Bundesregierung und Länder im Streit: Quo Vadis „Reserveantibiotika“

Kein Verbot von Reserveantibiotika – Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (links) im Gespräch mit bpt-Präsident Dr. Siegfried Moder (rechts) auf der Grünen Woche. (Foto: © Golombek/bpt)Kein Verbot von Reserveantibiotika – Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (links) im Gespräch mit bpt-Präsident Dr. Siegfried Moder (rechts) auf der Grünen Woche. (Foto: © Golombek/bpt)

Für sogenannte „Reserveantibiotika“ wird es in der Tiermedizin ganz sicher strenge und womöglich auch komplizierte Anwendungsvorgaben geben. Im Raum steht aber auch die Forderung nach einem Komplettverbot. Der Bund und eine Mehrheit der Bundesländer sind hier völlig gegensätzlicher Meinung.

von Jörg Held

Seit November 2015 liegt ein Eckpunktepapier des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMEL) vor. Der Entwurf will die Richtung für die Regulierung sogenannter „Reserveantibiotika“ in der (Nutz)Tiermedizin vorgeben. Er benennt „kritische“ Wirkstoffe (Fluorchinolone, Cephalosporine der 3./4. Generation, Makrolide), definiert Umwidmungsverbote und fordert verpflichtende antimikrobielle Resistenztests.
Aber obwohl die Frist, in der Verbände – also auch die Tierärzte – fachliche Stellungnahmen abgeben können, noch nicht verstrichen ist, wird das Eckpunktepapier (Wortlaut hier) von einer Mehrheit der Bundesländer bereits komplett in Frage gestellt: Sie fordern ein „Verbot der Anwendung“ von sogenannten „Reserveantibiotika“.
In einer Protokollnotiz der Amtschef-Konferenz (siehe Kasten unten) halten neun von 16 Bundesländern fest:

Ländermehrheit will „Reserveantibiotika verbieten“

1. Ein Umwidmungsverbot reiche nicht, um „sicherzustellen, dass bestimmte Wirkstoffe und Wirkstoffgruppen die bestimmten Indikationen in der Humanmedizin vorbehalten bleiben sollten, zukünftig nicht mehr in der Tiermedizin zum Einsatz kommen.“
Zwar drücken sich die Länder davor, diese „bestimmten Wirkstoffe“ und die „bestimmten Indikationen“ auch wirklich zu benennen (siehe Forderung zwei). Aber „nicht mehr“ bedeutet wohl, dass es um in der Tiermedizin bereits zugelassene und eingesetzte Wirkstoffe geht – also nicht um Antibiotika, die sowieso allein für die Humanmedizin zugelassen sind (etwa Carbapeneme).

2. Deshalb „bitten“ – was in der politischen Sprache eine Aufforderung bedeutet –  diese Ländern den Bund, „konkrete Wirkstoffe zu benennen, die zukünftig nicht bei lebensmittelliefernden Tieren zur Anwendung kommen sollen und eine entsprechende Änderung des Arzneimittelgesetzes (AMG) vorzubereiten (Verbot des Einsatzes)“.
Nun hat des BMEL im Eckpunktepapier bereits konkret drei Wirkstoffklassen benannt – Fluorchinolone, Cephalosporine der 3./4. Generation und Makrolide. Auf diese drei zielt also das „Verbot des Einsatzes bei lebensmittelliefernden Tiere“ ab.

3. Gleichzeitig enthält die Länderforderung eine Rückzugsposition mit einem Fallstrick. So „bitten die Länder den Bund sicherzustellen, dass Antibiotika von besonderer Bedeutung, deren Anwendung am Tier nicht grundsätzlich verboten wird, generell von der Umwidmung ausgeschlossen werden. Ausnahmen vom Umwidmungsverbot sollen nicht zugelassen werden.“
Das bedeutet: Kommt es nicht zum Komplettverbot, soll ein Umwidmungsverbot ohne Ausnahmen her – dabei ist nicht mehr nur von „lebensmittelliefernden Tieren“,sondern pauschal von „am Tier“ die Rede. Das würde auch Minor-Species betreffen, für die es kaum Therapiealternativen gibt.

Landwirtschaftsminister Schmidt gegen ein Pauschalverbot

Kein Verbot von Reserveantibiotika – Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (links) im Gespräch mit bpt-Präsident Dr. Siegfried Moder (rechts) auf der Grünen Woche. (Foto: © Golombek/bpt)

Kein Verbot von Reserveantibiotika – Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (links) im Gespräch mit bpt-Präsident Dr. Siegfried Moder (rechts) auf der Grünen Woche. (Foto: © Golombek/bpt)

Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt zeigte sich auf der Grünen Woche in Berlin wenig beeindruckt. Von bpt-Präsident Siegfried Moder auf „Verbotsforderungen“ angesprochen, betonte er, dass sein Ministerium „Reserveantibotika“ nicht verbieten wolle, aber auf den Antibiogrammen beharre.
An diesen Antibiogramm-Vorgaben im Eckpunktepapier gibt es wiederum Kritik aus der Tierärzteschaft: Sie seien nicht praxisgerecht. Eine fachliche Begründung dieser Kritik liefern die offiziellen Verbändestellungnahmen, die Ende Januar zu erwarten sind.
Außerdem kritisieren die Tierärzte, dass Makrolide in Deutschland als „Reserveantibiotika“ eingestuft werden, während sie auf EU-Ebene (EFSA) nicht dazu zählen. Hier solle man sich an Europa orientieren und keinen deutschen Sonderweg wählen.
Welche Rolle Colistin einnehmen wird, ist noch offen. Hier dürfte die für Mitte 2016 angekündigte Neubewertung der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) eine wichtige Rolle spielen. Einige Bundesländer – etwa Niedersachsen – bringen auch Colistin als „kritisches“ und damit zu regulierendes Antibiotikum ins Gespräch.

[box]AMK und ACK – wie politische Länderentscheidungen entstehen
Gesetzgeber ist in Deutschland der Bundestag. Viele Gesetze bedürfen aber einer Zustimmung durch den Bundesrat, die Vertretung der 16 Bundesländer – insbesondere, wenn die Umsetzung Länderaufgabe ist. Zur Abstimmung der Länderpositionen gibt es entsprechende „Konferenzen“ der Länderministerien. Für Nutztierhaltung/Tiermedizin sind meist die Agrarministerien zuständig, aber auch Verbraucherschutz- oder Umweltministerien beteiligt.
Zweimal jährlich tagt die Länder-Agrarminister-Konferenz (AMK – Protokolle finden sie hier). Diese wiederum wird von den Staatssekretären und Behördenchefs vorbereitet: der Amtschef-Konferenz (ACK). Beschlüsse der ACK sind politisch nicht bindend, zeigen aber die Positionen der Länder auf und sollen politische Signale setzen.
Angestrebt ist Einstimmigkeit, um gegenüber der Bundesregierung „stark“ auftreten zu können. Angesichts der Parteien-Lager ist dies bei eher politisch motivierten und nicht „reinen“ Länderinteressen geschuldeten Beschlüssen (wie etwa Geldverteilungsfragen) aber schwierig. Deshalb gibt es oft eher moderat formulierte Aufforderungen an die Bundesregierung, die dann durch „Protokollnotizen“ verschärft/präzisiert werden.
Das „Verbot von Reserveantibiotika“ fordern die Amtschefs der Ministerien von Baden-Württemberg (Grüne/CDU), Brandenburg (Linke/SPD), Hamburg (SPD/Grüne), Hessen (CDU/Grüne), Mecklenburg-Vorpommern (SPD/CDU), Niedersachsen (SPD/Grüne), Nordrhein-Westfalen (SPD/Grüne), Rheinland-Pfalz (SPD/Grüne), Schleswig-Holstein. Hier sind Länder vertreten, deren Regierungs-Koalitionen sowohl von SPD, CDU, Grünen und auch Linken geführt werden.[/box]

Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt zum Eckpunkte-Papier "weitere Regelungen
für den Einsatz von Antibiotika bei Tieren". (Foto: ©BMEL/Köhler - Montage: WiSiTiA/jh)

Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt zum Eckpunkte-Papier „weitere Regelungen
für den Einsatz von Antibiotika bei Tieren“. (Foto: ©BMEL/Köhler – Montage: WiSiTiA/jh)

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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