Fernsehbilder aus einem Schweinestall in Baden-Württemberg zeigen grausame und unhaltbare Zustände. Jetzt beginnt die Aufarbeitung. Eine Frage dabei: Hätte der Hoftierarzt handeln und den Betrieb anzeigen müssen? Oder hat er eine Schweigepflicht und macht sich damit sogar strafbar?
von Jörg Held
Anders als sonst wurden im Fall der Schweinemastbetriebes in Merklingen (Baden-Württemberg) die Behörden vor Ausstrahlung der Aufnahmen durch Stern-TV informiert. Sie haben den Betrieb überprüft – der auch von der Initiative Tierwohl zertifziert ist – und die tierschutzrelevanten Mängel bestätigt: Bereits mehr als 80 der rund 1.200 Mastschweine mussten dabei aufgrund schwerer Verletzungen und Krankheiten notgetötet werden.
Video der sogenanten SoKo-Tierschutz aus dem Betriebe in Merklingen (Zusammenschnit von vier Aufnahmeterminen). Behörden haben die Zustände bestätigt.
Das Landratsamt des auch für die Veterinärüberwachung zuständigen Alb-Donau-Kreises hat in einer Stellungnahme anklingen lassen, dass es in solchen Fällen auch auf Hinweise von außen angewiesen sei – und dabei explizit die Hoftierärzte genannt:
„Amtsveterinäre gehen in ihrer Arbeit auch Hinweisen nach, die beispielswese von Hoftierärzten oder von anderer dritter Seite kommen. Gleiches gilt wenn beispielsweise in Schlachthöfen Auffälligkeiten festgestellt würden.“
Die Schwäbische Zeitung berichtet allerdings, dass der Betrieb bereits 2014 bei Kontrollen aufgefallen sei. Aber auch andere Kreise der Fleisch- und Nahrungsmittelindustrie in Ulm sollen von den Zuständen auf dem Betrieb gewusst haben. So berichtet die Zeitung von massiver Kritik am Landratsamt und zitiert eine Führungskraft eines großen fleischverarbeitenden Betriebes: „Jeder Viehhändler wusste, und das nicht erst seit 2014, dass auf dem Hof gravierende Missstände herrschen.“ Die Kontrollbehörden sehen sich dem Vorwurf ausgesetzt, versagt zu haben. Auch der private Hoftierarzt habe keine Meldung gemacht.
Muss der Hoftierarzt Tierschutzfälle anzeigen?
Hat der Hoftierarzt die Zustände oder auch Vorstufen davon gekannt? Wenn ja, hätte er den Betrieb anzeigen müssen? Darf er das überhaupt? Oder hat er eine Schweigepflicht und macht sich strafbar, wenn er diese bricht?
Die Einordnung und Gewichtung der rechtlichen Vorschriften ist dabei nicht ganz einfach. Juristen bewerten das gegensätzlich. (Die folgenden Ausführungen gelten generell und sind nicht auf diesen Fall bezogen):
Schweigepflicht ja, aber …
Tierschutz geht – in den allermeisten Fällen – vor Schweigepflicht. Zu diesem Schluss kommt zumindest der Jurist Dr. Christoph Maisack in einem Papier der Deutschen juristischen Gesellschaft für Tierschutzrecht:
Besteht die Gefahr, dass es zu einem Verstoß gegen § 17, § 1 Satz 2 oder § 2 (oder auch gegen eine andere Vorschrift) des Tierschutzgesetzes kommen wird, so ist der Tierarzt befugt, dies der zuständigen Überwachungsbehörde, ggf. auch der Staatsanwaltschaft, anzuzeigen, wenn er entweder zuvor vergeblich versucht hat, den Verantwortlichen zu einem tierschutzkonformen Verhalten zu bewegen, oder dies von vorneherein aussichtslos erscheint. Abgesehen von Bagatellfällen ist von einem Übergewicht der öffentlichen Belange des Tierschutzes gegenüber dem durch die tierärztliche Schweigepflicht geschützten Geheimhaltungsinteresse auszugehen.
Ein Tierarzt darf sich demnach dem Veterinäramt oder auch dem Staatsanwalt „offenbaren“, weil und wenn es einen rechtfertigenden Notstand (§ 34 StGB) dafür gibt. Der tritt ein, wenn ein „rechtlich geschütztes Interesse“ gefährdet ist. Und dazu zählt Maisack „Leben und Wohlbefinden von Tieren“, da dies sowohl im Tierschutzgesetz als auch durch die Aufnahme des Tierschutzes ins Grundgesetz geschützt sei. Dieser Schutz könne höher gewertet werden als die Wahrung des Berufsgeheimnisses (genauere Einordnung hier – PDF Download).
Strafandrohung bei Schweigepflichtverletzung
Andererseits bewertet das Gesetz das tierärztliche Berufsgeheimnis so hoch, dass es eine Strafe androht: Nach § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB macht sich ein Tierarzt strafbar, wenn er unbefugt ein fremdes Geheimnis offenbart, das ihm im Zusammenhang mit der Ausübung seines Berufes anvertraut oder sonst bekannt geworden ist. Dies kann eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe nach sich ziehen.
Deshalb schreibt der Jurist Wolfgang Hansen dazu in der AVA-Fachzeitschrift Nutztierpraxis aktuell:
„… der Tierarzt, der seinen Kunden wegen Misshandlung des behandelten Tieres anzeigt, wird regelmäßig seine Schweigepflicht verletzen und daher eine Straftat begehen.
Diese strafrechtliche Normierung der Schweigepflichtsverletzung ist auch keineswegs abwegig, weil die Schweigepflicht dem Schutz des Vertrauens zwischen Tierarzt und Tierhalter dient. Dieses Vertrauen würde untergraben werden, wenn der Tierhalter befürchten müsste, bei Behandlung des Tieres durch den Tierarzt angezeigt zu werden. Die Konsequenz wäre möglicherweise, dass der Tierhalter auch auf die Behandlung des verletzten Tieres durch den Tierarzt verzichtet. Dies ist nicht im Sinne des Tierschutzes.“
Für Hansen ergibt sich der Bruch der Schweigepflicht, weil die Offenbarung unbefugt erfolgt. Eine solche Offenbarungspflicht oder ein solches Offenbarungsrecht seien nicht ausdrücklich normiert.
Keine Pflicht zur Anzeige
Der Tierarzt muss also eine Abwägung treffen, wenn er zu Fällen gerufen wird, die tierschutzrelevant sind: Kann er ausreichend auf die Abstellung künftiger Mängel hinwirken und hat der das auch bisher getan? Oder ist die Tierschutzproblematik so gravierend und es besteht die Gefahr, dass weitere Tierschutzverstöße folgen, so dass dies den Bruch der Schweigepflicht rechtfertigt? Will er das strafrechtliche Risiko eingehen?
Aber auch: Kann er sich eine solche Anzeige als „Unternehmer“ leisten?
Besonders für Nutztierpraktiker kommt dieser existentielle Aspekt hinzu. Sie sind regional verankert und haben eine deutlich geringere Zahl an ihrerseits gut vernetzten Kunden als Kleintierpraktiker – Das Veterinäramt hat zwar die Möglichkeit, einen Informanten zu schützen und vage auf einen „Hinweis aus der Bevölkerung“ zu verweisen, aber dieser Schutz greift längst nicht immer.
Rechtlich gilt aber auch: Ein Tierarzt ist nicht zur Anzeige verpflichtet. Das hatte Dr. Johanna Moritz vom Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebenmittelsicherheit (LGL/Oberschleißheim) beim Bayerischen Tierärztetag 2015 festgehalten. wir-sind-tierarzt.de hatte damals bereits über den Konflikt Schweigepflicht vs Tierschutz berichtet.
Redakteur und Tierarzt Henrik Hofmann hatte das Thema wie folgt kommentiert:
(hh) – Ich selbst habe vor Jahren einen Tierhalter „anonym“ angezeigt. Nach anderthalb Jahren erhielt der Anwalt des Halters schließlich Akteneinsicht. Und da stand, dass der Tierarzt die Anzeige erstattet hatte. Der Tierhalter erzählte das JEDEM! Selbst von Politikern auf Landesebene wurde ich angesprochen, wie ich das dem „armen Mann“ habe antun können. Wahrscheinlich hat es mich Kunden gekostet. Aber es war richtig. Nichts zu tun und sich hinter der Schweigepflicht zu verstecken, schadet nicht nur dem allgemeinen Ansehen der Tierärzteschaft, sondern ist moralisch verantwortungslos.