Noch Anfang 2015 galt es als „rote Linie“: Kapitalinvestoren dürfen keine Tierkliniken und Tierarztpraxen betreiben. Das steht so in einigen tierärztlichen Berufsordnungen. Doch eben nicht in allen. Damit gilt das zersplitterte „Fremdkapitalbeteiligungsverbot“ juristisch als zahnlos. Investoren wie AniCura & Co kaufen denn auch munter Tierkliniken auf – und die Kammern sehen zu.
von Jörg Held
Dies ist Teil 1 einer mehrteiligen Serie über „Kapitalinvestoren im deutschen Tierarztmarkt“. Es folgt: „Private Equity – wer investiert da überhaupt?“
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Manche Berufsordnung formuliert starke Sätze – und wenn es danach ging, wären die Aktivitäten der Klinikinvestoren wie AniCura & Co ungesetzlich. Ein Beispiel:
Tierärzte können auch in Form einer juristischen Person des Privatrechts (meint u.a. eine GmbH, als solche werden die aktuell gekauften Kliniken geführt / Anm.d.Red.) tierärztlich tätig sein. Dabei muss gewährleistet sein, dass …
- die Mehrheit der Gesellschaftsanteile und der Stimmrechte Tierärzten zusteht,
- alle Gesellschafter in der Gesellschaft beruflich tätig sind,
- die Gesellschaft verantwortlich von einem Tierarzt geführt wird bzw. Geschäftsführer mehrheitlich Tierärzte sind,
- Dritte nicht am Gewinn der Gesellschaft beteiligt sind und Anteile an der Gesellschaft nicht für Dritte gehalten werden,
So steht es im „§ 11a Tierärztegesellschaften“ der Berufsordnung der Landestierärztekammer Mecklenburg-Vorpommern und ähnlich auch in denen für Hamburg, Nordrhein, Westfalen Hessen u.a.. Demnach dürften sich nichttierärztliche Investoren nicht an Tierarztpraxen/Kliniken beteiligen.
Nur formulieren das so deutlich eben nicht alle Berufsordnungen der 17 Landestierärztekammern (in NRW gibt es zwei Kammern: Nordrhein und Westfalen). Und auch die 16 Heilberufegesetze der Bundesländer sind da nicht gleichlautend scharf und präzise formuliert.
Investoren ignorieren Berufsordnungen
Diese Abweichungen sehen auch die Investoren und ignorieren die Berufssordnungen/Heilberufegesetze schlicht – mit durchaus nachvollziehbaren Argumenten:
- Zum einen hält die Europäische Union das deutsche „Fremdkapitalbeteiligungsverbot“ bei (Tier)Arztpraxen – und womöglich auch Apotheken – für einen Verstoß gegen die Wettbewerbsfreiheit – und stellte es zusammen mit anderen Regelungen im Rahmen einer sogenannten „Transparenzinitiative“ auf den Prüfstand. Damit ist schon fraglich, ob ein gesamtdeutsches Verbot nach EU-Recht Bestand hätte.
- Dieses „gesamtdeutsche Verbot“ aber gibt es gar nicht. Nur in neun von 16 Bundesländern (zehn Kammern) ist es klar ausformuliert. Fünf Länder/Kammern dagegen erlauben Fremdkapitalinvestments, in zweien sind sie unklar geregelt. Damit ist der Grundstein für eine juristisch angreifbare Ungleichbehandlung gelegt.
Gute Chancen vor Gericht
Letztlich lassen die Investoren es also darauf ankommen: Verbietet uns doch unser Engagement und wir werden sehen, was die Gerichte von euren Regeln halten.
Die Erfolgschancen dürften schon in Deutschland gut sein: So hat 2013 das Berliner Kammergericht ein Urteil darüber, wer sich als „Tierklinik“ bezeichnen darf und wer nicht (also auch Tierärzte ohne Fachtierarzt-Qualifikation), unter anderem damit begründet, dass es dazu bundesweit eben kein einheitliches Regelwerk der Kammern gebe (PDF-Download hier).
Vor dem Europäischen Gerichtshof dürften die kapitalstarken Investoren, die große Anwaltskanzleien für Wettbewerbsrecht hinter sich haben, wohl erst recht Recht bekommen – und bis dorthin, das haben sie durchblicken lassen, würden sie einen Rechtsstreit auf jeden Fall bringen.
Die Tierärztekammern wissen umgekehrt um ihre zersplitterte und schwache rechtliche Position und gehen daher zur Zeit nicht gegen solche Investments vor. Wohl auch, um der EU keinen Vorwand zu geben, höchstrichterlich das ganze deutsche Kammerwesen auf den Prüfstand zu stellen.
Investoren schaffen Fakten
Fazit: Die “rote Linie, dass der tierärztliche Berufsstand in jedweder Unternehmensform das Sagen behalten muss – weil es um öffentliche Gesundheit und Zoonosen geht”, ist überschritten. Diese „rote Linie“ hatte Ministerialrat Hans-Albrecht Carganico noch auf der BTK-Delegiertenkonferenz im März 2015 in Berlin gezogen. Der zuständige Referatsleiter Recht im Bundeslandwirtschaftsministerium wollte damals gegenüber der EU aus der Defensive kommen, indem das Ministerium eine neue, bundesweit gültige Musterberufsordnung auf den Weg zu bringen gedachte. Die sollte inhaltlich mit den Vorgaben der EU-Dienstleistungsrichtlinie übereinstimmen und “dann sollte EU-rechtlich nichts schief gehen”, glaubte Carganico.
Inzwischen aber haben die Investoren durch ihre Klinikkäufe zumindest für diesen Teil des Kammerrechtes Fakten geschaffen – und dürften auch bereit sein, diese juristisch zu verteidigen.
Letztlich hat sich das Fremdkapitalbeteiligungsverbot für deutsche Tierarztpraxen damit wohl erledigt.
Wichtig: Die in diesem Artikel diskutierten Verbote gelten für eine „Fremdkapitalbeteiligung“. Heilberufegesetze und Berufsordnungen erlauben für Tierärzte bereits jetzt, dass sie ihre Praxen als GmbH oder in einer anderen juristischen Rechtsform führen. Was hier zulässig und zu beachten ist, hat der Bundesverband praktizierender Tierärzte im bpt-infodienst für seine Mitglieder aufgelistet (LogIn erforderlich).