„Behandlungsfehler“ sind in der Humanmedizin ein großes Thema. Aktuell wird aus England berichtet, dass innerhalb der letzten drei Jahre 1.100 gravierende Fehler gemacht wurden. Doch auch bei Tierärzten geht mal etwas schief. Wie die schlimmsten Fehler entstehen, zeigt eine aktuelle Studie.
von Henrik Hofmann
„Eileiter entfernt statt Blinddarm, ganzer Hoden statt Zyste: Englische Ärzte haben in den vergangenen Jahren haarsträubende Fehler gemacht“, berichtet die Ärztezeitung. Allein zwischen 2012 und 2015 seien mehr als 1.100 Fehler dokumentiert worden. Darunter über 400 Operationen an falschen Knien, Augen oder Hüften und mehr als 420 Gegenstände, die nach OPs in den Patienten vergessen worden seien – darunter Verbandsmull, Tupfer, Skalpellklingen und Nadeln. „Einer Frau hätten Ärzte eine Niere entfernt statt einen Eierstock“, berichtet das Magazin weiter. „Diabetes-Patienten hätten kein Insulin bekommen, andere Blut der falschen Blutgruppe oder falsche Implantate.“ Vereinzelt seien schlicht die Patienten verwechselt worden. „Ein einziger dieser Fehler ist einer zu viel“, kommentierte eine Sprecherin des Gesundheitsdienstes NHS England. Laut Gutachtern der Krankenkassen in Deutschland kam es hierzulande im vergangenen Jahr zu (insgesamt) fast 4.000 Behandlungsfehlern. Mehr als 150 Patienten starben, knapp 1.300 trugen einen Dauerschaden davon. Die Dunkelziffer könnte noch deutlich höher liegen.
Auswertung von 500 Tierarztfehlern
Tierärzte – zumindest untereinander – gehen bisweilen sehr offen mit dem Thema um. Immer wieder beschäftigen sich ganze Vorträge von Kollegen nur damit, welche Fehler sie gemacht haben. Das Ziel: Die andern Tierärzte sollen es besser machen (können), aus gemachten Fehlern lernen. Eine offizielle Statistik darüber gab es bislang nicht. Die britische Kollegin Catherine Oxtoby von der University of Nottingham fertigte 2009 bis 2013 die erste Studie über die Ursachen von tierärztlichen Kunstfehlern an; dafür wertete sie 500 Versicherungsfälle aus. In der aktuellen Veröffentlichung in der Fachzeitschrift „Veterinary Record“ nennt sie Fehlertypen, die in Tierarztpraxen vorkommen – und erklärt deren Ursachen.
Chaotische informelle Kommunikation
Das auffallendste Ergebnis von Oxtobys Studie ist, dass Patienten insbesondere dann geschädigt werden, wenn die Kommunikation im Tierärzteteam unzureichend ist. Man redet einfach nicht miteinander – nicht über Zuständigkeiten, nicht über Zweifel, nicht über die Fehler von Vorgesetzten. Oxtobys Gesprächspartner beschreiben Situationen, in denen jeder vom anderen Teammitglied denkt, es übernehme eine Aufgabe. Chaotische informelle Methoden der Kommunikation“, nennt sie das. Keine Protokolle, ein ausgeprägtes Sich-Verlassen darauf, dass Vermutungen stimmen. Dies betreffe vor allem hochkritische Momente; so kommt es wohl häufig vor, dass niemand die TFAs anweise, alle Tupfer vor und nach dem Eingriff zu zählen, weshalb sie leicht im Tier vergessen werden könnten.
„Kognitive Grenzen“
Die Schuld für falsche oder fehlende Kommunikation weist sie den Führungskräften zu. Vor allem Berufsanfänger fühlten sich allein gelassen. Und das insbesondere im Notdienst. Daneben charakterisiert Oxtoby aber auch Fehler, die durch „kognitive Grenzen“ zustande kommen: Tierärzte oder medizinisches Hilfspersonal sind einfach abgelenkt, unkonzentriert oder haben einen schlechten Tag. Weiterhin gibt es Fehler, die den Tierärzten durch ihre Ausrüstung unterlaufen, Fehler durch Zeitdruck und „Veterinärmedizin-spezifische“ Fehler, die damit zusammenhängen, dass ein Tier besonders schwierig zu handeln ist.
Der häufigste „Problembereich“ seien chirurgische Fälle. Doch eine positive Botschaft hat Oxtoby auch: Nachlässige Versorgung der Tiere sei den Tierärzten fast nie anzukreiden.
Eine ausführliche Zusammenfassung der englischen Auswertung hat Kollegin Christina Hucklenbroich hier für die FAZ estellt.
Bilder: ©2016 WiSiTiA/Henrik Hofmann