Nikotinvergiftung: E-Zigaretten gefährden Tiere

E-Zigaretten sind ein Risiko für Tiere, nicht weil sie selber (passiv) rauchen, sondern sie diese zerkauen (Symbolfoto: WISiTiA/Henrik Hofmann)

E-Zigaretten gelten als weniger schädlich, weil sie keinen gefährlichen Tabakrauch produzieren. Doch amerikanische Kollegen sehen immer mehr Niktoinvergiftungen bei Haustieren: Sie zerkauen herumliegende „Liquid“-Kapseln.

von Henrik Hofmann

Um 400 Prozent ist nach Angaben der US-amerikanischen Pet Poison Helpline die Zahl der Vergiftungen von Haustieren durch E-Zigaretten angestiegen –  binnen zwei Jahren. “Den Leuten ist nicht klar, wie hochgiftig die kleinen Fläschchen mit flüssigem Nikotin sind!“, sagt Dr. Ahna Brutlag, Toxikologie bei der Pet Poison Helpline. Tatsächlich kann flüssiges Nikotin  je nach Dosis für Haustiere tödlich sein. Symptome treten nach 15 bis 60 Minuten auf. Typisch sind Erbrechen, Durchfall und Tachykardie bis hin zu Krampfanfälle und Zusammenbruch. Hunde und Katzen scheinen nicht nur die bunten „Liquid-Kapseln“, die zum Nachladen der E-Zigaretten nötig sind, offenbar interessant zu finden und zu zerkauen, sondern auch komplette E-Zigaretten.

Differentialdiagnosen und Therapie

Verlockend aber giftig – wenn Haustiere die "Liquid"-Kapseln einer E-Zigarete zerkauen, können sie eine Nikotinvergiftung erleiden. (Foto: ©redkiwi)

Verlockend aber giftig – wenn Haustiere die „Liquid“-Kapseln einer E-Zigarete zerkauen, können sie eine Nikotinvergiftung erleiden. (Foto: ©redkiwi)

Die Symptome einer Nikotin-Vergiftung beim Tier ähneln Vergiftungen durch Organophosphate oder Carbamate. Die Notfallmaßnahmen sind unspezifisch: Kreislauf stabilisieren, Krämpfe kontrollieren und Atmung stabilisieren. Wurde das Gift innerhalb der letzten Stunde aufgenommen, kann das Tier zum Erbrechen gebracht werden. Eventuell kann Aktivkohle gegeben werden, bei Verstopfung in Kombination mit Glaubersalz. Um die Ausscheidung zu forcieren, kann der Tierarzt Diuretika verabreichen.
Antacida dürfen aber nicht gegeben werden, da hoher Magen-pH die Resorption von Nikotin fördert.

Dampfen wie die Disko

Die von einem chinesischen Tüftler erfundene elektrische Zigarette erfreut sich in Deutschland zunehmender Beliebtheit. Auf mehr als zwei Millionen schätzt der Handel die Zahl der Konsumenten. E-Zigaretten bestehen aus einem Mundstück, einem Akku, einem elektrischen Vernebler und einer Wechsel-Kartusche, in der sich eine Flüssigkeit („Liquid“) befindet.
Das Liquid wird beim Ziehen am Mundstück vernebelt und inhaliert. Bei vielen Modellen leuchtet dabei eine Diode (LED) am vorderen Ende auf, die das Glimmen einer Tabakzigarette imitiert. Die Liquids der E-Zigaretten enthalten als Hauptbestandteile Propylenglykol, Wasser, Glyzerin, Ethanol, Nikotin und häufig verschiedene Aromastoffe. Dabei schwankt der Nikotingehalt verschiedenen Erhebungen zufolge stark. Es gibt auch nikotinfreie Liquids. Thomas Hartung, Toxikologe an der amerikanischen Johns Hopkins Universität schätzt gegenüber der Süddeutschen Zeitung, dass die Gesundheitsrisiken der E-Dampfer insgesamt etwa zehn Mal niedriger liegen als die der normalen Raucher. Beim Verbrennen des Tabaks in einer „normalen“ Zigarette gelangen mehr als 4.000 verschiedene Chemikalien, davon 90 krebserregende, in den Körper.

E-Zigaretten verdampfen aromatische, zum Teil auch nikotinhaltige Flüssigkeiten. (Foto: © wikipedia/CFCF)

E-Zigaretten verdampfen aromatische, zum Teil auch nikotinhaltige Flüssigkeiten. (Foto: © wikipedia/CFCF)

Wie viele Schadstoffe es bei der E-Zigarette sind, ist nicht ganz klar. In einigen E-Zigaretten wurden Gifte wie Nitrosamine, Diethylenglykol und Formaldehyd gefunden. Es ist auch noch offen, welche Chemikalien beim Verdampfen der Aromastoffe entstehen. Doch insgesamt dürften E-Dampfer deutlich weniger Schadstoffe zu sich nehmen. Hauptbestandteil ist in den meisten Produkten Propylenglykol, das für den Dampfeffekt verantwortlich ist. Es ist der gleiche Stoff, der in Diskotheken oder Theatern aus der Nebelmaschine kommt.

Nervengift Nikotin

Hintergrund für die Haustiervergiftungen ist, dass Nikotin – sofern in den „Liquid-Ampullen“ enthalten – die Acetylcholin-Rezeptoren im ZNS, im vegetativen Nervensystem und an der neuromuskulären Endplatte stimuliert. Über Aktivierung der Chemoreceptor-Trigger-Zone führt Nikotin zu Erbrechen. Die minimal toxische Dosis bei oraler Aufnahme beträgt für Hunde oder Katzen vier mg Nikotin; die minimal letale Dosis liegt bei 20-100 mg Nikotin. Die orale LD50* von Nikotin wird für den Hund mit 9.2 mg/kg Körpergewicht angegeben.

Das Informationssystem CliniPharm/CliniTox der Uni Zürich nennt einige Beispiele – bezogen allerdings auf die klassischen Nikotinquellen:

  • Ein Toy-Pudel (3 Monate) hat vor drei Stunden einen Teelöffel Kautabak gefressen und danach einmal erbrochen.
    Symptome: Miosis, Salivation, Ataxie, Tremor, Opisthotonus, Hyperthermie (40.2°C), Tachykardie und Tachypnoe
    Therapie: Aktivkohle, Ringerlaktat und Natriumbicarbonat i.v., Diazepam
    Verlauf: Langsame Erholung innerhalb der folgenden 24 Stunden
  • Eine Hündin (1 Jahr, 15 kg) hat mehrere kleine Stücke Tabak gefressen.
    Symptome: Ataxie, Hyperästhesie, Erbrechen, starkes Zittern
    Therapie: Aktivkohle, mehrmals wiederholt, Diazepam
    Verlauf: Rasche Besserung
  • Eine Hündin (6 Jahre, 10 kg) hat mehrere Zigarettenstummel gefressen.
    Symptome: Zittern, Ataxie, Ptyalismus, Verwirrtheit
    Therapie: Emesis, Aktivkohle mehrmals wiederholt
    Verlauf: Besserung

Die amerikanischen Kollegen empfehlen Tierbesitzern E-Zigaretten und Befüllungsflüssigkeit fest verschlossen und von Tieren fern zu halten. Und bei Verdacht auf Vergiftung umgehend den Tierarzt aufzusuchen. Ob der Rauch und die darin enthaltenen Zusatzstoffe für Tiere und Menschen gefährlich sind, ist bis nicht abschliessend geklärt.

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* Für die Angabe der letalen Dosis gibt es verschiedene Messgrößen hinsichtlich der Dosisabhängigkeit der Letalität eines Toxins oder Pathogens, die ein Maß für die Toxizität des Stoffs darstellen. Daher wird meistens jene Dosis angegeben, deren letaler Effekt sich auf 50 Prozent der beobachteten Population bezieht: die mittlere letale Dosis LD50. Die mittlere Dosis bzw. Konzentration ist ein beliebtes Maß, weil in einer Versuchsreihe die Dosis, bei der alle bzw. keine Individuen sterben, entweder sehr groß oder sehr klein ist.

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Über den Autor

Dr. Henrik Hofmann

Dr. Henrik Hofmann (hh) betreibt seit 1995 eine eigene Tierarztpraxis in Butzbach. Er ist Fachtierarzt für Allgemeine Veterinärmedizin und hat die Zusatzbezeichnung Akupunktur. (www.tierundleben.de) Als Autor und Redakteur hat Hofmann in etlichen Zeitschriften und Zeitungen rund ums Tier geschrieben. Bei wir-sind-tierarzt.de betreut er schwerpunktmäßig Medizinthemen, den Bereich Praxismanagement und die Rubrik Mensch-Tierarzt. Außerdem steuert er die SocialMedia-Aktivitäten und leitet die Bildredaktion. Zuletzt ist sein Buch „Tieren beim Sterben helfen – Euthanasie in der Tierarztpraxis“ erschienen. Kontakt: henrik.hofmann(at)wir-sind-tierarzt.de
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