nicht sein? Das Jahr 2016 begann (und endete – siehe November) mit dem Thema, das wir auch 2017 für absolut zentral halten: Die Arbeitsbedingungen und Bezahlung von angestellten Tierärzten. Welche Lösungen der Berufstand hier finden kann, wird entscheidend für die Zukunftsfähigkeit sehr vieler Tierarztpraxen sein.

Häufiger gelesen wurden im Januar aber zwei andere Themen: Über 17.000 Leser informierten sich über die ersten Staupe-Ausbrüche in Schleswig-Holstein seit sieben Jahren und einen Beitrag über Tierwohl in der Pferdehaltung (9.400). Beides Themen, die nicht nur Tierärzte interessier(t)en. Der Januar war dadurch mit fast 60.000 Lesern auch der reichweitenstärkste Monat von wir-sind-tierarzt.

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Februar 2016 – Unverkäufliche Bullenkälber getötet?

Welchen Wert haben heutzutage noch Nutztiere? Das ist eine zweite zentrale Frage des vergangenen und wohl auch kommenden Jahres: Sie steht auch hinter dem meistgelesenen Thema des Februar 2016, einem Artikel über unverkäufliche Bullenkälber.
Milchpreiskrise und neue Haltungsvorschriften für die Schweine (Stichworte: Ferkelkastration oder Kastenstand) werden 2017 den Strukturwandel in der Landwirtschaft weiter antreiben. Das Schlagwort „Höfesterben“ wird dabei auch über die Existenz vieler (kleiner) Nutztierpraxen entscheiden. Tierärztlich Behandlung darf nicht zum Kostenfaktor verkommen. Den Wert muss der Berufsstand immer wieder deutlich machen

März 2016 – Katzenbisse contra Antibotikadatenbank

Der März war ohne herausragendes Thema – was das Leserinteresse angeht.
Am Thema „Antibiotika“ zeigte sich aber auch ein Trend, der sich durch das ganze Jahre zog: (Berufs)politisch wichtige Themen, deren gesetzliche Regelung die Arbeitsbedingungen der Tierärzte für die nächsten Jahre entscheidend prägen werden, finden vergleichsweise wenige Leser. Im März ging es um die aus Tierarztsicht unbedingt nötigen Nachbesserungen beim staatlichen Antibiotikamonitoring.

Die meisten Leser fand – weil praxisrelevant – ein Warnhinweis der BGW: Vorsicht bei Katzenbissen. Und es flammte ein Thema auf, das später im Jahr für die öffentliche Wahrnehmung der Tierärzteschaft eine Rolle spielen wird: Die Qualzuchtfrage bei Haustieren (siehe Oktober).

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April 2016 – Tierarztprotest gegen Pferdefolter

Es gibt Themen, zu denen müssen sich Tierärzte positionieren: Die Gewinnung des Brunstsynchronisationshormons PMSG aus dem Blut trächtiger Stuten in Südamerika gehört dazu.
Es steht hier im Jahresrückblick beispielhaft für eine Entwicklung, die man sehr nüchtern konstatieren muss: „Produktionsverfahren“, die in Deutschland weder tierschutzkonform noch gesellschaftlich akzeptiert sind – und deshalb konsequenterweise verboten werden –, werden ins Ausland verlagert. Verarbeitet und vor allem konsumiert werden die Produkte dann doch wieder hierzulande.
Politisch nicht unwichtig – aber 2016 anders als Vorjahr nicht mehr prominent – war die Debatte um den Erhalt des Dispensierrechtes. Die Forderung flammte im vergangen Jahr (insbesondere im April) immer mal wieder auf, schaffte es aber nicht mehr so richtig auf die politische Agenda. Das Dispensierrecht gilt momentan als gesichert.

Mai 2016 – Die Chinaseuche bei Kaninchen und das Impfstoffproblem

Ein Kleintierthema gehört seit Mai zu den viel beachteten (über 3.00o Leser): Der Ausbruch der „China-Seuche“ RHDV2 in Kaninchenbeständen in Deutschland. Tierärzte – und vor allem Kaninchenhalter – suchen hier nach Antworten. Welche Impfung schützt wie gut und vor allem, welche Impfstoffe sind verfügbar? Die Botschaft dieses Themas: Europa hat noch viele unnötige Bürokratie-Grenzen, denn während in Nachbarländern Impfstoffe zugelassen sind, dauert(e) es in Deutschland unerträglich lange.
Schaut man auf die addierten Klickzahlen über das ganze Jahr, ist RHD sogar das absolute Top-Thema. Vielleicht ein Anstoß für die Berufspolitik in 2017 und den kommenden Jahren stärker den Fokus auf europaweit einheitliche und vor allem durchgängige Verfügbarkeit von Arzneimitteln zu legen?

Für Praktiker immer wieder relevant, sind Gerichtsurteile: Im Mai ging es um die Beweislastumkehr bei gravierenden Behandlungsfehlern – und das gleich in mehreren Artikeln.

Juni 2016 – Nierenläuse und Eigenurin

Mit Humor geht vieles leichter, auch wenn es ein wenig Galgenhumor ist: Ausgehungerte Nierenläuse und Eigenurin – eine Praxisanekdote ließ fast 2.000 Tierärzte schmunzeln.
Der Hintergrund bleibt ernst. (Eigen)Diagnosen von Dr. Google sorgen für eine ganze Reihe, nicht nur kommunikativer Komplikationen in den Praxen. Deshalb sind Social-Media-Kompetenz und der Umgang mit diesen Strömungen etwas, das Praktiker nicht ausblenden sollten. Im Gegenteil: Die digitale Weiterentwicklung der Tierarztpraxis dürfte sogar zu einem zentralen Wettbewerbsaspekt werden: Stichwort Kundenservice.

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Juli 2016 – Der vertikal integrierte Tierarzt

Politisch war für uns im Juli ein Gedankenspiel interessant: Kann der Markteinstieg von Investoren als Tierklinikkäufer dazu führen, dass auch Nutztierpraxen „integriert“ werden? Noch zeichnet sich das nicht ab. Aber in Großbritannien gibt es erste Nutztierpraxisketten und die Briten sehen den Kontinent als Wachstumsmarkt – das stellte sich im Herbst heraus.

Beim Leserinteresse aber „explodierte“ im Juli das RHDV2-Thema: Rund 18.000 Leser suchen Antworten zum Thema Impfschutz und Seuchenausbreitung.

August 2016 – Tierärztegewerkschaft gegründet

Mit der Gründung des „Bundes Angestellter Tierärzte“ springt das „Assistenten-Thema“ vom Jahresanfang wieder nach oben auf die Agenda: Aus einem Verein soll eine Gewerkschaft werden. Er will die Interessen der angestellten Tierärzte vertreten und sogar tariffähig sein: Ein langer Weg, denn ein Arbeitgeberverband als Gegenüber fehlt (noch).
Der Heimtiermarkt ist ein Milliardengeschäft. Das Tierärzte beim „Boom rund ums Tier“ abgehängt werden, thematisierte ein Gastbeitrag.
Beide Themen gehören zusammen, denn so wird deutlich: Betriebswirtschaftlich muss sich noch einiges tun in den Tierarztpraxen. Nur wer Geld verdient kann auch Angestellte ordentlich bezahlen. Der Beratungsbedarf ist hier groß.

Top-Leserthema bleibt aber auch im August weiter der RHDV-2-Komplex mit erneut 18.000 Interessierten.

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September 2016 – Mies bezahlte Nachtarbeit für Tiermedizinstudenten

Ein-Euro-Stundenlohn an Universitäten. Das ist ein weiterer Negativaspekt des Themas tierärztliche Arbeitsbedingungen. Schon in der Ausbildung sind diese vielfach schlecht (nicht nur in Deutschland). Das hat dann auch Auswirkungen, wie junge Tierärzte ihre weiteren beruflichen Perspektiven einschätzen: Welchen Wert hat mein Beruf? Welchen Wert habe ich?

Ein anderes, auf berufspolitischer Ebene heftig diskutiertes Thema – der Ethik-Kodex für Tierärzte – interessierte dagegen nur sehr wenige Leser. Ob die von der Bundestierärztekammer erarbeiteten Empfehlungen zur Umsetzung des 2015 auf dem Tierärztetag in Bamberg beschlossenen Ethik-Kodex nun konkrete „Kochbuchrezepte“ oder eher allgemeinverbindliche „Leitplanken“ sein müssen, wollten nur 250 Leser wissen.
Es scheint, als habe die Branche andere Sorgen.

Dabei gibt es auch zwischen diesen beiden Themen eine Verbindung: Ethisches Handeln. Wenn primär monetäre Aspekte die Rahmenbedingungen diktieren, dann verliert eine Branche ihre gesellschaftliche Akzeptanz – die Landwirtschaft spürt das gerade schmerzhaft. Tierärzte sollten hier früh(er) gegensteuern.

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Oktober 2016 – Trauriger Platz 1: Tiermedizin das Stress-Studium

Der Oktober schloss sich theamtisch fast nahtlos an den Vormonat an: Eine AOK-Studie über „Studentenstress“ dominiert das Leserinteresse. Die Tiermediziner belegen den traurigen 1. Platz. Die Klickzahl von über 15.000 beweist einmal mehr, dass Ausbildung und Nachwuchsförderung die Zukunftsthemen sind.

Qualzuchten bei Haustieren setzte die Bundestierärztekammer im Oktober auf die Agenda: Ein Info-Flyer „Nicht süß sondern gequält“ mit Qualzuchts-Checkliste und ein gezieltes Anschreiben an Unternehmen, die verniedlichende Werbung mit Mops und Co zu stoppen, erzielt beachtliche Medienresonnanz. Die BTK legt hier den Fokus auf brachycephalen Rassen. Doch in 2017 sollen weitere Aspekte diese Themas bearbeitet werden.

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November 2016 – Schweigepflicht und Mindestlohn für Tierärzte

Das Gehaltsthema vom Jahresbeginn dominiert auch Herbst – und letztlich – wie in der Prognose 2016 angekündigt – das ganze Jahr: Jeder zehnte angestellte Tierarzt wird – gesetzeswidrig – unter Mindestlohn bezahlt. Das sagt zumindest eine neue Studie, aus der auf dem bpt-Kongress in Hannover erste Zahlen vorab vorgestellt wurden. Sie wird in diesem Frühjahr veröffentlicht und damit wohl auch 2017 prägen.

Die Debatte darüber, wann die tierärztliche Schweigepflicht endet, kommt aus der Landwirtschaft: Tierschützer schockten im Herbst mit zahlreichen Videoaufnahmen aus Nutztierhaltungen, die zum Teil katastrophale Zustände zeigte : Muss ein Hoftierarzt solche nicht nur tierschutzwidrigen, sondern auch gesundheitlich bedenklichen Verhältnisse erkennen und melden? Die Klärung dieser Frage wird die Politik 2017 beschäftigen. Auf Länderebene gibt es eine Reihe von Bestrebungen, die Überwachung zu verändern  (Der Artikel wurde bereits im Oktober veröffentlicht, aber im November deutlich öfter gelesen).
Dahinter steht auch eine wichtige Akzentverschiebung in der Tierwohldebatte: Tiergesundheit als Indikator für eine tiergerechte Haltung wird wichtiger – ein Stichwort für 2017 lautet „Tiergesundheitsdatenbanken“. Aber während für die Haltungsbedinungen primär der Landwirt verantwortlich ist, geraten beim Thema Gesundheit naturgemäß die Tierärzte stärker in den Fokus der Öffentlichkeit. Darauf müssen sie sich einstellen.

Dezember 2016 – Ausbruch der Geflügelpest – jetzt jedes Jahr?

Zum Jahresende gehören inzwischen fast schon sicher auch neue Ausbrüche der Geflügelpest/Vogelgrippe. Diesmal traf sie zunächst besonders die Wildvögel. Aber dann erwischte es erneut hunderttausende von Tieren in Nutzgeflügelbeständen. Warum, das bleibt die Frage: Nachlässigkeit bei der Biosicherheit könnte eine Antwort lauten. 

Die Besonderheit des Internet: Es vergißt nichts – so schafft es mit der süßigkeitenreichen Adventszeit unser Artikel über Schokoladenvergiftungen beim Hund alle Jahre wieder beim Leserinteresse ganz nach oben (über 7.000).

 

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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