Tumorerkrankungen nehmen bei Haustieren spürbar zu. Höchste Zeit also, diesem Thema eine Intensivfortbildung zu widmen. Am Rande wurden berufspolitische Themen so intensiv wie selten diskutiert. Zahlenmäßig war es eine der stärksten* bpt-Veranstaltungen.von Henrik Hofmann
Eigentlich hätte die Veranstaltung auch „Bielefeld meets Hofheim“ heissen können. In der Auswahl der Referenten zeigte sich, dass Kollege Martin Kessler und die Tierklinik in Hofheim wohl der europäische „Goldstandard“ in der Krebstherapie sind. Denn ein extrem großer Teil der Veranstaltung wurde von den Hofheimern bestritten. Oder ehemaligen Mitarbeitern. Die Hochschulen scheinen indes eher wenig zum Thema beitragen zu können.
Viele Kolleginnen und Kollegen stehen Chemo- und Strahlentherapie und sogar präoperativer Diagnostik skeptisch gegenüber. „Wozu eine Biopsie entnehmen, wenn man hinterher doch operiert?“ „Überwiegt das Risiko für Zellverschleppung bei Biopsieentnahme oder der Nutzen?“ „Lohnt sich der Aufwand zum Wohle der Katze?“ Und: „Was kann ich (Neues) in meine Praxis integrieren?“ Um es gleich vorweg zu nehmen: Das Urteil sehr vieler Teilnehmer war homogen: Man fragte sich, ob sich wirklich so wenig getan habe seit dem Studium. Egal, ob dieses ein oder 20 Jahre zurück liegt. Ob dieses Urteil fair ist, sei dahin gestellt. „Mit nach Hause nehmen“ konnte sich trotzdem jeder viel.
„Abwarten ist keine Option“
Gerade die ersten Referate waren sehr wichtig. Hier wurde geschildert, wie und wo und in welchem Umfang am besten Biopsien genommen werden. Diese sind vor allem für Staging und Prognose wichtig. Skeptiker erfuhren, dass (entgegen vielgehörter Annahme) durch „Biopsie keine Metastasen ausgelöst werden“. Es würden aber, so Sandra Kühlen von der TK Hofheim, „Tumorzellen entlang des Stichkanals verschleppt“. Dieser müsse dann bei der anschließenden OP mit entfernt werden. Als Kontraindikation gilt, wenn die Biopsie genau so schwierig oder riskant wie die OP ist (z.B. Hirntumor) oder „die Diagnose am weiteren Vorgehen nichts ändern würde“ (Milz- oder Lungentumor). Beeindruckt waren die Kollegen von Carsten Grußendorfs Flap-Techniken zum Verschluss der Defekte.
Chirurgie
Erwartungsgemäß traf das Thema „Mammatumore“ auf besonderes Interesse. Sie sind die häufigsten Neoplasmen der unkastrierten Hündin. Die Referentin formulierte provokant: „Frühkastration ist die effektivste Maßnahme, um das Risiko für Mammatumore zu senken und ist aus onkologischer Sicht der Läufigkeitsunterdrückung vorzuziehen.“ Die Chirurgie scheint fast immer die beste Lösung. Denn auch aus benignen Tumoren können sich maligne entwickeln, mit zunehmender Größe steigt das Malignitätsrisiko.
Sehr spannend waren auch die Vorträge des Jenaer Chirurgen Andreas Pfeil. Zum Thema Osteosarkom bei der Katze erklärte er, dass eine frühzeitige radikale Resektion das Mittel der Wahl ist.
Eine sehr interessante Frage brachte Heidi Kübler, das „Gesicht“ der Komplementärmedizin in Deutschland, in die Diskussion ein. Die großen Kliniken leben nicht zuletzt vom kollegialen Miteinander, will heissen: von den Überweisungen der Praktiker aus ihrem Umfeld. Heidi Kübler fragte die Referentin Frau Wergin von der LMU München: „Wenn sich Tierhalter nun gegen Chemotherapie und Bestrahlung entscheiden, überweisen Sie dann zum Regulationsmediziner?“
Der deutsche Markt im Blick der Welt
Hat jemals so viel Interesse an Berufspolitik bestanden, wie am Rande dieser Intensivfortbildung? Wahrscheinlich nicht. Selbst die bpt-Funktionäre waren überrascht, wie voll beispielsweise das Auditorium zum Thema „Finanzinvestoren – Segen oder Fluch“ war. Es ging um den Einstieg von Klinikketten in den deutschen Markt. Dem Thema hat wir-sind-tierarzt.de eine aktuelle Artikelreihe gewidmet (hier) und wird auch noch gesondert über die zentralen Aussagen der Podiumsdiskussion berichten.
Daneben scheint auch Bewegung in den Bereich „Tierkrankenversicherungen“ zu kommen. Auch hier entwickeln ausländische Investoren langsam Interesse für den deutschen Markt. Ob diese Entwicklungen gut oder schlecht für die Tierärzteschaft ist, muss jetzt diskutiert werden. Sieht man, in welch unglaublicher Geschwindigkeit die Entwicklung voran geht, wird es ein „später“ zum Diskutieren nicht mehr geben.
Bewegung ist auch bei der Industrie auszumachen. Während sich mehr große Firmen zu noch größeren mit nahezu kompletten Produktportfolio zusammenschließen (aktuell Boehringer und Merial), hoffen kleinere, wendigere Firmen mit mehr Serviceleistungen, Lücken nutzen zu können. Immer wichtiger scheinen die Themen Tierernährung und Tierbestattung zu werden. Zufrieden mit der Messe waren die meisten Aussteller. Schon allein, weil ihnen Leipzig noch in den Knochen steckt: „Wer sagt, es sei in Leipzig schön gewesen, der lügt“, so spottete eine Außendienstlerin. Dort war man tagelang im pausenlosen Dauereinsatz. Schön für die Chefs, „Ochsentour“ für die Mitarbeiter.
Es folgten in diesem Jahr rund 900 Tierärzte, 260 TFA und 90 Aussteller dem Ruf des Tierärzteverbandes. Es war eine der intensivsten Intensivfortbildungen der vergangenen Jahre – sowohl in medizinischer wie auch in berufspolitischer Hinsicht, werden die aktuellen Themen die Tierärzteschaft nachhaltig in Atem halten.