Ausgehungerte Nierenläuse, Haaranalyse und Eigenurinbehandlung – oder: Warum bin ich als Tierarzt nur so ahnungslos?
eine Praxis-Anekdote von Steffen Ziesing aus Rodenbach
In der täglichen Praxis lernt man nie aus … Der Sheltie konnte nicht mehr pinkeln. Uratsteine mit Verschluss der Harnröhre. Eine unangenehme Erfahrung für Hund und Besitzer. Nach Katheterisieren, Zystozentese und medikamenteller Therapie hatte sich Frauchen im Internet kundig gemacht: Die „ausgehungerten Nierenläuse“ sollten es jetzt richten. Die würden die Uratkristalle aus der Blase fressen. Meine Unkenntnis über den Behandlungsansatz erstaunte die Besitzerin dann doch sehr. Google und Wikipedia schwiegen sich aus. Fündig wurde ich nicht. Vielleicht kann jemand Tipps geben?!
Hundert Euro für den Tierheilpraktiker – die Hälfte für mich
Ähnliche Unerfahrenheit im Job wurde mir in Bezug auf eine wunderschöne, lehrbuchhafte Pyodermie bescheinigt. Nein, Antibiotika und „so´n giftiges Shampoo“, das ginge schon gar nicht. Da geht Frauchen dann doch lieber zum Tierheilpraktiker. Zwei Tage später kommen Hund und Besitzerin mit Expertise einer Haaranalyse. Die Diagnose wäre jetzt klar, der Hund habe eine Stoffwechselerkrankung. Klar, aber welche?
Das konnte man mir jetzt auch nicht sagen. Der Anruf beim Tierheilpraktiker und die Frage nach der Art der Untersuchung (Massenspektrometer, Laserablation, Flüssigchromatographie) wurde mit deutlich hörbarem Achselzucken quittiert. Nein, man habe ein Medium dafür. In der Mitte einer Karte mit Erkrankungen werden die Haare des Tieres aufgebracht. Danach wird gependelt. Diagnose wissenschaftlich eindeutig nicht anzuzweifeln! Hundert Euro für den Tierheilpraktiker – die Hälfte dann noch mal für mich inklusive Antibiose. Schön! Nach drei Tagen war der Hund pustelfrei.
Warum haben wir an der Uni gerade die wichtigen Dinge nicht gelernt?
Ähnlich die Bordeaux-Dogge mit dem Hot Spot im Kruppenbereich. Sehr skeptische Blicke der Besitzerin bei meinem Versuch, die geschädigte Haut mit einem milden Desinfektionsmittel zu behandeln. Ob denn die Behandlung mit Eigenurin nicht viel effektiver wäre? Nein, meinte ich. Der Harnstoffgehalt des Urins sei meines Wissens viel zu gering für eine lokale Behandlung. Ich würde das falsch verstehen: Sie würde täglich ihren Urin trinken. Das wäre doch auch dem Hund zu zu muten … Natürlich nicht den vom Hund, das fände sie eklig. Lokale Anwendung wäre aber doch auch zu machen. Das Bild von Frauchen über dem Hund bekomme ich bis heute nicht aus dem Kopf … von wegen „berufsfertig aus dem Studium“.
Warum wurde ich an der Uni nicht ausreichend in den wichtigen Behandlungsansätzen unterwiesen? Warum wurde ich jahrelang mit so unnützen Fächern wie Pharmakologie genervt, wo es die ausgehungerten Nierenläuse doch auch können?! Fragen über Fragen, auf die ich wohl auch in der Nachmittagssprechstunde keine Antwort erhalten werde.