Gericht: Mindestlohn für Kurzzeitpraktikanten

"Praktika zur Berufsorientierung" sollten eigentlich vom Mindestlohn befreit sein (Markierung). (Grafik: © BMAS/Markierung WiSiTiA)

Mindestlohn und Praktika – das bleibt ein Minenfeld. Nur Pflichtpraktika im Rahmen von Schule und Studium sind befreit. Beim „Praktikum zur Berufsorientierung“ fehlt anscheinend eine Definition, wie genau es umgesetzt werden muss, damit kein Mindestlohn fällig wird. Eine Tierärztin musste hier vor Gericht bitteres „Lehrgeld“ zahlen.

Ein Gastbeitrag von Dr. Marion Robra, Kleintierpraktikerin aus Barsinghausen

Der Fall: Berufsorientiertes Praktikum vor TFA-Ausbildung

Im April 2015 bewarb sich in meiner Kleintierpraxis eine 21 jährige mit einem abgebrochenen fachfremden Studium um einen Ausbildungsplatz zur Tiermedizinischen Fachangestellten (TFA)Um falschen Berufsvorstellungen und einer weiteren abgebrochenen Ausbildung vorzubeugen, wurde ein dreimonatiges berufsorientiertes Praktikum vor Ausbildungsbeginn im September vereinbart – mit einer Praktikumsvergütung von 460,- € monatlich.
Die Praktikantin erhielt auf ihre schriftlich vorliegende Bitte eine Bestätigung über die Ableistung eines berufsorientierten Praktikums. So konnte sie über ihre Eltern krankenversichert bleiben und diese weiter Kindergeld für sie beziehen. Sie erhielt zudem monatlich eine schriftliche Abrechnung über ihre Praktikumsvergütung durch die Lohnbuchhaltung.

"Praktika zur Berufsorientierung" sollten eigentlich vom Mindestlohn befreit sein (Markierung). Doch der Arbeitgeber muss offensichtlich beweisen, was Prakitkantentätigkeit und was Arbeit ist. (Grafik: © BMAS/Markierung WiSiTiA)

„Praktika zur Berufsorientierung“ sollten eigentlich vom Mindestlohn befreit sein (siehe Markierung). Doch der Arbeitgeber muss offensichtlich beweisen, was Praktikantentätigkeit und was „Arbeit“ ist. (Grafik: © BMAS/Markierung WiSiTiA)

Kündigung in der Ausbildungsprobezeit – Klagedrohung der Eltern

Da die Praktikantin nach drei Monaten Praktikum bei ihrem Berufswunsch blieb, wurde sie in ein Ausbildungsverhältnis übernommen. In den nachfolgenden Wochen stellte sie sich als ungeeignet für unsere Anforderungen heraus und wurde in der Probezeit gekündigt. Damit war die Mutter nicht einverstanden. Sie beschwerte sich zunächst per Mail und erschien dann persönlich. Schließlich wurde die Rechtsschutzversicherung und ein Fachanwalt für Arbeitsrecht bemüht. Das Ergebnis: Klageandrohungen wegen angeblicher Verstöße gegen Arbeitsschutzmaßnahmen, Schmerzensgeldforderungen, Kündigungsschutzklage etc. trafen nahezu täglich per Fax, Mail und Post ein.
Um einen Rechtsstreit zu vermeiden, wurde die Kündigung von mir zurückgenommen. Über die Berufsschule lies die Auszubildende mitteilen, dass sie ihre Ausbildung bei einer Nachbarkollegin fortsetzt und dass die Klagen zurückgezogen würden.

Das Verfahren: Abgelehnter Vergleich und eine „Retourkutsche“

Letztendlich reichte die Praktikantin eine Mindestlohnklage ein und behauptete, sie sei drei Monate als Vollzeitarbeitskraft tätig gewesen.
Angeblich hätte ein akuter Arbeitskraftmagel geherrscht und es sei nie die Rede von einem Praktikum gewesen. Sie habe angeblich selbstständig geröntgt, bei Op’s assistiert und diese vorbereitet, Medikamente aufgezogen und angereicht etc.. Dass dem nicht so war, konnten eine Assistentin, eine TFA und zwei weitere Azubis bezeugen. Doch zu den Zeugenaussagen kam es nicht. Bereits beim ersten Verhandlungstermin schlug der Richter einen Vergleich vor. Er schien den Fall ohne Urteil vom Tisch haben zu wollen.
Den Vergleich haben wir abgelehnt. Die „Retourkutsche“ kam am nächsten Tag: Ich wurde in erster Instanz verurteilt, für die Praktikumszeit 4.500,- € brutto plus Lohnnebenkosten zu zahlen.

Das juristische Problem: Ein Präzedenzfall im Interesse aller Tierärzte?

In der 2. Instanz zweifelte das Gericht das erstinstanzliche Urteil an und hätte den Fall an das Bundesarbeitsgericht verwiesen. Nach Ansicht des Richters hat der Gesetzgeber es versäumt, die Rahmenbedingungen für ein berufsorientiertes Praktikum zu definieren.
Da weder der Bundesverband praktizierender Tierärzte (bpt), noch meine Landestierärztekammer oder die Bundestierärztekammer bereit waren, diesen Präzedenzfall im Interesse aller Tierärzte zu unterstützen, habe ich, da mir sowohl die Zeit, wie auch die finanziellen Mittel für einen langwierigen Rechtsstreit fehlen, einen Vergleich geschlossen: Die Praktikantin erhielt 1.000,- brutto/Monat abzüglich der bereits gezahlten Praktikumsvergütung in Höhe von 460,- netto/Monat.

„Lücke“ im Gesetz: „Praktikum“ nicht exakt definiert

Weder eine in meinem Fall vorliegende Mail der Praktikantin mit der Bestätigung des berufsorientierten Praktikums, noch ein schriftlich geschlossener Praktikumsvertrag schützen vor einer Mindestlohnklage. Der Gesetzgeber unterscheidet zwischen

  • Indizien (Praktikumsvertrag etc.)
  • und Beweisen, dass der Vertrag auch tatsächlich wie vereinbart gelebt wurde.

Die Beweislast liegt dabei zu 100 Prozent beim Arbeitgeber, zum Beispiel durch tägliche Dokumentation, der durch den Praktikanten verrichteten Tätigkeiten. Nur leider hat der Gesetzgeber nicht definiert,was überhaupt unter einem Praktikum zur Berufsorientierung zu verstehen ist, das heißt was genau die Praktikanten darin tun („arbeiten“) dürfen und was nicht.
Ich kann daher nur davor warnen Praktikanten, die kein Pflichtpraktikum absolvieren, in der Praxis zugucken zu lassen – es sei denn, man ist bereit, einen Mindestlohn von aktuell 8,84 €/Stunde zu zahlen.
Aus meiner Sicht zeigt auch die Tatsache, dass der zweitinstanzliche Richter das Verfahren wegen seiner weitreichenden Bedeutung an das Bundesarbeitsgericht verwiesen hätte, dass es wohl nicht um ein arbeitsrechtliches Problem im Einzelfall in unserer Praxis ging.

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Mein Fazit: Praktikantenvertrag schützt nicht

Mich hätte auch ein Praktikantenvertrag mit dem Begriff „Berufsorientierung“ nicht geschützt. Ob der Vertrag wie vereinbart „gelebt“ wurde, hätte ich als Arbeitgeber beweisen müssen, zum Beispiel durch Führen eines täglichen Protokolls. Darin hätten wir die vom Praktikanten ausgeführten Tätigkeiten dokumentieren müssen. Und wir hätten es noch vom Praktikanten gegenzeichnen lassen müssen. Aber selbst dann bleibt immer noch die Unsicherheit, dass ein Gericht diese Tätigkeiten letztlich doch als „Arbeit“ bewertet.

Nach meinem Verständnis wäre es Aufgabe der Kammern und des bpt gewesen, die Klärung diese Falles durch weiter Instanzen im Interesse unseres Berufsstandes zu unterstützen.

Ergänzende Hinweise:
Praktika und Mindestlohn – rechtliche Einordnung aus Praktikantensicht
Mindestlohn und Praktikum – Schritt-für-Schritt-Bewertungs-Schema zur Mindestlohnpflicht – Bundsministerium für Arbeit und Soziales
Fragen zum Mindestlohn – Übersichtsseite des Bundsministeriums für Arbeit und Soziales

(Artikel von der Autorin redaktionell überarbeitet: 30.1.2017)

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