WDR-Film über ein Tierärztedilemma: „Einschläfern – eine schwere Entscheidung“

Euthanasie – ein Problemthema für Tierhalter und Tierärzte. (Foto: ©screenshot WDR-Filmbeitrag)Euthanasie – ein Problemthema für Tierhalter und Tierärzte. (Foto: ©screenshot WDR-Filmbeitrag)

Tierärzte haben einen Konflikt: Sie wollen Tieren helfen, doch auch Töten gehört zum Alltag. Wie umgehen mit den Emotionen der Tierbesitzer? Ergänzungen zu einem Filmbeitrag des WDR.

(hh) – „Wenn ich an einem Tag mehrere Euthanasien vorzunehmen habe“, berichtete eine Kollegin auf einem Kongress, „dann kann ich abends kaum mehr einschlafen.“ Eine andere bekennt, dass sie oft mit den Besitzern weine, „die ja, nach eigenem Bekunden, ihr ‚Kind’ verlieren. Und ich verliere einen Patienten, den ich 14, 15, 16 Jahre und länger betreut habe; den ich narkotisiert und operiert habe; der mich forderte, weil er ängstlich oder aggressiv oder nur stur war oder eine chronische Erkrankung hatte.“ So wie ihnen geht es vielen Tierärzten und auch Tiermedizinischen Fachangestellten. Wenn es ums Sterben geht sind Tierärzte und Praxismitarbeiter in der Rolle des Arztes, Freundes, Erziehers, Sozialarbeiters, wirtschaftlichen Beraters sowie Trauerbegleiters. Das technische Procedere einer Euthanasie ist dabei nicht das Problem.

Der WDR hat zum Thema „Euthanasie“ einen Filmbeitrag gedreht und auch einen Artikel mit Hinweisen online gestellt, in dem wir-sind-tierarzt.de-Redakteur Dr. Henrik Hofmann aus seiner Praxiserfahrung berichtet. Der Artikel hier ergänzt den WDR-Beitrag mit  Hintergrundinformation.

(Hinweis: Die ARD/ZDF-Mediatheken stellen Videos nur für ein Jahr online – dieser Artikel ist aus 2015; der Link abgelaufen)

WDR-Filmbeitrag

WDR-Filmbeitrag „Einschläfern – eine schwere Entscheidung“ (Bild: © Screenshot WDR)

Tierarzt – ein heilender Idealist?

80 Prozent der Tierärzte entscheiden sich für ihren Beruf, weil sie das Leben von Tieren erhalten, retten oder wenigstens verbessern wollen. Sie sehen ihre Aufgabe in der Heilung von Krankheiten und der Erhaltung von Leben. Sie wollen ihren Beitrag dazu leisten, dass es ihren Patienten gesundheitlich gut geht und ihnen ein möglichst angenehmes Zusammenleben mit ihren Besitzern ermöglichen. Ein extrem hoher Prozentsatz der Tierärzte sind Idealisten, die sich zu ihrem Beruf berufen fühlen. Nicht umsonst vertrauen Tierbesitzer ihren Tierärzten laut Statistik sehr sehr weit – weiter sogar als manchen „Menschenärzten“.

Nötig ist ein „hörendes Herz“

Tieren beim Sterben helfen - Euthanasie in der Tierarztpraxis"

„Tieren beim Sterben helfen – Euthanasie in der Tierarztpraxis“ von Henrik Hofmann

Der Tierarzt muss für Tierbesitzer „ein hörendes Herz“ haben. Er findet sich in der Rolle des Arztes, Freundes, Erziehers, Sozialarbeiters, wirtschaftlichen Beraters sowie Trauerbegleiters wieder. Und zugleich will und muss er die Euthanasie „lehrbuchmäßig“ sachlich, routiniert, stressarm, ruhig und friedlich gestalten. Darauf vorbereitet werden Tierärzte im Rahmen ihrer Ausbildung nur von der medizinischen Seite.

Tierärzte sehen zwar dass medizinisch womöglich noch mehr möglich ist. Doch bei der Entscheidung über eine Euthanasie gibt es nicht immer nur schwarz oder weiß; häufig ist sie auch abhängig von der Lebenssituation von Tier und Besitzer. Eine individuelle Gewissensentscheidung, eine Situation, auf deren psychologische Komponente die Tierärzte zumindest von der Ausbildung her nicht vorbereitet sind.

Euthanasie – auch Kapitulation und Versagen

Viele empfinden eine Euthanasie dann auch als Kapitulation und Versagen (ihrer medizinischen Fähigkeiten) – und damit als belastend. Margit Voss schreibt in einer Doktorarbeit dazu: „War die Lebenserhaltung des Patienten in der letzten Phase mit großem Zeitaufwand und großer Mühe verbunden, fällt die Euthanasie ebenfalls sehr schwer, da sie in diesem Zusammenhang von den Mitarbeitern oft als persönliches Versagen  gesehen wird.“
Auf den „sozialen Sprengstoff“, der in der Tiermedizin durch immer weitergehende  Therapieoptionen entsteht, weist auch Prof. Peter Kunzmann hin. Der katholischer Theologe und Philosoph ist Ethik-Professor an der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Weil Therapien immer aufwändiger und teurer werden, verschieben sich nicht nur medizinische Grenzen. Er sehe da auch eine zunehmende Klagebereitschaft.

Das Ende eines Lebens nicht nur zu akzeptieren, sondern auch als Erlösung anzunehmen, fällt der Gesellschaft zunehmend schwer. Für die Tiermedizin bedeutet Euthanasie abgeleitet vom griechischen εὐθανασία (euthanasia) „ein leichter und/oder schöner Tod“.
Der WDR hat dazu einen guten Filmbeitrag gedreht: Er verdeutlicht Tierbesitzern, in welchem emotionalen Dilemma sich Tierärzte bei dieser bedeutenden Aufgaben befinden.

Literatur/Quellen
Henrik Hofmann, Tieren beim Sterben helfen – Euthanasie in der Tierarztpraxis Vetpress.de (2013), ISBN-13:978-3940254023
Margit Voss, Untersuchung der sozialen Kompetenz von Tierärzten beim Einschläfern von Hunden, Inauguraldissertation (2002)
Tötung von Tieren – siehe §4 im Tierschutzgesetz 

Beitragsbild: Euthanasie – ein Problemthema für Tierhalter und Tierärzte. (Foto: ©screenshot WDR-Filmbeitrag)

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