Verbraucher sollen die moderne Nutztierhaltung besser verstehen (lernen). Doch hilft Aufklärung wirklich? Eine kanadische Untersuchung enttäuscht da eher. Denn nachdem die „Laien“ Ställe gesehen hatten, „wußten“ sie zwar mehr, beurteilten die Haltung aber „schlechter“.
von Annegret Wagner
Was wissen und erwarten Verbraucher von der Milchviehhaltung? Das versuchen Marina von Keyserlingk und Dan Weary von der University of British Columbia (Kanada) schon seit einiger Zeit genauer zu erfassen (wir-sind-tierarzt berichtete hier).
Neben einer freiwilligen Internet-Umfrage – hauptsächlich unter US-Amerikanern ohne Kontakt zur Landwirtschaft – stand diesmal auch eine Betriebsbesichtigung an. Die Ergebnisse:
Kuhwohl wichtiger als Milch oder Umweltschutz
Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit bei den online Befragten stand die Kuh selbst:
- 60 Prozent der Teilnehmer thematisierten den Umgang mit den Kühen, der ihrer Meinung nach durch Fairness, Respekt, Mitgefühl und Würde geprägt sein sollte.
- Erst an zweiter Stelle ging es um den Betrieb als solches.
- Unter 20 Prozent der Teilnehmer erwähnten die erzeugten Produkte
- und Umweltaspekte hielten deutlich weniger als zehn Prozent der Befragten für wichtig.
Neben dem guten Umgang mit den Kühen war den Teilnehmern der Umfrage auch wichtig, dass die Landwirte mit ihrer Arbeit Geld verdienen. Die Farmen sollten aber am besten nicht zu groß sein, biologisch wirtschaften, von Familien betrieben werden und ihre Produkte möglichst lokal anbieten.
Größe macht Angst
Ähnlich würde vermutlich eine Umfrage in Deutschland auch ausfallen. Große Tiergruppen machen Verbrauchern generell Angst, vermutlich weil sie fürchten, dass dem Einzeltier nicht mehr die nötige Aufmerksamkeit geschenkt wird und dadurch die Tiergesundheit leidet.
Was wissen Laien – und wie „erleben“ sie Tierhaltung?
Im zweiten Teil der kanadischen Studie ging es um den Eindruck, den Menschen ohne landwirtschaftlichen Hintergrund von einem Milchviehbetrieb haben. Dazu befragten das Team von von Keyserlingk 50 Kanadier vor und nach einer geführten Besichtigung des universitätseigenen Stalls in Agassiz, British Columbia (UBC Dairy Education and Research Center).
Vor dem Rundgang setzten die Teilnehmer für die Tierhaltung am häufigsten folgende vier Schwerpunkte :
- eine gute Futterqualität,
- Weidegang,
- ausreichend Platz für das Einzeltier
- und ein sorgfältiger Umgang mit den Kühen.

Gehört für Verbraucher unbedingt zur „guten“ Milchkuhhaltung: Weidegang. (Foto: © WiSiTiA/aw)
42 Prozent der Teilnehmer waren sich (vorher) sicher, dass es den Kühen auf dem Betrieb gut gehen würde, 28 Prozent gingen davon aus, dass die Kühe nicht gut gehalten würden und 30 Prozent waren sich nicht sicher (neutral).
„Wissen“ bringt neue Probleme
Manche negativ Erwartungen wurden durch die Besichtigung entschärft. Doch dafür „entdeckten“ die Teilnehmer vor Ort neue Problemfelder, von denen sie vorher keine Vorstellung hatten.

Darf aus Verbrauchersicht nicht sein: Sofortige Trennung von Kalb und Mutterkuh. (Foto: © WiSiTiA/aw
- Generell waren die 50 Laien sehr zufrieden mit dem Umgang und der Pflege der Kühe und Kälber.
- Allerdings störten sie sich an der sofortigen Trennung von Mutter und Kalb,
- am fehlenden Weidegang sowie am Platzangebot für die Tiere
- und der fehlenden Sauberkeit.
Vor und nach der Betriebsbesichtigung galt es, fünf Fragen zum Management von Milchviehbetrieben zu beantworten. Eingangs konnte jeder durchschnittlich nur drei Fragen richtig beantworten. Nach dem Rundgang waren dann zwar im Durchschnitt vier Antworten richtig, aber das Urteil fiel schlechter aus. Selbst diejenigen, die im Test am besten abschnitten, beurteilten die Betriebsverhältnisse nicht besser als die, die weniger Fragen richtig beantworten konnten:
- Nur noch 24 Prozent waren sich sicher, dass es den Kühen tatsächlich gut geht,
- 32 Prozent waren der Ansicht, es gehe ihnen nicht gut
- und 44 Prozent waren sich nicht sicher (neutral).
Positive Meinung fast halbiert
Die gängige Praxis der ganzjährigen Stallhaltung sowie die frühe Trennung von Kuh und Kalb hat das Meinungsbild deutlich verändert: Der Anteil der Teilnehmer, die sich sicher waren, dass es den Kühe im Betrieb gut geht, hat sich von 42 auf 24 Prozent fast halbiert.
Für die kanadischen Wissenschaftler wurde einmal mehr deutlich, wie wichtig Verbrauchern die Bewegungsmöglichkeit von Kühen ist und wie viel Wert sie auf Weidegang legen. Nur so können sich nach Verbrauchermeinung die Tiere möglichst artgerecht entfalten und ihren Bedürfnissen nachgehen.
Fazit: Aufklärung verbessert Akzeptanz nicht
Ernüchternd war für Marina von Keyserlingk und Dan Weary wohl auch die Erkenntnis, dass eine generelle Annahme womöglich nicht stimmt: Eine bessere Aufklärung der Verbraucher über die Managementpraktiken in der Landwirtschaft erhöht eben nicht unbedingt die Akzeptanz der Tierhaltung – zumindest nicht in diesem Fall.