Facebook-Terror: „Dr. Missgeburt“ und die „Tierhändlerin“

Facebook ist Fluch und Segen zugleich: Hier werden Stars gemacht, Geschäfte unterstützt – und Existenzen bedroht. Jüngst musste diese Erfahrung eine Kollegin machen, die sich unversehens einem „Shitstorm“ ausgesetzt sah.

von Henrik Hofmann

Eine Kollegin betreibt neben ihrer Praxis eine Tierpension. Und vermittelt zwei Katzen übers Internet. Plötzlich sieht sie sich einem Shitstorm ausgesetzt. Einem Bericht der Zeitung Wochenblatt zufolge, hatte sie im Sinne des kranken Tierbesitzers und seiner Betreuerin die Katzen über ebay „in gute Hände“ vermittelt. Diese hatten sie dann mit einer Kleinanzeige bei eBay als Tierhändlerin diffamiert. Dies wiederum wurde von militanten Tierschützern auf Facebook verbreitet. Die Kollegin bemerkte das allerdings nicht selbst, sie war nicht einmal Mitglied bei Facebook, sondern wurde von Bekannten angesprochen. „Ich wusste nicht, wie mir geschieht – doch plötzlich riefen mich Freunde und Patienten an, schrieben mir Mails und sagten: Du, was ist denn da los?“ Von Null auf hundert brach ein Shit-Storm über sie herein.

Im Deutschen Tierärzteblatt (März 2016) beschreibt ein Anwalt detailliert, worauf Tierärzte bei Bewertungsportalen achten müssen und wie sie gegen eine schlechte Bewertung vorgehen können (PDF-Download hier)

„Facebook für die Tierarztpraxis“

Soziale Netzwerke sind nicht mehr wegzudenken. Heute sind 93% der Internetnutzer auch in Social media unterwegs. Allen voran wird Facebook von vielen Kollegen privat und geschäftlich genutzt. Der Dessauer Zukunftskreis hat aktuell sogar ein Heftchen heraus gebracht, mit dem Titel „Facebook für die Tierarztpraxis“ (-> Download).

Obwohl etliche Kollegen noch immer Berührungsängste mit Facebook und anderen sozialen Netzwerken haben, gibt es gute Argumente, wie Sozialmedia die Arbeit in der Praxis unterstützen kann:

  • Kundenbindung
  • moderne, aktuelle Darstellung der Praxis
  • aktuelle Dinge kommunizieren wie Urlaub, Notdienste, Aktionen oder Veranstaltungen
  • Umsatzsteigerung
  • Aktuelle Hinweise auf Gefahren (Leptospirose, Giftköder…)
  • Vorstellung neuer Mitarbeiter

Beachtet werden müssen natürlich Impressungspflich, Heilmittelwerbegesetz, Copyright usw.

Wo sollte ich Grenzen ziehen? (Quelle: Dessauer Zukunftskreis)

Wo sollte ich Grenzen ziehen? (Quelle: Dessauer Zukunftskreis)

Ein Shitstorm?

Der Duden definiert einen Shitstorm als „Sturm der Entrüstung in einem Kommunikationsmedium des Internets, der zum Teil mit beleidigenden Äußerungen einhergeht“. Ein Shitstorm bezieht sich vor allem auf Beiträge oder Kommentare in Blogs, Twitternachrichten oder Facebook-Meldungen. Zu kämpfen damit haben Privatpersonen, Stars und Firmen. Aktuell bekanntes Beispiel ist Schauspieler Til Schweiger. Aber auch Firmen rufen zum Teil nach missglückten Werbeaktionen tausendfache Hasskommentare hervor. Gestern war die Welt noch in Ordnung: Die Kommentare waren freundlich, der Tonfall wohlwollend, kollegial und konstruktiv, die eigene Reputation einwandfrei. Doch plötzlich ist alles anders: Der Mob wütet. Enttäuschte Fans und Follower bombardieren ihr Opfer mit negativen Kommentaren und Vorwürfen.

Die häufigsten Ursachen eines Shitstorms sind….

  • Selbst gemachte Fehler, die eindeutig auf’s eigene Konto gehen.
  • Enttäuschung aufgrund zu hoher Erwartungen, die nicht erfüllt werden.
  • Missstände, die plötzlich öffentlich werden.
  • Eigene Kommentare oder Aussagen, die andere verärgert haben.[/box]

„Kinder und Tiere gehen immer“

Die Kollegin sagt dem Wochenblatt gegenüber: „Es gibt mehr als 400 Anwälte in Deutschland, die auf solche Fälle spezialisiert sind. Einer sagte mir: Wenn man einen Shitstorm auslösen will, dann verbreitet man etwas mit Kindern oder Tieren – das geht immer.“ An den Fakten, an der Wahrheit, sei im Internet keiner interessiert. Übrigens auch Facebook nicht: Während man auf politischen Druck nachgegeben hat und nun eine Stelle einrichtet, die Hass-Kommentare löschen soll, etwa gegen Flüchtlinge, ist der Otto Normalverbraucher, dessen Ruf vernichtet wird, faktisch auf sich allein gestellt. Selbst auf die Meldung von Arzneimittelverstössen innerhalb Facebooks reagiert das amerikanische Unternehmen nicht.

Den Sturm zähmen

Und dann? Lässt sich die kommunikative Fäkalfront einfach aussitzen? Ist Schweigen Gold – zumindest bis der Zorn verraucht ist? In den meisten Fällen lässt sich ein Shitstorm so nicht bezähmen. Das Wichtigste ist, die Nerven zu behalten und das Unwetter systematisch zu beruhigen…

Wie verhalte ich mich bei Kritik? (Quelle: Desaster Zukunftskreis)

Wie verhalte ich mich bei Kritik? (Quelle: Dessauer Zukunftskreis)

Bei allen Gründen sind die Opfer zumindest in irgend einer Form beteiligt und daher mitverantwortlich. Deshalb verstärken Verleugnen und Beschwichtigen fast immer den Entrüstungssturm und die Empörung. „Unliebsame Kommentare kommentarlos zu löschen, ist nie eine Lösung“, schreibt karrierebibel.de. „Dann entlädt sich der Sturm woanders, und Sie haben noch weniger Kontrolle darüber. Der Shitstorm muss daher stets moderiert werden, sonst ufern die Diskussionen aus und entgleisen zusehends.“ Hier müssten Unternehmen allerdings schnell und konsequent reagieren. „Ein gutes Kommentar-Klima entsteht nicht, es wird gemacht.“

Eine Kollegin habe die geschilderte Tierärztin inzwischen ausfindig gemacht, der es ähnlich ergangen sei. Die vermeintlichen Tierschützer hatten ihr im Netz einen Spitznamen gegeben: „Dr. Missgeburt“. Ein Amtstierarzt berichtet, dass er ausserdem auch Morddrohungen erhalten habe. „Dagegen“, sagte er ,“muss man sofort Anwalt und Polizei einschalten!“

Teilen
Über den Autor

Dr. Henrik Hofmann

Dr. Henrik Hofmann (hh) betreibt seit 1995 eine eigene Tierarztpraxis in Butzbach. Er ist Fachtierarzt für Allgemeine Veterinärmedizin und hat die Zusatzbezeichnung Akupunktur. (www.tierundleben.de) Als Autor und Redakteur hat Hofmann in etlichen Zeitschriften und Zeitungen rund ums Tier geschrieben. Bei wir-sind-tierarzt.de betreut er schwerpunktmäßig Medizinthemen, den Bereich Praxismanagement und die Rubrik Mensch-Tierarzt. Außerdem steuert er die SocialMedia-Aktivitäten und leitet die Bildredaktion. Zuletzt ist sein Buch „Tieren beim Sterben helfen – Euthanasie in der Tierarztpraxis“ erschienen. Kontakt: henrik.hofmann(at)wir-sind-tierarzt.de
Web Design MymensinghPremium WordPress ThemesWeb Development

Wildtiere: Hilfe kann auch Leid bedeuten

9. März 20169. März 2016
Ein Faltblatt gibt Tipps zum Umgang mit Wildtieren. (©Landestierschutzbeauftragte Hessen / Erni/Fotolia.com)„Wildtiere brauchen in den aller seltensten Fällen menschliche Hilfe," sagt die Landestierschutzbeauftragte Hessen. Was tun kann, wer ein Wildtier findet – oder aber auch besser lassen sollte – erklärt ein Flyer, den Dr. Madeleine Martin zusammen mit der Landestierärztekammer Hessen herausgegeben hat. (mehr …)