„Zynische Wahlfreiheit“ – geplantes Tierwohllabel in der Kritik

Schaffen sie wirklich mehr Tierwohl? Es gibt Zweifel an der Wirksamkeit von Tierwohllabeln - ob staatlich oder privat. (Collage: © WiSitiA/jh)

Es ist noch nicht mal verabschiedet, schon hagelt es Kritik: Das Bundeslandwirtschaftsministerium hat Eckpunkte für ein mehrstufiges, staatliches Tierwohllabel formuliert. Das sei nur „freiwilliges Greenwashing“ und führe aufs „Wahl-Glatteis zwischen Tierqual und Tiergerechtheit“, poltern Kritiker. Strenge gesetzliche Haltungsvorgaben müssten her, kein freiwilliges Label. Das Vertrauen in die Verbraucher scheint eher gering. (aktualisiert: 15.11.2016 / 13:10 Uhr)

von Jörg Held

Zur Grünen Woche im Januar soll es in Berlin vorgestellt werden, das neue staatliche Tierwohllabel, mit dem Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt die Haltungsbedingungen von Nutztieren verbessern will. Vorbild sind internationale Tierwohllabel (hier eine Vergleichende Bewertung), etwa das niederländische „Better Leven“-Siegel oder auch das geplante staatliche Dänische Tierwohlsiegel. National steht das auch bisher schon vom Ministerium geförderte Tierwohllabel des Deutschen Tierschutzbundes Pate.

Dänemark ist schneller: Das staatliche Tierwohllabel wird 2017 eingeführt; das deutsche dann erst vorgestellt.

Dänemark ist schneller: Das staatliche Tierwohllabel wird 2017 eingeführt; das deutsche dann erst vorgestellt.

Kein „negativ-Label“

Starten will Schmidt mit Schweinefleisch. Doch auch der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft will vom Start mitmachen: „Wir müssen dabei sein, es geht gar nicht ohne uns“, sagte Präsident Friedrich-Otto Ripke der NOZ.

Der Landwirtschaftsminister bleibt seinem bisherigen Konzept der freiwilligen Verbindlichkeit treu: freiwillige Teilnahme, niedrige (finanzielle) Einstiegshürden für teilnahmewillige Betriebe, dynamische anspruchsvolle(re) Ziele für die Zukunft, keine Negativkennzeichnung a la „Käfig-Ei“, aber unabhängige Kontrollen (Details siehe Foto – Download als PDF hier).
Das reicht den Kritikern bei weitem nicht. Die Schmidtschen Eckpunkte sind ihnen viel zu nah am Konzept der wirtschaftsgetragen Initiative Tierwohl, die aktuell heftig unter Beschuss steht.

Eckpunkte des geplanten staatlichen Tierwohllabels (BMEL).

Eckpunkte des geplanten staatlichen Tierwohllabels (BMEL).

Vorsichtige Zustimmung

Als „sehr positiv“ bewertet laut Süddeutscher Zeitung der Verbraucherzentrale Bundesverband unterm Strich Schmidts Vorhaben. Und auch die Tierschützer von ProVieh begrüssen das Projekt. Der Deutsche Tierschutzbund dagegen sei noch skeptisch, berichtet die NOZ: Die Vorgaben des neuen Label müssten deutlich über den gesetzlichen Mindeststandards liegen.

„Zynische Wahlfreiheit“

Dagegen poltert foodwatch, der Minister führe mit seinem Tierschutz-Label die Verbraucher „auf’s Wahl-Glatteis“. Selbst wenn die Kriterien sachgerecht sein sollten, bedeute das freiwillige Tierschutzlabel, dass zwischen Tierqual und Tiergerechtheit ausgewählt werde: „Eine solche ‚Wahlfreiheit‘ ist zynisch und lässt sich weder ethisch noch politisch rechtfertigen.“ Ein „freiwilliges Greenwashing-Siegel braucht keiner“, kritisieren auch die Grünen.

Kein Vorbild: Die Eierkennzeichnung kennt auch ein Negativ-Merkmal, das Käfigei. Das soll es für Fleisch nicht geben. (Foto: © GNU free documentation license)

Kein Vorbild: Die Eierkennzeichnung kennt auch ein Negativ-Merkmal, das Käfigei. Das soll es für Fleisch nicht geben. (Foto: © GNU free documentation license)

Die Forderung der Kritiker: Klare Vorgaben und Gesetze müssten dafür sorgen, dass nur noch Lebensmittel aus nachweislich tiergerechter Produktion angeboten werden. Auf jedem Steak und jeder Tüte Milch müsse klar erkennbar sein, wie das Tier gehalten wurde. Vorbild soll – das fordern auch die Tierschutzvereine – die Eierkennzeichnung (Bio-, Boden-, Freilandhaltung) sein. Sie setzte bei der Einführung (auch) auf eine abschreckende Wirkung durch „Käfigeier-Kennzeichnung“. Inzwischen hat der Handel „frische“ Käfig-Eier ausgelistet.

Wenig Vertrauen in deutschen Verbraucher

Die Forderung nach Gesetz statt Label bedeutet im Umkehrschluss aber auch: In Deutschland trauen manche NGO’s und Teile der Politik dem Verbraucher trotz aller Umfrage-Euphorie nicht allzuviel „Wahlfähigkeit“ zu. Schmidts freiwilliges Siegel bedeute für 80 bis 90 Prozent der Nutztiere: „Der Wettbewerb werde ihnen weiterhin millionenfache Schmerzen und Leiden aufbürden,“ schreibt denn auch foodwatch.
In Holland ist man weiter. Dort hat die Tierwohlware mit „Beter Leven-Siegel“ in den Läden im Mittel immerhin schon einen Anteil von etwa 40 Prozent. Das ist deutlich mehr als die 2,4 Prozent Bio-Marktanteil bei Frischfleisch in Deutschland. Auch das Labelfleisch des Tierschutzbundes dümpelt vor sich hin. Etwa neun von zehn deutschen Verbrauchern können auf Anhieb kein Label für Tierschutz nennen.
„Deutschland ist leider ein Billigland“, die Verbraucher seien seit jeher an billige Preise gewöhnt und würden diese rücksichtslos einfordern, klagt denn auch Bioland-Sprecher Gerhard Wehde. Und hat damit wohl nicht unrecht. Denn seit Discounter auch in den Biomarkt einsteigen, gerät dieser ebenfalls unter Preisdruck und wird strukturell der „industriellen Landwirtschaft“ immer ähnlicher, wie die Wirtschaftsswoche schreibt.

Aber auch in den Niederlanden sehen Tierschützer „derzeit einen Stillstand“, mehrere große Supermarktketten hätten ihr Angebot an Tierwohlfleisch in den letzten Monaten nicht mehr erweitert.
Irgendwo scheint es also bei den Bürgern eine „Tierwohl-Grenze“ zu geben.

wir-sind-tierarzt.de meint:

(jh) – Was haben die Trump-Wahl in den USA und die Debatte über das staatliche Tierwohl-Siegel gemeinsam?
So recht glücklich sind manche nicht mit der „Wahlfreiheit“ des Bürgers. Der entscheidet sich am Ende ganz offensichtlich nicht immer so politisch korrekt, wie er sollte. 

Nicht der Verbraucher will Änderungen im Tierwohl, sondern „die Gesellschaft“. 
Als Verbraucher sind wir wohl fast alle Alltagsegoisten. An der Ladenkasse achten wir mehrheitlich nämlich ganz stumpf darauf, was uns am Ende im Geldbeutel übrig bleibt.
Die Gesellschaft aber hat höhere Ziele. Nur: Die „Meinung der Gesellschaft“ wird allzu oft abgeleitet aus der Medienberichterstattung und Umfragewelten. Zwischen veröffentlichter und öffentlicher Meinung aber klafft ganz offensichtlich eine Lücke. Öffentlich antworten wir bei Umfragen lieber politisch korrekt: Ob nun darüber was wir für gutes Essen so alles bezahlen würden – oder wen wir wählen. Gehandelt wird dann vielfach anders.

Das machen die US-Wahl oder auch der Brexit im Großen sichtbar. Absolute Mehrheiten werden immer knapper. Die Demokratie muss darauf Antworten finden. Ob das immer noch schärfere Gesetze sein können, also von oben verordnetes Tun, daran darf man zweifeln. An der Wahlfreiheit sollte niemand rütteln.

Allerdings: Beim Thema Tierwohllabel für die Nutztierhaltung – das zeigt der Blick nach Holland – ist in Deutschland noch deutlich Platz für Verbesserungen. Die Schmidt’schen Tierwohl-Eckpunkte dürften da meiner Meinung nach durchaus etwas ambitionierter sein und auch die gesetzlichen Mindeststandards höher.

Quellen:
Quellen im Artikel verlinkt
Eckpunkte deutsches Tierwohllabel (PDF-Download)
Tierwohllabel des Deutschen Tierschutzbundes
Vergleichende Bewertung internationaler Tierwohllabel
Wissenschaftler fordern Tierwohllabel

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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