Biologische Tiermedizin: Zusatzmaßnahme ohne Zusatznutzen?

Die Anwendung von homöopathischen Globuli

Auch Tierärzte bieten Homöopathie-Kurse an. Die vermittelten in erster Linie „Kochrezept-Wissen“ und bewerben Präparate, die das Krankheitsbild schon im Namen tragen, beobachtet Malte Kubinetz. Anerkannt werden sie vom Gralshüter der Veterinär-Qualität, der ATF. „Die biologische Therapie ist höchstens eine Zusatzmaßnahme ohne Zusatznutzen für den Patienten – wohl aber für den Behandler“, lautet sein Fazit im Protokoll einer Fortbildung. Ein Gastbeitrag.

Gastbeitrag von Malte Kubinetz

Vor einigen Wochen besuchte ich eine Fortbildung für alternativ tätige Tiermediziner. Da ich mich durchaus zu den kritischen Tiermedizinern zähle, fand ich es besonders reizvoll, hierzu einmal etwas von einer renommierten Kollegin vermittelt zu bekommen. Diese stößt dabei auch in Bereiche vor, die ich mir bis dahin nicht vorstellen konnte, wie zum Beispiel die Tierkinesiologie oder die systemische Tieraufstellung. Alle diese Fachgebiete werden (auch) von akademisch ausgebildeten Tierärzten betreut.

‚Biologische Therapie‘: „Es wird oft, viel und lange eingeschenkt“

Praxisinhaber: Malte F. Kubinetz. Er arbeitet seit 1985 in der Praxis, war vorher beim Kerckhoff-Institut der Max-Planck-Stiftung in Bad Nauheim als wiss. Mitarbeiter im Stipendiat. Studium an der legendären Justus-Liebig-Universität Giessen, davor Schule und Gymnasium in Erftstadt. Glücklich verliebt. Hauptsächliche Freizeitaktivität: Vater sein. Außerdem langjährig Mitglied der AAHA (American Animal Hospital Ass.), der SVK (Schweizerische Vereinigung für Kleintiermedizin), aktiv in der ESVIM (Europ. Soc. of Veterinary Internal Medicine), ESVNU (Europ. Soc. of Veterinary Nephrology and Urology) und ISVNU (das gleiche, nur international).

Malte F. Kubinetz, arbeitet seit 1985 in eigener Praxis (mehr siehe Autorenkasten unten / Foto: privat).

Thema des Vortrages an diesem Abend sind die Pankreaserkrankungen bei Hund und Katze.
Die Referentin führt binnen zwei Stunden durch die wichtigsten Erkrankungen des Pankreas. Sie sensibilisiert uns im ersten Teil für die Notwendigkeit evidenzbasierter Forschung – denn es gäbe in der biologischen Tiermedizin kaum belastbare Studien; dann auch dafür, in unserer täglichen Arbeit nicht zu versäumen, das zu tun, wozu wir als Tiermediziner ausgebildet wurden: Expertise zu haben und zu zeigen, Untersuchungen durchzuführen, präzise Diagnosen zu stellen. Dazu gehöre ein fundiertes Wissen zu Anatomie, Physiologie, Pathologie und Biochemie. Mit 18 Folien bringt sie uns unser Wissen aus dem Studium wieder in Erinnerung.

Im folgenden Teil beschäftigt sie sich zunächst mit der akuten Pankreatitis und stellt uns sowohl die „schulmedizinische“ (wobei „hochschulmedizinisch“ vermutlich treffender gewesen wäre), als auch die „biologische Therapie“ (die man tatsächlich in Heilpraktiker-„Schulen“ lernen kann) vor.
Man könnte es kurz machen: Pankreas suis, Mormodica, Leptandra sind hier die Mittel der Wahl.
Wie viel Alkohol die Tiere dabei zu sich nehmen, war nicht Gegenstand der Erörterung, steht aber in der Verfahrensanweisung 42 a des HAB. Ich stelle fest: In der ‚biologischen Medizin‘ wird oft, viel und lange eingeschenkt.
Weitere Präparate werden für den fortgeschrittenen Homöopathen vorgestellt. Sie stammen in der Hauptsache ebenfalls von der Firma XY, die die Fortbildung sponsert. Mit dabei sind auch die umsatzstarken Präparate der Firma.

Komplexpräparate und die Angst vor Bühnenauftritten

Da es sich hierbei zumeist um sogenannte „Komplexpräparate“ handelt, also um Präparate, die aus bis zu 15 und mehr Einzelkomponenten bestehen, werden auf den nächsten 17 Folien eben diese Einzelkomponenten vorgestellt. Darunter sind Quecksilber in der Verdünnung D8, Arsen in D4, aber auch ein Homöopathikum, in dessen „Arzneibild“ die Angst vor Bühnenauftritten vorkommt.
Niemand im Auditorium scheint sich daran zu stören. Nicht an der Tatsache, dass „Arzneibilder“ an gesunden Patienten erarbeitet werden, Krankheit aber irgendwie doch etwas anderes ist als Gesundheit. Und auch nicht an der Tatsache, dass die „Arzneibilder“ am Menschen erarbeitet wurden und dessen Zipperlein nun 1:1 auf die Tiere übertragen werden. Wie eben das Lampenfieber. Tierartliche Unterschiede werden erst gar nicht berücksichtigt.

„In Bezug auf Arsen und Quecksilber schaudere ich kurz“

Unterschiede gibt es höchstens bei der Dosierung: Hund: 1 Ampulle; kleiner Hund und Katze: ½ Ampulle. Es eröffnet sich eine rege Diskussion über die Dosierung. Auf die Frage, warum Dosierungsangaben bei einer in der Hauptsache mit Energetik, Resonanz und der Fähigkeit des Wassers zur Clusterbildung argumentierenden Therapieform überhaupt wichtig seien, erklärt die Vortragende: Bei den „Niedrigpotenzen“ D1 bis D6 sei tatsächlich noch Substanz im mg- bzw. im µg-Bereich in der Zubereitung enthalten. In Bezug auf Arsen und Quecksilber schaudere ich kurz. Jedoch: Bei Komplexpräparaten stimmt spätestens dann die Angabe der Dilution nicht mehr, wenn eine Präparation mit der nächsten vermischt wird. Mithin sind beispielsweise im Traumeel die Einzelkomponenten rund 15 mal verdünnter, als auf der Packung angegeben wird.

Allergien auspendeln

als Patentlösung?

„Umsatzstarke Präparate“ als Patentlösung?

Die Frage, wie man in Bezug auf Pancreas suis mit Schweinefleischallergikern umgehen müsse, spaltete das Auditorium. Die meisten Zuhörer hätten damit kein Problem, die Vortragende selbst mahnt jedoch zur Vorsicht. Vor allem deshalb, weil die verfügbaren Allergietests der kommerziellen Labors nicht fehlerfrei seien.
Eine Kollegin vorne rechts kann uns dann aber alle beruhigen. Sie hat genau so einen Fall gehabt: den Schweineallergiker mit der Pankreasinsuffizienz. Bei der Therapie mit Pankreas suis gab es keine Probleme. Sie hatte die Allergie durch Auspendeln diagnostiziert. Probleme gab es mit der zusätzlichen „schulmedizinischen“ Therapie mit Medikament A. (Hauptinhaltsstoff: ausgerechnet Schweinepankreas) allerdings auch nicht. Ich zweifle nun langsam an meinem Berufsstand und bewahre mir meine kritische Haltung.

Als besondere Würze stellt die Referentin nun auf Folie 46 ein Fallbeispiel aus der Praxis vor. Es soll das einzige an diesem Abend bleiben. Der Boxer „Wenonah“ kam mit dem Vorbericht in die Praxis, dass er immer mal wieder „Bauchweh“ hatte, das meistens nach ein- bis zwei Tagen spontan verschwand.
Bei der Untersuchung war der Patient bis auf einen leichten abdominalen Schmerz ohne besonderen Befund. Trotzdem oder gerade darum – ich habe es vergessen – wurde eine Laboruntersuchung eingeleitet, die eine erhöhte spec-cPL ergab. Auf eine ausführliche homöopathische Anamnese wurde verzichtet. Die Therapie mit Pancreas suis, Mormidica, Leptandra half ihm wieder auf die Pfoten. Eine Nachkontrolle erfolgte telefonisch. Ob sich sein Lampenfieber verbessert hat, habe ich nicht erfahren.

„Auf einmal wird mir klar: Alles Behauptungen“

Auf die Frage aus der letzten Reihe, ob es bei dem erhobenen Vorbericht nicht auch zu erwarten gewesen wäre, dass der Patient sich gänzlich ohne Therapie vollkommen gleich entwickelt hätte, beklagte die Referentin noch einmal, dass es in der „biologischen Medizin“ viel zu wenig evidenzbasierte Studien gebe. Da muss man ihr Recht geben.
Und auf einmal wird mir klar: Alles, was wir bisher zu Therapie, „Arzneibildern“ und „Komplexpräparaten“ gehört haben, beruht auf Behauptungen. Kaum jemand hat je überprüft, ob diese Behauptungen stimmen. Keine Placebokontrolle, keine Verblindung, keine Studien zur Wirksamkeit. Die Homöopathie fußt auf Erfahrungen mit Einzelfällen wie „Wenonah“. Vielleicht heißt es deshalb Erfahrens“medizin“.

Individuelle Therapieoptionen – die Stärke der biologischen Medizin?

Es geht weiter: Nächstes Krankheitsbild: chronische Pankreatitis. Therapie (zusätzlich zur „Schulmedizin“, versteht sich): Pancreas suis, Mormodica, Leptandra. Für die Fortgeschrittenen unter uns, das sind die umsatzstarken Präparate U. und C. vom Sponsor.

Nächstes Krankheitsbild: Pankreasinsuffizienz. Therapie (zusätzlich zur „Schulmedizin“, versteht sich): Pancreas suis, Mormodica, Leptandra. Für die fortgeschritten Homöopathen, die  umsatzstarken Präparate U. und C.

Keine Studien, aber auch keine Fallbeispiele. Keine persönlichen Erfahrungen. Keine Beweise der Wirksamkeit.

Nächstes Krankheitsbild: Diabetes mellitus. Therapie (zusätzlich zu der Insulingabe, versteht sich): Pancreas suis. Für die Fortgeschrittenen die … .
Bei Katzen: dito.
Bei Katzen in Remission: Insulin absetzen, biologisch aber weiterbehandeln. Man kann ja nie wissen.
Nach Folie 79 dämmert es mir dann endgültig:

Homöopathie ist eben gerade nicht fallbezogen, patientenbezogen, der (gründlichen) Anamnese angepasst, ganzheitlich, individuell, wie sie immer gerne behauptet und womit sie sich von der „Schulmedizin“ abgrenzen möchte.

Nein, eine grobe Einteilung in Organsysteme reicht völlig aus. Die Therapie ist immer gleich. Bei „Komplexpräparaten“ mit zig Inhaltsstoffen ist das Programm: Man nehme ein „Komplexpräparat“ der Firma XY, welches das Organsystem im Namen trägt. Bei Bauchspeicheldrüse „Pancreas“, bei Leber „Hepar“ – und gut ist´s!
Fortgeschrittene kombinieren gerne mit den umsatzstarken Präparaten „S.“ und „T.“ bzw. „Z.“. Kann man nichts falsch machen.

… dann machen es die Laienbehandler

Warum nun sollen sich gut ausgebildete Tierärzte, die in der Lage sind, präzise Diagnosen zu stellen und gezielt und erfolgreich zu therapieren, überhaupt mit sogenannter „biologischer Medizin“ abgeben? Die Referentin macht das in einem Nebensatz deutlich: „Wenn Sie es nicht tun, machen es die Laienbehandler und der Verdienst geht dahin.“ Zustimmender Applaus.

Das einzige Praxisbeispiel, das ja eigentlich keines war, lässt vermuten, dass aussagekräftigere Fälle nicht zur Verfügung standen. Immerhin hat die akademische Medizin, wie ich sie mal nennen möchte, gerade diese Erkrankungen auch gut im Griff. Die biologische Therapie ist also höchstens eine Zusatzmaßnahme ohne Zusatznutzen für den Patienten, wohl aber für den „Behandler“.
Für Bestellungen aus diesem Arzneischatz gibt es am Schluss des Abends 15 Prozent Rabatt beim Hersteller.
Immerhin: Für die Teilnahme an der zweistündigen Veranstaltung bekam ich eine ATF- Stunde zuerkannt.

Fotos: ©WiSiTiA/hh – Beitragsbild: Globuli

Malte F. Kubinetz arbeitet seit 1985 in eigener Praxis und  war vorher beim Kerckhoff-Institut der Max-Planck-Stiftung in Bad Nauheim als wiss. Mitarbeiter im Stipendiat. Außerdem langjährig Mitglied der AAHA (American Animal Hospital Ass.), der SVK (Schweizerische Vereinigung für Kleintiermedizin), aktiv in der ESVIM (Europ. Soc. of Veterinary Internal Medicine), ESVNU (Europ. Soc. of Veterinary Nephrology and Urology) und ISVNU (das gleiche, nur international). Website von Malte Kubinetz

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