In der Tiermedizin herrschen gleichzeitig Unterbezahlung und Personalmangel. „Eine Relation, die allen Gesetzen des Arbeitsmarktes widersprechen“, stellte schon vor Jahren die Wissenschaftsredaktion der FAZ völlig verständnislos fest. Sind die Arbeitgeber schuld? Alles nicht so schlimm? Und: wer will eigentlich was? Eine Diskussionsveranstaltung in Hannover sucht Antworten.
von Henrik Hofmann
Unter dem Titel „Wirklich immer im Dienst – unterbezahlt – ausgebeutet?“ lud der Bundesverband Praktizierender Tierärzte (bpt) in die Kleintierklinik der Tiierärztlichen Hochschule Hannover zur Diskussion „mit dem gesamten Portfolio der Tierärzteschaft“ und fragte: „Wo führt der Weg hin?“ Die Diskussion ist wichtig – doch bei rund 100 Teilnehmern standen 73 Studenten und 17 Assistenten insgesamt sieben Praxis-/Klinikinhabern und einem (1) Hochschullehrer gegenüber. Wünschte man eine Informationsveranstaltung, war das Verhältnis sicherlich gut. Um ernsthaft an Lösungen zu arbeiten eher nicht.
Während Tierärzte früher gewohnt waren, als junge Anfangsassistenten unter schlechten, ja oft harten Bedingungen zu arbeiten, „hat sich die Situation in den Praxen verändert“, so bpt-Präsident Moder zur Einleitung der Veranstaltung. „Wir werden mehr, wir arbeiten mehr. Es sind immer mehr Frauen im Beruf und immer mehr Tierärzte wollen nicht in die Selbständigkeit, sondern als Langzeitassistenten arbeiten. Die Gewichtungen haben sich grundlegend geändert. (…) Früher hat man gefragt, wie viel verdiene ich. Heute wird erst mal nach Freizeit und Infrastruktur gefragt, bevor man eine Stelle annimmt.“ Vor zwei Jahren gründete der bpt den Arbeitskreis Assistenten und erarbeitete Modelle zur fairen Entlohnung. Doch noch immer halten sich etliche Inhaber nicht an gesetzliche Vorgaben. Umgekehrt fordern Assistenten ihre Rechte nicht ein. Und: Ihnen fehlt das betriebswirtschaftliche Verständnis, um zu verstehen, dass ein „faires Gehalt“ direkt in Zusammenhang mit dem von ihnen gemachten Umsatz steht.
Preisdumper als direkte Konkurrenten der Praxisassistenten
Für Praxisinhaber Dr. Rüdiger Marx liegt das Problem in der sich verändernden Konkurrenzsituation. Er musste in den letzten Jahren die Erfahrung machen, dass NeugründerInnen durch Unterschreiten der GOT (Gebührenordnung für Tierärzte) versuchen, in den Markt zu kommen. „Selbstständige, die keine Angestellten haben, arbeiten zum Teil zu Stundenlöhnen zwischen fünf und acht Euro. Sie sind damit direkte Konkurrenten zu meinen Angestellten.“ Leider seien die dumpenden Feierabendpraxen nicht bereit, sich am Notdienst zu beteiligen. „Im Notdienst kommen die Leute dann zu uns und sagen, die Nachbarkollegin sei ja soooo nett. Aber sie mache leider keinen Notdienst. Dafür, dass wir den nur durch höhere Preise leisten können, haben sie dann aber auch wieder kein Verständnis.“
„Wir brauchen neue Konzepte“, sagte Pferdeklinikinhaber Thomas Weinberger. „Eine Frau wird nicht einen männlichen Tierarzt ersetzen können und dabei eine gute life-work-Balance haben können.“ Das praktische Können würde von den Inhabern vermittelt. „Aber BWL braucht es!“
Die Dumper sind die Ausgebeuteten der Kliniken
Praxisassistent Mario Beck (wir berichteten hier) stellte die berühmte Frage nach Henne oder Ei: „Wer sind denn diese Nachbarkollegen? Das sind die, die in den Kliniken ausgebeutet wurden. Was machen die, wenn sie nicht mehr können? Industrie? Forschung? Wirtschaft? Für viele ist der letzte Ausweg die Schwangerschaft…“ Weiteres Problem sei, dass man nach dem Uniabschluss sofort eine Praxis eröffnen dürfe. Etliche machten eine Praxis auf, ohne zu wissen, was auf sie zukomme.
Die Veranstaltung ließ etliche Zuhörer ratlos zurück. Offensichtlich sind die gemeinsamen Interessen zwar viel breiter als die Gegensätze – doch so lange Uniprofessoren, Arbeitgeber, Kammern und Dauerassistenten die Diskussion darüber Studenten und wenigen Standesvertretern überlassen, werden keine klaren Konzepte entstehen können. „Ich glaube“, so Hubertus Keimer, „der Assistent weiss nicht, was der Arbeitgeber braucht und umgekehrt weiss der Arbeitgeber nicht, was der Assistent will!“