Die Grünen fragen: Welche Reduktionsziele für den Antibiotikaeinsatz in der Humanmedizin gibt es? Und: Wann liefert man dort endlich valide Verordnungsdaten? Aber auch: Wann kommt ein direkter Vergleich des Antibiotikaverordnungsverhaltens zwischen den Tierärzten? Die Fragen der Grünen an die Bundesregierung zur Umsetzung der Antibiotikaresistenzstrategie (DART 2020) sind zugleich eine gute Übersicht über die aktuelle politische Antibiotikadebatte.
von Jörg Held
In einer Kleinen Anfrage möchte die Grüne Bundestagsfraktion in 63 Fragen von der Bundesregierung wissen, wie sie die Deutsche Antibiotika-Resistenzstrategie (DART 2020) umsetzt, evaluiert und finanziell fördert. Interessant dabei: In allen Punkten wird jeweils zuerst die Humanmedizin adressiert.
Unsachgemäßer Antibiotikaeinsatz in der Humanmedizin?
Die Grünen gehen dabei von einem „hohen und oft unsachgemäßen Antibiotikaverbrauch in der Human- und Veterinärmedizin“ aus. Sinnvollerweise fragen sie aber zunächst nach belastbaren Daten über Antibiotikaverbrauch und Antibiotikaresistenzen in beiden Bereichen, denn nur darauf können Massnahmen aufbauen. Dabei fordern sie „endlich“ auch valide Daten für die Humanmedizin.
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung unternommen, um endlich valide Verordnungsdaten in der Human- und Tiermedizin zu erhalten, damit ein bessere Intervention und Kontrolle des Antibiotikaeinsatzes bei Mensch und Tier erfolgen kann?
Die Antwort für die Tiermedizin ist dabei leicht: Seit 2011 gibt es mit den DIMDI-Zahlen, also der Menge der von den Pharmafirmen an Tierärzte abgegebenen Wirkstoffe in Tonnen, sowie mit der Erfassung der Therapiehäufigkeit im Antibiotikamonitoring für Masttiere (ab 2015) bereits zwei staatliche Messsysteme, die belastbare Daten liefern. Zusätzlich liefert das seit 2012 etablierte privatwirtschaftliche Antibiotiakmonitoring des QS-Systems ebenfalls einen Therapieindex zum Antibiotikaeinsatz und – neuerdings – auch Verbrauchsmengen in Tonnen.
In der Humanmedizin ist die Datenlage nach eigenen Angaben dagegen unübersichtlich. Dort errechnen einzelne Krankenkassen oder die Kassenärztliche Vereinigung in ihrem Versorgungsatlas aus Verordnungszahlen den Antibiotikaeinsatz. Eine „valide“ Datengrundlage, die einen Vergleich zwischen beiden Bereichen zulässt, ist das nicht.
Spannend: Reduktionsziele für Humanmedizin
Auch eine zweite Frage nimmt die Humanmedizin in einem Bereich in die Pflicht, in dem sie bisher verschont wurde:
Welche klaren Reduktionsziele an Antibiotikaverbrauch sowohl in der Human- als auch in der Veterinärmedizin will die Bundesregierung durch die DART 2020 erreichen?
Messbare Reduktionsziele für die Humanmedizin wurden bisher von den Grünen eher verhalten (etwa hier), von anderen Parteien gar nicht gefordert. Der Antibiotikaeinsatz sinkt in der Humanmedizin nicht nennenswert, steigt bei einzelnen Stoffgruppen sogar.
Dass die Veterinärmedizin ihren Antibiotikaeinsatz um 50 Prozent reduzieren soll, ist dagegen eine oft und lautstark erhobene Grüne Forderung, der sich auch die SPD angeschlossen hatte.
Für Human- und Tiermedizin gilt jedoch: Prozentzahlen sind generell ohne eine absolute Bezugsgröße wenig aussagekräftig. Auch die Masseinheit „x Prozent weniger Tonnen“ ist keine medizinisch sinnvolle Einheit mit Blick auf Antibiotikaresistenzen – es muss detailliert um eingesetzte Wirkstoffe und Indikationen gehen.
„Reserveantibiotika“ fachlich definieren
Während im weiteren Verlauf des Fragenkataloges die Humanthemen sachlich und ohne implizierte Wertungen abgearbeitet werden, können sich die Grünen bei tiermedizinischen Themen wertende Adjektive wie „besorgniserregend“ oder „gefährlich“ nicht verkneifen. Es geht dann meist um sogenannte „Reserveantibiotika“, die sie selbst zunächst einmal definiert haben wollen:
Wird die Bundesregierung im Benehmen mit allen betroffenen Bundesministerien und in enger Abstimmung mit den Verbänden und Interessenvertretungen des Gesundheitswesens auf Grund von wissenschaftlichen Erkenntnissen eine Liste von sogenannten kritischen, wichtigen Wirkstoffen und Wirkstoffgruppen für bestimmte Indikationen in der Humanmedizin (Reserveantibiotika) erstellen?
Die Tiermedizin fordert schon lange, dass die Humanmedizin sich dieser Aufgabe stellt und medizinisch begründet, welche Antibiotikaklassen sie als „Reserve“ bezeichnet haben möchte.
Da Fluorchinolone und Cephalosporine (3./4. Generation) in der Humanmedizin um die 50 Prozent der verordneten Antibiotika ausmachen (siehe Grafik) und deren Einsatz steigt, dürfte es schwer fallen, diese fachlich als Notfallmedikamente zu definieren, die als letzte Reserve bei schweren Erkrankungen eingesetzt werden.
Genau diese fachliche Definition ist aber dringend notwendig, denn die bisherige politische Debatte zum Schlagwort „Reserveantibiotika“ führt dann zu so dramatisierenden Medienbeiträgen, wie dem des ARD-Magazins PlusMinus (Video unten verlinkt). Die Autoren unterstellen über sieben Minuten, dass „letzte Notfallmedikamente“ der Humanmedizin in der Tiermast sinnlos vergeudet würden – ohne einen Wirkstoff zu nennen.
Einschränkungen für die Tiermedizin
Dass die Grünen das Thema „Reserveantibiotika“ aber weiter auf der Agenda aktuell halten, zeigen zwei weitere Fragen:
Inwieweit sieht die Bundesregierung einen Zusammenhang zwischen dem besorgniserregenden Anstieg der Abgabemengen von Antibiotika aus der Gruppe der Fluorchinolone und der im Rahmen des 16. Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes (16. AMG-Novelle) eingeführten Praxis der Erfassung der Therapiehäufigkeit?
Diese Frage vermischt Zahlen aus zwei unterschiedlichen Datensätzen und unterschiedlichen Zeiträumen: Es gab einen deutlichen Anstieg der eingesetzten Menge der Fluorchinolone in den DIMDI-Zahlen (von 8,2 auf 12,1 Tonnen von 2011 bis 2013 = 50%). Die Therapiehäufigkeit gemäß AMG wird aber erst seit dem zweiten Halbjahr 2014 erfasst und die Daten sind erstmals Ende März 2015 veröffentlicht worden. Ein Zusammenhang dürfte hier schwerlich bestehen. Die (aktuelleren) QS-Zahlen belegen wieder einen Rückgang des Fluorchinoloneinsatzes (-16% von 2014 auf 2015), erfassen aber nur Geflügel und Schweine, nicht Rinder und Haustiere. Die DIMDI-Zahlen mit der Gesamtmenge für 2015 liegen noch nicht vor. (Ergänzung 7.8.2016: Inzwischen wurden die Zahlen für 2015 veröffentlicht – Infos hier)
Allerdings sehen auch Tierärzte im AMG eine Reihe von Fehlanreizen (Bericht hier), die aber nicht für diesen Anstieg verantwortlich sind.
Hoher Einsatz von „Reserveantibiotika“ in der Tiermedizin?
Der „50%-Anstieg“ und überhaupt der „hohe Einsatz“ von Reserveantibiotika in der Tiermedizin, ist ein politisches Lieblingsthema der Grünen:
Inwieweit teilt die Bundesregierung die Ansicht, dass der hohe Einsatz von Fluorchinolonen, Cephalosporinen der 3. und 4. Generation und Makroliden (in der Veterinärmedizin / Erg.d.Red.) gefährliche Auswirkungen auf die Antibiotikaresistenzentwicklung haben könnte?
Eben dieser „hohe Einsatz“ in der Veterinärmedizin ist – wie die Grafik im Vergleich zur Humanmedizin zeigt – eine politisch sehr subjektive Wahrnehmung. Die Wirkstoffe machen etwa 1,3 Prozent der insgesamt in der Tiermedizin eingesetzten Antibiotika aus. In der Humanmedizin liegt der Anteil bei rund 50 Prozent der Verordnungen.
Die Frage ist darüber hinaus eine typische politische Fangfrage, denn sie bringt die Makrolide in Verbindung mit den häufig als „Reserveantibiotika“ bezeichneten anderen Wirkstoffen und dem Adjektiv „gefährlich“.
Dass die Grünen genau wissen, warum sie dies verknüpfen, zeigt ein weiterer Fragenkomplex:
Welche inhaltlichen Änderungen haben sich seit dem ersten Entwurf (des Antibiotikaeckpunktepapieres / Erg. und Verlinkung d.d.Red) durch die Anmerkungen der Verbände u. a. ergeben und wann wird die Verordnung über tierärztliche Hausapotheken (TÄHAV) entsprechend geändert werden?
Welche Änderungsvorschläge von welchen Interessenverbänden wurden mit einbezogen?
Das zielt auf die aktuellen Fachgespräche von Verbänden, Ländern und Bundeslandwirtschaftsministerium (Bericht hier), über ein Eckpunktepapier, mit dem Einschränkungen beim Einsatz „kritischer Antibiotika“ in der Tiermedizin vorbereitet werden sollen. In diesen Gesprächen wurden die Makrolide von der Restriktionsliste gestrichen (auf Basis einer Bewertung der europäischen Arzneimittelagentur EMA).
Antibiotikabenchmarksystem für Tierärzte
Dass Tierärzte letztlich doch im Grünen Fragenkatalog stärker im Fokus stehen als ihre Humankollegen, zeigt die folgende Frage:
Wie weit ist die Entwicklung eines Eckpunktepapiers für ein Rückkopplungssystem für Tierärzten gediehen, mit dem Tierärzte ihren Antibiotika-Einsatz untereinander vergleichen können? Wann wird ein erster Entwurf der Öffentlichkeit präsentiert werden?
Die DART 2020 fordert ein solches Benchmarksystem, mit dem der Antibiotikaeinsatz einzelner Tierärzte verglichen werden soll. Darüber hatte wir-sind-tierarzt im vergangenen Jahr berichtet und auch das holländische Vorbild für einen solchen Tierarztvergleich (Bericht hier) vorgestellt. Die Grünen wollen wissen, wann er auch in Deutschland umgesetzt wird. Nach einem solchen Monitoring für Humanärzte fragen sie allerdings nicht.
Fazit: Lesenswerter Fragenkatalog
Die angesprochenen Themen sind nur ein Ausschnitt aus insgesamt 63 Fragen. Solche „Kleine Anfragen“ sind im Bundestag ein Instrument, um über die Formulierung der Fragen eigene politische Ziele zu beschreiben – und dann aus der Antwort möglicherweise ein Defizit im Handeln der Regierenden abzuleiten. Auch dieser Fragenkatalog enthält natürlich eine Reihe solcher politischer „Fangfragen“.
Dennoch lohnt es sich alle Fragen zu lesen, denn sie beschreiben sehr umfangreich, worum es beim Thema „Antibiotikaresistenzen“ derzeit politisch geht: Datenbasis, Hygienemängel, Erfassungsysteme, Restriktionsvorhaben …
Sie zeigen auch die Gewichtung: In der Tiermedizin geht es um die Ausgestaltung konkreter restriktiver gesetzlicher Vorgaben, deren Wirkung und auch deren Ausbau. Bei der Humanmedizin ist vieles noch im Bereich „weicher“ untergesetzlicher Regelungen. Es geht vielfach um Aufklärung und sogenannte „Awareness“. Von Sanktionen für Fehlverhalten oder Benchmarksystemen, wie in der Tiermedizin angedacht, ist die Humanmedizin noch weit entfernt.
Aber zumindest die Grünen Fragen implizieren, dass auch im Humanbereich künftig „verbindlichere“ Regelungen getroffen werden sollen.
Ein überfälliger Schritt, denn wie Professor Dr. Andreas Hensel, Präsident des Bundesinstitutes für Risikobewertung (BfR), immer wieder betont:
„Sie können die Probleme der Antibiotikaresistenzen in der Humanmedizin nicht in der Tierhaltung lösen. Es ist ein gemeinsames Problem.“