Viele Antibiotika verlieren durch Resistenzen ihre Durchschlagskraft. Doch mit neuen Wirkstoffen lässt sich kein Geld verdienen, denn sinnvollerweise sollen sie möglichst wenig eingesetzt werden. Dieses „Innovation-Gap“ beklagt eine Resolution von 100 Pharmafirmen und Verbänden: Die Regierungen weltweit müssten die Forschung zumindest mitfinanzieren – und Ärzten die Verdienstanreize durch Vielverordnung nehmen.
von Jörg Held
Vorhandene Antibiotika verlieren ihre Wirkung schneller als sie durch neue ersetzt werden können. Der Grund: Antibiotika verbrauchen sich. Sie haben so etwas wie ein eingebautes Verfallsdatum, an dem Resistenzen überhand nehmen – das kommt umso schneller, je öfter sie eingesetzt werden, denn selbst die ordnungsgemäße Anwendung bei Mensch und Tier selektiert (Co)Resistenzen.
Dieses Dilemma der stetigen und zum Teil dramatisch ansteigenden Entwicklung von antimikrobiellen Resistenzen (AMR) ist inzwischen weltweit Politikern, Ärzten und Unternehmen durchaus bewußt.
Sinnvoller Antibiotika-Einsatz …
Zum Weltwirtschaftsgipfel in Davos hat sich deshalb auch die Pharmaindustrie mit einer Resolution in die Debatte eingebracht: Darin fordert sie (u.a.) etwas, dass ihr letztlich das eigene Geschäft zerstört:
„Resistenzbrechende neue Antibiotika sollen nur restriktiv eingesetzt werden – also wirklich nur bei den mit resistenten Stämmen Infizierten, bei keinen anderen Patienten.“ Denn nur dann komme es nicht gleich wieder zu Resistenzen gegen die neuen Mittel. Gleichzeitig müsse der Umgang mit den vorhandenen Antibiotika verantwortungsvoller erfolgen und dem Einsatz mehr Erregerdiagnostik vorausgehen, mit deren Hilfe das jeweils am besten geeignete Mittel ausgewählt werden könnte.
… macht Forschung unwirtschaftlich
Das Problem dieses medizinisch absolut notwendigen „prudent use“ benennen die Firmen ebenfalls: „So wird es aber kaum möglich, die für die Entwicklung der neuen Antibiotika notwendigen Investitionen in realistischen Zeiträumen wieder zu erwirtschaften. Mit anderen Worten: Es ist kaum zu vermeiden, dass die Entwicklung resistenzbrechender Antibiotika unwirtschaftlich ist.“
Die Unternehmen appellieren deshalb an die Regierungen, mit ihnen an neuen Strukturen zu arbeiten, die den Antibiotika-Markt für die Firmen verlässlicher und nachhaltiger machen. Zur Zeit sei es so, als würde die Feuerwehr pro Feuer bezahlt, zitiert das Jornalistenbüro correctiv John Rex, einen der Chefs des Pharmakonzerns AstraZeneca. Das sei nicht nachhaltig. Die neuen Strukturen sollten für angemessene wirtschaftliche Anreize sorgen, damit sich Unternehmen in Forschung und Entwicklung mehr engagieren.
Heißt im Klartext: Wir forschen gerne weiter, wenn Vater Staat das (mit)finanziert. Ein verlängerter Patentschutz allein, wie ihn seit 2012 in den USA der Generating Antibiotic Incentives Now (GAIN) Act vorgibt, reicht den Unternehmen anscheinend nicht (mehr).
Staaten sollen Kosten tragen
Diese Lösung widerspricht zwar allen bisher gängigen marktwirtschaftlichen Idealen. Sie ist aber wahrscheinlich ohne Alternative für dringend benötigte Produkte, die zugleich weltweit verfügbar aber dennoch nur sehr restriktiv eingesetzt/verkauft werden sollen. Die staatliche Finanzierung soll den verantwortungsvollen Gebrauch der Antibiotika fördern, etwa durch Bezahlmodelle, bei denen die Einnahmen mit Antibiotika von deren Verordnungsvolumen entkoppelt werden.
Anders dürfte es kaum gehen, denn die Pharmaindustrie beklagt ein „Innovation-Gap“: Zum einen seien die Forschungsanstrengungen gewaltig, aber (bislang) nicht wirklich erfolgreich. Trotz Milliarden-Investitionen habe es in den letzten 40 Jahren kein gegen gram-negative Bakterien wirksames Antibiotikum bis zur Marktreife geschafft.
Es sind etwa 40 neue Wirkstoffe in der Entwicklungspipeline (siehe Kasten) doch die Ertragsmöglichkeiten mit solchen Präparaten sind meist gering – eben weil sie als Reserve-Antibiotika dann möglichst selten zum Einsatz kommen sollen. Deshalb seien forschende Firmen auf Partner angewiesen, die die ökonomischen Risiken und Lasten mit ihnen schultern.
Das können letztlich nur Staaten. So hat zum Beispiel die Europäische Union seit 2011 fast 224 Millionen Euro für Forschung in Form einer Public-Private-Partnership mit Unternehmen bereitgestellt – im Projekt „NewDrugs4BadBugs„. Doch der 2016er-Entwicklungsstand neuer Antibiotika zeigt, dass dies bei weitem nicht ausreicht.
Stand der Antibiotika-Forschung
Welche Wirkstoffe sind in der Entwicklungspipeline, wann könnten sie auf den Markt kommen und wie sehen die nationalen und internationalen Strategien für die Forschung aber auch für den Erhalt der Wirksamkeit bestehender Antibiobiotka aus? Diese informative Übersichtsseite erklärt aus Sicht der Pharmaunternehmen wie sie „den Vorsprung gegenüber resistenten Bakterien wahren“ wollen – 12 neue Wirkstoffe sind demnach in der letzten, der klinischen Erprobungsphase III.
Kritischer sieht das der US-amerikanische PEW-Trust: Erfahrungsgemäß würde nur einer von fünf-Phase-III-Stoffen dann auch wirklich zugelassen. Die Stiftung zählt insgesamt 39 Antibiotika in der Entwicklungspipeline; zehn in Phase I der klinischen Erprobung, 17 in Phase II und eben 12 in Phase III.
Auswirkungen auf Deutschland
Für die deutsche Debatte über (Reserve)Antibiotika, sind zwei weitere Forderungen aus der Pharma-Resolution interessant.
Antibiotika solle ein gesellschaftlicher Wert zugemessen werden, der unabhängig von der Einnahme – sprich vom Erlös durch den Verkauf – ist, sagt das Industrie-Papier und empfiehlt dann etwas, das auch auf die deutsche Debatte um Rabatte und Mindest- oder Festpreise für Antibiotika zielen könnte: Verdienstmöglichkeiten (etwa für Ärzte) sollten nicht an Verordnungsmengen gekoppelt sein:
„Furthermore, we call for governments, insurers, healthcare providers and other health system stewards to remove financial incentives for individuals (such as doctors, veterinarians and pharmacists) or institutions that reward the prescribing of antibiotics in greater volumes.“
Außerdem bedeutet der verantwortungsvolle Einsatz von Antibiotika aus Sicht der Unternehmen auch „die weltweite Reduzierung eines unnötigen Antibiotikaeinsatzes in der Nutztierhaltung“. Gelobt werden dabei ausdrücklich die Absichtserklärungen von US-Lebensmittelketten auf wachstumsfördernde Antibiotika zu verzichten. Hier ist Europa mit einem Verbot seit 2006 zwar schon deutlich weiter, doch es bleibt stehen: Die Pharmaunternehmen selbst sehen einen zu hohen Antibiotika-Einsatz in der Nutztierhaltung.
Unterzeichnet haben die Erklärung 85 Firmen und neun Verbände aus 18 Ländern – daruter auch der Deutsche Verband der forschenden Arzneimittelhersteller.
Alle zwei Jahre wollen die Unternehmen den Stand überprüfen und die Erklärung gegbenenfalls anpassen und neue Proritäten setzen.