Großbritanniens größte Tierarzt-Kette CVS (über 370 Standorte) plant den Sprung auf den Kontinent. Noch vor Weihnachten werde man drei Praxen in Holland kaufen und „das ist nicht das Ende“. CVS-Chef Simon Innes erklärt den Erfolg der Kette. Fast alle Faktoren lassen sich 1:1 auf Deutschland übertragen.
von Jörg Held
Gegründet 1999 betreibt CVS-Group heute in Großbritannien über 370 Praxen und Kliniken, sieben Crematorien, vier Labore und eine Online-Apotheke. Allein im letzten Jahr sei man um 67 Praxis-Standorte und drei Crematorien gewachsen.
Jetzt expandieren die Briten über den Kanal: „Noch vor Weihnachten werden wir drei Praxen in den Niederlanden kaufen und wir werden in weitere Länder gehen. Die CVS-Expansion endet nicht in Holland,“ sagt CVS-Chef Simon Innes der britischen Zeitung Telegraph. Europas größter Tierarztmarkt Deutschland könnte da auch auf der Liste stehen.
Bisher sind hierzulande die schwedischen Ketten AniCura (20 Standorte) und Evidensia (4 Standorte) aktiv. Eine Übersicht der aktuellen Standorte finden Sie hier. Beide kaufen momentan aber hauptsächlich Kliniken ab ca. eine Million Euro Umsatz aufwärts. CVS ist dagegen im „normalen“ Praxismarkt unterwegs und kündigt – zumindest für den Heimatmarkt – an, auch in Nutztierpraxen investieren zu wollen.
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Warum den Ketten die Zukunft gehört
Der Grund für die schnelle Expansion der Ketten sei der „radikale Strukturwandel auch in der Veterinärmedizin“: weg von tausenden kleinen (Einzel)Praxen, hin zu Unternehmensgruppen, die auch Angestellten Perspektiven bieten können. Die Faktoren, die Simon Innes (56) – selbst kein Tierarzt sondern zuvor Manager einer Optikerkette – für den Erfolg der Ketten in Gr0ßbritannien ausgemacht hat, lassen sich praktisch 1:1 auch auf den deutschen Markt übertragen.
Kapital
- Der Wert aber auch die Anforderungen an Tierarztpraxen (Ausstattung/Angebot) steigen.
- Damit steigt auch der Preis, den externe Käufer aufbringen müssen.
- Die Löhne der Angestellten steigen.
- Investoren suchen lukrative Anlagemöglichkeiten.
Personal
- Der Nachwuchs an „Unternehmer“-Tierärzten ist das zentrale Problem – ob als Praxiskäufer oder als Führungskräfte in Ketten.
- Feminisierung: Frauen stellen seit fünf Jahren in Großbritannien die Mehrheit der Tierärzte, 85 Prozent der Studierenden sind dort weiblich.
- Nicht nur, aber vor allem Frauen haben andere Lebenspläne. Die junge Generation wolle den Beruf nicht über alles stellen. Eine eigene Praxis stehe längst nicht mehr oben auf der Wunschliste.
- Frauen strebten nach einer Kinderpause verstärkt Teilzeitarbeit an.
- Auf der einen Seiten steige die Zahl der Tiermedizinstudierenden. Gleichzeitig stiegen viele von ihnen aber schon nach kurzer Zeit wieder desillusioniert aus dem Beruf aus. „Burn-out“ sei ein Problem der Branche.
- Die Herausforderung für Praxen sei es, qualifzierte Mitarbeiter zu finden und zu halten.
- Der Markt brauche deutlich mehr Karriere-Perspektiven für Angestellte.
Kampf um Talente
Der Kampf um Talente wird zum zentralen Wettbewerbsfaktor. Auch für CVS sei die Mitarbeitersuche ein Problem, obwohl man durch die Größe und die diversifizierte Struktur glaube, vielfältige Berufswege anbieten zu können (siehe Grafik oben).
Aktuell beschäftigt die CVS-Group rund 4.300 Mitarbeiter, darunter über 1.500 Veterinary Nurses und über 1.000 Tierärzte.
Investoren haben „Appetit“ auf Tierarztpraxen
Geld für Zukäufe ist da. Investoren suchten Kapitalanlagemöglichkeiten und hätten „Appetit“ auf die Vet-Branche, sagt Simon Innes. Die ist nämlich lukrativ: Der CVS-Aktienkurs ist binnen fünf Jahren um 600 Prozent gestiegen, der Umsatz hat sich auf 218 Millionen Pfund pro Jahr mehr als verdoppelt. Startschuss für den CVS-Erfolg sei die Deregulierung des Tierarztmarktes im Jahr 1999 gewesen.
Freier „Praxismarkt“ auch in Deutschland
Knapp 20 Jahre später steht eine solche Deregulierung auch für Deutschland an: Die EU will das Kapitalbeteiligungsverbot für Tierarztpraxen kippen (Bericht hier). 16 regionale Heilberufgesetze oder gar 17 Kammerregularien gelten den EU-Wettbewerbshütern als Hürde für die Dienstleistungsfreiheit. De facto sind die Beschränkungen schon gefallen, die Ketten am Markt aktiv. Weder Staat noch Kammern riskieren hier einen ernsthaften Widerspruch, denn sie fürchten vor dem EU-Gerichtshof zu verlieren.
Ketten kaufen keine Sanierungsfälle
Zumindest CVS, so betont Innes, sei nicht zwingend auf der Suche nach Übernahmezielen. Man warte, bis die Praxen zum Verkauf stünden. „Wir sind nicht im Geschäft, um Problem-Praxen zu kaufen und dann den Turn-around einzuleiten.“ Im Visier hat man erfolgreich eingeführte Standorte.
Anders als die schwedische Kette AniCura, die Zukäufe integriert und offensiv als eigene Dachmarke auftritt, agiert CVS dabei mehr im Hintergrund. Die neuen Standorte behalten ihren „Namen“. Gemeinsam ist allen Ketten, dass sie Managementaufgaben übernehmen: Marketing, Personalführung, Fort- und Weiterbildung und vor allem den Einkauf. Dort gibt es erhebliche Synergien. Außerdem sollen sich die CVS-Standorte Patienten untereinander zuweisen und die CVS-Eigenmarken (z.B. Antiparasitika) einsetzen sowie interne Labordienstleistungen nutzen.
Das konzerneigene „Tiergesundheitsprogramm“ (Healthy Pet Club) mit über 250.000 Mitgliedern sorgt für zusätzliche Kundenbindung.
Großbritannien: CVS will Nutztierpraxen kaufen
Im Heimatmarkt sieht Innes zwar noch Wachstumspotential, der Kleintier-Sektor sei aber inzwischen weitestgehend konsolidiert. Sieben größere Ketten sind in Großbritannien aktiv, sie führen inzwischen etwa 25 Prozent der Praxisstandorte (siehe Grafik oben).
Deshalb zielen die Expansionspläne von CVS auf der Insel jetzt auf Pferdepraxen – und den Nutztierbereich. Hier gibt es auch auf der Insel noch keine größeren Corporate-Strukturen.
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