„Heuschrecken“ oder Langfristinvestoren

Heuschrecke oder Grashüpfer?

Deutschlands Tierarztpraxen erwirtschaften jährlich circa 2,6 Milliarden Euro Umsatz. Mit Großbritannien teilen sie sich den Spitzenplatz in Europa. Im deutschen Markt schlummert allerdings großes Wachstumspotential. Es winken hohe Renditen und das lockt „Kapitalinvestoren“. Wer sind die und worum geht es ihnen?

von Henrik Hofmann

Dies ist Teil 2 unserer Serie über „Kapitalinvestoren im deutschen Tierarztmarkt“. In Teil eins ging es um Rechtsfragen: Warum können Investoren überhaupt einsteigen, wo doch ein Fremdkapitalbeteiligungsverbot gelten sollte?

So rechte „Geschäftsmänner“ (bzw. -Frauen) sind die deutschen Tierärzte nicht. Ihnen wird „wenig Unternehmergeist“ unterstellt und ein Blick in die Zahlen zeigt: Das stimmt teilweise durchaus. Die Praxiseinnahmen verteilen sich nämlich sehr unterschiedlich, der Markt ist gespalten.

Wenige Praxen erzielen sehr hohe Umsätze

Insgesamt gab es in Deutschland 2013 etwas über 11.900 niedergelassene Tierärzte. Aber nur 9.500 waren umsatzsteuerpflichtig und erzielten einen Gesamtumsatz von etwa 2,6 Milliarden Euro. Das bedeutet, dass schon mal rund 2.400 Praktiker (20Prozent!) weniger als 17.500 Euro pro Jahr umsetzen, denn das ist Umsatzsteuerfreigrenze. Weitere 12 Prozent setzten im Schnitt 33.000 Euro um und nochmal 15 Prozent lagen in der Gruppe bis 74.000 Euro Umsatz, hat Prof. Dr. Renate Ohr von der Universität Göttingen, für die Heimtierstudie zum „Wirtschaftsfaktor Heimtierhaltung“ ausgewiesen.
Das bedeutet: gut 45 Prozent(!) der deutschen Tierarztpraxen kann man nicht als Vollerwerbspraxen bezeichnen, denn vom Umsatz müssen die Kosten (Personal, Waren und Dienstleistungen sowie sonstigen betriebliche Aufwendungen und Investitionen) abgezogen und der dann verbleibende Unternehmerlohn noch versteuert werden und es fallen Sozialabgaben an.
Dafür liegen etwa neun Prozent (knapp 1.100 Praxen/Kliniken) in der Umsatzklasse über 500.000 Euro, die nach oben mit Betrieben jenseits von zehn Umsatzmillionen endet.
Letztlich sind es die Praxen/Kliniken in dieser kleinen Gruppe, die 1,5 bis 3 Millionen Euro Umsatz erreichen, für die sich Investoren interessieren.

Hohe Renditen

Dass in Deutschland bessere Zahlen drin sein müssten, zeigt der Vergleich mit Großbritannien: Auch dort liegt der Gesamtumsatz bei etwa 2,5 Mrd. Euro – allerdings erzielt von nur halb soviel Praxen und mit (im Heimtierbereich) rund 7 Millionen weniger Tieren. Nun sagt Umsatz – speziell wenn er in Statistiken gemittelt wird – wenig aus über die tatsächliche Ertragskraft. Glaubt man Branchenkennern und Unternehmensberatern, erzielen gut laufende deutsche Kleintierpraxen eine Umsatzrendite von 30 Prozent, manche auch 35 Prozent und mehr. Das ist viel – gerade im Vergleich zu anderen Industriebereichen, in denen Investoren ansonsten ihr Geld anlegen.

„Ich kenne keine Branche, die so kontinuierlich gewachsen ist in den letzten zehn Jahren“, sagt auch ein befreundeter Finanzexperte über den deutschen Tierarztmarkt.

Außerdem ist Deutschland – bezogen auf Bevölkerung, Kaufkraft und Tierzahlen – der größte Heimtiermarkt Europas und er hat noch erhebliches Potential. Kein Wunder, dass findige Investmentprofis hier einen lukrativen Markt sehen. „Die Spitzenposition in Europa“, so der Experte, „wird in Deutschland entschieden. Denn hier ist der größte und beste Markt!“

„Private Equity“

Dieser Markt reizt „Private Equity“-Firmen (zu deutsch außerbörsliches Eigenkapital). Der Begriff steht für eine Form des Beteiligungskapitals, das Anleger in Unternehmen investieren, die nicht an geregelten Märkten (Börsen) gehandelt werden. Das Geld sammeln darauf spezialisierte Beteiligungsgesellschaften von vermögendem Privatpersonen aber auch Organisationen ein. Das können zum Beispiel Versicherer, Pensionsfonds oder auch Versorgungswerke sein.

„Heuschrecke“ oder nicht?

Eine Form von „Private Equity“ ist das Risiko- oder Wagniskapital (englisch Venture Capital). Es fließt in junge innovative Unternehmen, die naturgemäß ein hohes Risiko, aber auch entsprechende Wachstumschancen bergen. Der deutsche Tiermedizinmarkt bietet Wachstumschancen, die sonst nur beim Einsatz von Wagniskapital möglich wären, hat aber zugleich ein vielfach geringeres Risiko.

Heuschrecke oder Grashüpfer?

Heuschrecke oder Grashüpfer?

Eine andere Form von „Private Equity“-Investments ist vor allem in Deutschland als Angstwort bekannt – das Engagement von „Heuschrecken“. Sie verdienen ihr Geld damit, bestehende Unternehmen aufzukaufen, in wertvolle und weniger wertvolle Unternehmensteile zu zerlegen und die einzelnen Einheiten dann gewinnbringend zu verkaufen. Diese „Zerschlagungsgewinne“ kann man im (Tier-)medizinsektor noch nicht realisieren. Hier steigen die Investoren bei Kliniken und Praxen ein, um (zumindest im Moment), vergleichsweise gute Renditen durch die Optimierung des bestehenden Geschäfts zu erzielen.

„Private Equity“ vs. „Corporates“

An diesem Punkt kommen die Investoren AniCura und Evidensia ins Spiel, die aktuell Tierkliniken in Deutschland aufkaufen. Beides sind Holdinggesellschaften, die zunächst aus dem Zusammenschluss von tierärztlich geführten Kliniken entstanden sind, bevor sich dann Private Equity Fonds als zusätzliche Kapitalgeber beteiligt haben. Mit deren Geld finanzieren beide Unternehmen ihr rasantes Wachstum: Sie kaufen oder beteiligen sich an Tierklinken und Praxen und bauen über den Zusammenschluss ein effizientes Netzwerk auf. Hier steht unternehmerisches Investieren im Vordergrund. Sie selbst bezeichnen sich – wohl auch um sich von einem reinen Kapitalinvestor abzugrenzen – als „Corporates“. Das ist zunächst nur gleichbedeutend mit „Unternehmen“, doch die amerikanische Bezeichnung wird gelegentlich für Beteiligungsfirmen verwendet, die nicht allein renditeorientiert operieren, sondern sich auf einen besonderen Markt konzentrieren – in diesem Fall Tierkliniken.
Beide Gesellschaften kaufen in Deutschland und Österreich gezielt große Kleintierpraxen und -kliniken mit einem Jahresumsatz ab 1,5 Millionen Euro aufwärts. Dafür kommen in Deutschland etwa 150 Kleintierkliniken/praxen in Frage.

Wie Investoren rechnen

Für Beteiligungsgesellschaften ist die Umsatzrendite nicht die primäre Kennzahl. Für sie ist die wichtigere Zahl die Kapitalrendite. Das ist der Überschuss der Klinik oder Praxis im Verhältnis zum eingesetzten Kapital. Überschuss ist also Umsatz abzüglich aller Kosten. Und dazu zählt – was viele Praxisinhaber nicht mit einrechnen – auch ihr eigenes Geschäftsführer-Gehalt. Bei einer Übernahme durch Investoren, soll der Altinhaber (auf drei bis fünf Jahre befristet) im Unternehmen bleiben und wird auch weiter bezahlt.
Ein vereinfachtes Rechenbeispiel: Erzielt eine Klink einen Umsatz von einer Million, beträgt die Umsatzrendite vielleicht 25 Prozent. Das wären dann 250.000 Euro. Bezahlen sie dem Geschäftsführer ein Jahresgehalt von 170.000 Euro, verbleibt ein erwarteter Überschuss von jährlich 80.000 Euro. Je nach dem, wie viel die Investoren für den Klinikkauf hingelegt haben, müssen sie erwägen, ob sich die Investition gelohnt hat. Würde der 15fache Jahresüberschuss bezahlt, so kann der Inhaber der Klinik im Verkauf 1,2 Millionen Euro erzielen und der Investor hat eine Kapitalrendite von rund 6,7 Prozent – wobei der Faktor 15 eher hochgegriffen zu sein scheint, folglich die Rendite höher sein dürfte (8% bei 1 Mio Kaufpreis). Hier sind erwartete Synergieeffekte und eingeplante Umsatzsteigerungen noch nicht berücksichtigt.

Gut oder böse?

Auch wenn das bei den beiden genannten Unternehmen (aktuell) nicht das Geschäftsmodell zu sein scheint: Man muss grundsätzlich einkalkulieren, dass das zusammengekaufte Klinikportfolio in wenigen Jahren weiterverkauft wird – als „Paket“ oder womöglich auch einzelne attraktive Standorte. Es gibt also durchaus auch ein „Heuschrecken-Szenario“. Das sollte die Tierärzteschaft wissen. Ob dann erneut Investoren einsteigen, die wieder weiterverkaufen wollen oder – durchaus denkbar – amerikanische oder britische Klinikketten, sich so „mit einem Schlag“ einen Platz im deutschen Markt erkaufen, ist offen.
(Update: Im Juni 2018 hat der US-Konzern Mars – wie hier angedeutet – die Klinikkette AniCura gekauft / Bericht hier)

Fazit: Ob sich der Klinikverkauf für die Inhaber lohnt, ist abhängig von dem, was sie beim Verkauf erzielen, ihrem zeitweiligen Geschäftsführer-Gehalt aber auch den weiteren beruflichen und persönlichen Plänen (Renteneintritt?). Mit ihrer Klinik/Praxis verkaufen sie auch ihren (meist) geliebten Arbeitsplatz.
Mit den Vor- und Nachteilen von Investorenmodellen und weiteren Beteiligungsmöglichkeiten für Inhaber und Angestellte befassen sich andere Artikel unserer Berichterstattung über „Kapitalinvestoren“.

Quellen:
Heimtierstudie zum „Wirtschaftsfaktor Heimtierhaltung“ – Universität Göttingen (PDF / Praxisdaten S. 19-22)

 

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Über den Autor

Dr. Henrik Hofmann

Dr. Henrik Hofmann (hh) betreibt seit 1995 eine eigene Tierarztpraxis in Butzbach. Er ist Fachtierarzt für Allgemeine Veterinärmedizin und hat die Zusatzbezeichnung Akupunktur. (www.tierundleben.de) Als Autor und Redakteur hat Hofmann in etlichen Zeitschriften und Zeitungen rund ums Tier geschrieben. Bei wir-sind-tierarzt.de betreut er schwerpunktmäßig Medizinthemen, den Bereich Praxismanagement und die Rubrik Mensch-Tierarzt. Außerdem steuert er die SocialMedia-Aktivitäten und leitet die Bildredaktion. Zuletzt ist sein Buch „Tieren beim Sterben helfen – Euthanasie in der Tierarztpraxis“ erschienen. Kontakt: henrik.hofmann(at)wir-sind-tierarzt.de
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