Pro Vieh – letzte Tierschutzorganisation verlässt Initiative Tierwohl

Gehen künftig getrennte Wege: Die Initiative Tierwohl und die Tierschutzorganisation ProhVieh.

„Wir wollen nicht in der nächsten Horrormeldung erwähnt werden.“ Mit dieser Begründung steigt mit ProVieh die letzte Tierschutzorganisation aus der wirtschaftsgetragenen Initiative Tierwohl aus. Auslöser waren Videos mit zum Teil drastischen Tierschutzverstößen aus Ställen, die noch in diesem Jahr von der Initiative Tierwohl zertifiziert worden waren. (*zuletzt aktualisiert: 24.10.2016 – 14:25)

(jh) – Die Kritik an der wirtschaftsgetragenen Initiative Tierwohl reißt nicht ab: Im September war der Deutsche Tierschutzbund ausgestiegen (wir-sind-tierarzt-Bericht hier). Zuletzt forderten die Verbraucherschützer von Foodwatch einen kompletten Stopp. Jetzt verlässt mit Pro Vieh auch die Tierschutzorganisation den Beraterausschuss, die als Gründungsmitglied von Beginn an die ursprünglichen Tierwohl-Kriterien mit entwickelt hatte. Bereits im Juli 2016 hatte ProVieh deutliche Kritik geäußert.
Die Tierschützer begründen das Ende wie folgt: Vom ursprünglichen Tierwohlkonzept sei nach der Gründung der Gesellschaft zur Förderung des Tierwohls in der Nutztierhaltung mbH (ITW) zu wenig Tierschutz übriggeblieben. Konkret kritisiert ProVieh:

  • Der Ringelschwanz als wichtigster Tierwohlindikator spiele bei der ITW aktuell keine Rolle mehr.
  • Die Bereitstellung von Raufutter, ursprünglich als Pflicht geplant, werde nur zur Wahl gestellt.
  • Andere Tierwohlmaßnahmen wie Einstreu, weiche Liegeflächen und Auslauf ins Freie würden voraussichtlich ab 2018 nicht mehr bonitiert.
  • Dasselbe gelte auch für die alternativen Verfahren zur betäubungslosen Ferkelkastration.

Die Grundvoraussetzungen der ITW seien auf niedrigstem Niveau festgesetzt worden. Es gehe jetzt darum vielen Betrieben möglichst billig Tierwohl per Audit zu bescheinigen. ProVieh sieht das Budget von vielen Millionen Euro „für flächendeckendes „Alibi-Tierwohl“ verschwendet“.

Initiative Tierwohl kontert: „Aus der Verantwortung ziehen“

Die Initiative Tierwohl erwidert: Man bedauere den Schritt von ProVieh, den Beraterausschuss zu verlassen. „Wir hätte uns gewünscht, dass ProVieh weiter aktiv mitarbeitet und sich nicht aus der Verantwortung für einen machbaren Wandel zieht. Damit würden sie sich hinter die vielen tausend Landwirte stellen, die schon heute mehr Tierwohl in ihren Betrieben umsetzen“, kommentiert ITW-Geschäftsführer Dr. Alexander Hinrichs in einer Pressemeldung. Die Wirksamkeit der Tierwohlkriterien zu hinterfragen, sei nicht nachvollziehbar – sie lägen alle über den gesetzlichen Standards und wurden gemeinsam mit Praktikern aus Tiermedizin und Landwirtschaft sowie Wissenschaftlern entwickelt.
Die jüngst veröffentlichten Tierschutzverstöße in einem einzelnen schweinehaltenden Betrieb habe die Initiative nicht toleriert und den Betrieb unmittelbar nach einem Sonderaudit ausgeschlossen. „Wir nehmen den Vorfall zum Anlass, kurzfristig die Vorgaben und das Kontrollsystem der Initiative Tierwohl zu prüfen und anzupassen“, teilt Hinrichs mit.

Pflichtkriterien zu unverbindlich

Zu viele Horrorbilder – Tierschutzorganisation Pro Vieh steigt aus Initiative Tierwohl aus. (Logo ©ProVieh)

Zu viele Horrorbilder – Tierschutzorganisation Pro Vieh steigt aus Initiative Tierwohl aus. (Logo ©ProVieh)

„Nachdem der Verband ausgestiegen war (d. Deutsche Tierschutzbund im September 2016 / Anm. d. Red.) , haben wir noch einmal effektivere Pflichtkriterien verlangt. Wir haben auch mit unserem Ausstieg gedroht. Aber da ist rein gar nichts passiert“, hatte die taz Pro Vieh-Fachreferentin Angela Dinter vorab zitiert. Die aktuellen Video-Bilder aus Tierwohl-Ställen seien für Pro Vieh auf keinen Fall mehr tragbar. „Wir wollen nicht in der nächsten Horrormeldung erwähnt werden.“

Tierschützer und NGO’s fordern Ende der Initiative Tierwohl

Für die Tierschützer gilt das Projekt als gescheitert. „Es hat seine Glaubwürdigkeit verloren. Wir fordern das Ende der Initiative Tierwohl.“ Sie spiegele den Verbrauchern vor, die Haltungsbedingungen würden bedeutend besser. „Freiwillige Initiativen der Branche halten wir mittlerweile für den falschen Weg“, sagte Dinter der taz . ProVieh fordere stattdessen neue Gesetze. Zum Beispiel eine Pflicht, die Haltungsmethode auf Fleisch- und Milchprodukten ähnlich wie auf Eiern zu kennzeichnen.

Bauernverband: Initiative ist historischer Fortschritt

Die Vorschläge des Beraterausschusses, dem auch die Tierschutzverbände angehörten, sind aber unverbindlich. Die Entscheidungen treffen die Gesellschafter der Initiative Tierwohl. Das sind zur Zeit:

  • Bundesverband der Deutschen Fleischwarenindustrie e.V.
  • Deutscher Bauernverbande.V.
  • Deutscher Raiffeisenverbande.V.
  • Handelsvereinigung für Marktwirtschaft e.V.
  • Verband der Fleischwirtschaft e.V.
  • Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft e.V.
Wie kommt dar "Tierwohl-Soli" vom Supermarkt zum Bauern – der Finanzierungsweg der Initiative Tierwohl.

Wie kommt dar „Tierwohl-Soli“ vom Supermarkt zum Bauern – der Finanzierungsweg der Initiative Tierwohl. (Grafik © Initiative Tierwohl)

Vor wenigen Tagen hatte Bauernverbandspräsident Joachim Rukwied die Initiative Tierwohl noch als „historischen Fortschritt“ bezeichnet: „Kein Programm, kein Labelprodukt hat bisher an der Ladentheke auch nur annäherungsweise den Marktanteil der Initiative erreicht.“ Das Modell biete Perspektiven, mehr Tierwohl in die Fläche zu bringen und gleichzeitig die Investitionen der Tierhalter unabhängig vom Marktpreis zu honorieren. „Wir sind entschlossen, dieses Programm für bessere Haltungsbedingungen in der Schweine- und Geflügelhaltung mit dem Lebensmitteleinzelhandel engagiert fortzusetzen“, bekräftigte Rukwied: „Das Wohl unserer Nutztiere hat für uns Priorität. Dies lassen wir uns weder von Kritikern noch von schwarzen Schafen in Frage stellen.“

Messbarer Tiergesundheitsindex fehlt noch

Logos von einigen der Einzelhändler, die in die Initiative Tierwohl einzahlen.

Einige der Einzelhändler, die in die Initiative Tierwohl einzahlen. (Ausschnitt aus Grafik © Initiative Tierwohl)

Den Kritikern fehlen Kriterien, die messen, ob es den Tieren – und falls ja, wie vielen – durch die Initiative wirklich besser geht. Messbar wäre für foodwatch zum Beispiel, „wenn weniger Hühner oder Schweine an den typischen und weit verbreiteten haltungsbedingten Krankheiten erkrankten“. Dass die Initiative solche Vorgaben bisher nicht mache, hatte Ende 2015 auch EDEKA hart kritisiert: „Bislang bremsen Landwirtschaft und Schlachtunternehmen eine neutrale Überprüfung des Tierwohls aus.“ Der Einzelhändler wollte sich erst dann an einer Budgetaufstockung beteiligen, wenn die „vertraglich vereinbarte Erfolgsmessung der Maßnahmen“ vorliege. Ab 2018 will die Initiative einen noch zu erarbeitenden Tiergesundheitsindex stärker berücksichtigen. Der soll Ergebnisse aus den Schlachtbefunddatenmeldungen auswerten. Erst dann soll auch die Umlage steigen.

Geld von zwölf großen Lebensmittelketten

Finanziert wird das Projekt von zwölf großen Lebensmittelketten – unter anderen sind mit dabei Aldi, Lidl und Kaufland ebenso wie Edeka und REWE. Sie zahlen zur Zeit jährlich für den Bereich Schwein – nur hier waren die Tierschützer beteiligt – 65 Millionen Euro ein. Die Summe wird durch eine Umlage von 4 Cent pro verkauften Kilo Schweinefleisch aufgebracht. Damit können aktuell knapp 2.300 Betrieb gefördert werden, die die von der Initiative vorgegebene Tierwohlkriterien erfüllen (mehr hier). Mitmachen wollen aber deutlich mehr Nutztierhalter, doch dafür reicht das Budget nicht. Erst ab 2018 soll die Umlage von jetzt 4 auf 6,25 Cent/kg aufgestockt werden und dann rund 100 Millionen Euro bereitstehen.
Die Initiative hatte sich erst in der letzen Woche auch für „Fördermitglieder“ geöffnet (Mindestbeitrag 25.000 €/Jahr). 

Alle Quellen im Text verlinkt
*Ursprungstext basierte u.a. auf Vorabbericht der taz – ProVieh-Statement und Pressemeldung der Initiative Tierwohl am 24.10.2016 eingearbeitet
Chronologie der „Initiative Tierwohl“ aus Sicht von Gründungsmitglied und Ideengeber ProVieh

 

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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