Mobbing: Unglückliche Arbeitnehmer sind die teuersten

Der Arbeitsalltag in der Tierarztpraxis kann purer Stress oder einfach emotional belastend sein. Hinzu kommen intensive Nacht-, Not- und Wochenenddienste und mangelnde Anerkennung. All das schreit förmlich nach einem Ventil. Doch es sollte niemals Grund für Mobbing sein. Das führt zum „sozialen Herzinfarkt“

von Henrik Hofmann

„Ich habe schon aus vielen Perspektiven unseren Beruf erlebt“, sagt eine Kollegin. „Als Tierarzthelferin, dann im Studium als Famulantin, später als (unbezahlte) Promotions-Assistentin und dann als Assistentin in verschiedenen Praxen und Kliniken. Fast immer gab es Kleinkriege: An der Uni war’s der Chef, der alle terrorisiert hat; als Assistentin zum Teil die TFAs, die mir zeigen wollten, dass sie’s drauf haben –  und ich eben nicht; zum Teil auch Kolleginnen, die Angst hatten, dass ich ihnen ihr Revier streitig mache. Als Famulantin habe ich es nur beobachtet, ich selbst war sowieso ,die Kleine‘ und wurde nicht ernst genommen.“

Bedürfnis nach Anerkennung

Hinter dem Kleinkrieg in der Arztpraxis steckt meist das menschliche Bedürfnis nach Anerkennung. Wer nicht durch eigene Leistung dazu kommt, der versucht, die erfolgreichere Kollegin durch Mobbing zu demontieren. Schon alltägliche Vorgänge können den Kleinkrieg auslösen. „Fast zwei Drittel der Mobbing-Täter sind Frauen“, schreibt das Deutsche Ärzteblatt. In der sich immer mehr zum (fast) reinen Frauenberuf wandelnden Tiermedizin – der Nachwuchs ist zu nahe 90 Prozent weiblich –, scheint das Risiko für Mobbing also besonders hoch. Kommt beispielsweise eine neue Kollegin in das Praxisteam, gerät schnell die gewachsene Hierarchie aus dem Lot. Ist die Neue erfolgreicher als die anderen, kann man sie mit Mobbing „aus dem Rennen werfen“.

[box]Arbeitswelt in Zahlen:

  • Von 1997 bis 2014 hat sich die Anzahl der Fehltage wegen psychischer Probleme verdreifacht
  • Frauen sind fast doppelt so häufig betroffen wie Männer (Quelle: DAK)[/box]

Mobbing: Eine Form von Gewalt

Die Amerikanische Kollegin Justine A. Lee berichtet, dass destruktives Verhalten eine komplexe Kombination aus relational aggression, horizontaler Gewalt oder Mobbing ist  – und die sei im medizinischen Bereich weit verbreitet:

Relational aggression is a type of aggression designed to harm someone’s social standing or relationships through manipulative behavior or by covert bullying. Horizontal violence is defined as untoward, unkind, offensive interactions directed toward one’s peers or people of the same hierarchy. Finally, bullying is defined as any type of repetitive verbal or physical abuse that involves some type of power imbalance.

Anders als in der Humanmedizin gibt es für Mobbing in der Tiermedizin wenig Daten. Justine Lee hat einige Ergebnisse zusammengestellt:

[box]Umfragewerte aus den USA

  • 88% der befragten TFAs oder angelernten Helferinnen haben ein Teammitglied, das „schlecht redet“ oder auf andere Art, das Team spaltet.
  • 55% haben eine Kollegin, die sich auf Kosten anderer produziert
  • 77% haben Kollegen, die herablassend, beleidigend oder grob sind
  • 33% haben Kollegen, die Mitarbeiter anschreien, beschimpfen oder fluchen
  • 52% haben Kollegen, die ihre Autorität missbrauchen, indem sie bedrohen, terrorisieren oder anderen ihren Willen aufzwingen[/box]

Neid als Triebfeder

Meist gibt es für Mobbing nicht die eine Ursache. Ein wichtiges Motiv ist vor allem Neid. Wer neidet, wird zum Unruhestifter, der etwas haben möchte, was ein anderer besitzt: das Gehalt, die Position oder die Fähigkeiten. Durch Intrigen und andere Gemeinheiten versucht man dem Beneideten Schaden zufügen und sich an seinem Unglück zu weiden. Dadurch – so empfindet es der Mobber – wird die eigene Situation wieder in ein besseres Licht gerückt. Da ein Neider sehr geschickt in der Wahl seiner Mobbing-Strategien ist und auch andere als Instrument für seine Ziele einsetzt, ist es oft schwierig, ihn bei seinem Treiben zu erwischen.

Die Folge: Minderwertigkeitsgefühle

Der Gemobbte wiederum ist immer in der Verteidigung. Ein Drittel seiner Gedanken kreist um die Frage: Wie kann ich mich rechtfertigen? Für den Praxischef wird das Opfer lästig. Es fällt negativ auf, weil es sich ständig verteidigen muss. Deshalb sollte die Gemobbte die Vorwürfe der Täterin ignorieren. Das Problem des Mobbing-Opfers ist es, dass sein Selbstbewusstsein langsam und systematisch zermürbt wird. Das Gefühl, etwas verkehrt gemacht zu haben, sitzt tief. Die Folge sind Minderwertigkeitsgefühle.
Deshalb darf der Arzt nicht wegschauen und hoffen, dass sich „die Sache von selbst erledigt“.

„Sozialer Herzinfarkt“ im Endstadium

Die verschiedenen Attacken beeinträchtigen das Wohlbefinden des Opfers empfindlich. Sie reduzieren sein Selbstwertgefühl derart, dass es im Endstadium einen sogenannten „sozialen Herzinfarkt“ erleidet. Mobbing-Opfer klagen über Depressionen, Schlafstörungen, ständige Müdigkeit, Kopfschmerzen, sinkendes Selbstbewusstsein, Appetitlosigkeit, Überempfindlichkeit, Übelkeit, Vergesslichkeit, Schwindelgefühle, Konzentrationsstörungen, Schweißausbrüche, Herz-Kreislauf-Schwierigkeiten, mangelnden Antrieb und Magen-Darm-Probleme.

[box]Wie wird gemobbt?

Typische Verhaltensweisen:

  • Kollegen und Mitarbeiter anschreien oder beschimpfen
  • Drohungen, Beleidigungen – anonym, auf Zetteln, am Arbeitsplatz
  • die Gemobbte wird von den Tätern ignoriert, Kontakt wird verweigert
  • ständiges Kritisieren der Arbeit: Aufgaben, die für das Opfer schon immer problematisch waren oder für die es nicht die geeignete Ausbildung besitzt, werden ihm bewusst zugewiesen. Das erhoffte Scheitern soll deutlich machen, dass das Opfer „fehl am Platz ist“
  • Gerüchte verbreiten
  • Verdächtigungen
  • Informationen zurückhalten
  • die Gemobbte muss Arbeiten unter ihrer Qualifikation ausführen oder solche, die nicht in das eigentliche Aufgabengebiet gehören
  • lächerlich machen
  • Unterlagen des Opfers sind plötzlich unauffindbar
  • im Hintergrund agieren (Intrigen)[/box]

Mobbing-Attacken „verkleiden“ sich

Obwohl in der Anfangsphase von Mobbing die Anzeichen dafür oft nur schwach ausgeprägt sind, sollte der Arzt seinen Blick schärfen, um harmlose Zwistigkeiten von schweren Konflikten unterscheiden zu können. Dazu ist es notwendig, sich mit seinen Mitarbeitern auseinander zu setzen und ihre Bedürfnisse, Verhaltensweisen und Eigenheiten zu kennen. So können Abweichungen am ehesten wahrgenommen werden. Nur wer weiß, in welchen „Verkleidungen“ Mobbing auftritt, wie es sich auswirkt und was das Verhalten der Täterinnen bestärkt, kann das Phänomen auch erkennen.
Dem Team sollte der Praxischef einen gewissen Handlungsspielraum einräumen. Nur Mitbeteiligung an Entscheidungen und Autonomie (in Grenzen) befähigt die Mitarbeiter, ihre Energien richtig zu kanalisieren und sie nicht für negative psychologische Spiele zu verwenden. Je mehr Eigenbestimmung jemand hat, desto schwieriger ist es, Mobbing zu betreiben.

vertragt euch

Der Arbeitgeber muss das Gespräch suchen. Mit „Täter“ und „Opfer“. (Quelle: Schirn)

Der Chef darf nie mitlästern

Unglückliche Arbeitnehmer, die Fehler machen und krank werden, kosten Arbeitgeber viel Geld. Dabei gibt es Vorbeugemöglichkeiten: klare Arbeitsstrukturen, eindeutige Aufgabengebiete/Zuständigkeiten und positives Betriebsklima. „Man sollte im Team nicht ständig Fehler suchen und kritisieren. Viel besser ist es, bei Fehlern sachlich zu klären, wie man sie vermeiden und sich verbessern kann”, erklärt Personal- und Praxistrainerin Caroline Beil. Dazu gehörten regelmäßige Teamsitzungen mit dem Vorgesetzten.
Ein Chef ist Vorbild. Er sollte seine Mitarbeiter daher niemals vorverurteilen und darf nie mitlästern.

Arbeitgeber schadenersatzpflichtig

„Ein Arzt hat als Arbeitgeber Fürsorgepflichten gegenüber seinen Angestellten”, sagt Beil. Nimmt er die nicht wahr und handelt nicht, kann er sich dem Opfer gegenüber schadensersatzpflichtig machen. Auch aus diesem Grund sollte ein Praxischef ständiger Kritik im Team, sich häufenden Fehlern und Krankheiten unverzüglich auf den Grund gehen. „Bei Mobbingverdacht sollte der Arzt zuerst mit dem mutmaßlichen Opfer und in einem zweiten Gespräch mit dem vermeintlichen Täter reden,” empfiehlt Beil. Jedes Mal sei ein zu unterzeichnendes Gesprächsprotokoll anzufertigen. Danach ist ein protokolliertes Dreiergespräch empfehlenswert, um den Konflikt zu lösen.

„Wir würden falsches Verhalten bei keinem Hund tolerieren“, sagt Lee. „Belohnen würden wir es schon gar nicht. Lassen sie uns unser Wissen auf die zweibeinigen Kollegen übertragen und Mobbing schon in seinen Anfängen bekämpfen!“ 

Quellen:
Deutsches Ärzteblatt,
veterinary teambrief
medical tribune

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Über den Autor

Dr. Henrik Hofmann

Dr. Henrik Hofmann (hh) betreibt seit 1995 eine eigene Tierarztpraxis in Butzbach. Er ist Fachtierarzt für Allgemeine Veterinärmedizin und hat die Zusatzbezeichnung Akupunktur. (www.tierundleben.de) Als Autor und Redakteur hat Hofmann in etlichen Zeitschriften und Zeitungen rund ums Tier geschrieben. Bei wir-sind-tierarzt.de betreut er schwerpunktmäßig Medizinthemen, den Bereich Praxismanagement und die Rubrik Mensch-Tierarzt. Außerdem steuert er die SocialMedia-Aktivitäten und leitet die Bildredaktion. Zuletzt ist sein Buch „Tieren beim Sterben helfen – Euthanasie in der Tierarztpraxis“ erschienen. Kontakt: henrik.hofmann(at)wir-sind-tierarzt.de
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