München: Tierschutzprotest gegen Fuchsbandwurm-Monitoring

Als geretteter Welpe "beliebt". Als ausgewachsenes "Stadttier" womöglich eine Gefahr, weil es für Menschen gefährliche Fuchsbandwurmeier ausscheidet. (Foto: © WiSiTiA/hh)Als geretteter Welpe "beliebt". Als ausgewachsenes "Stadttier" womöglich eine Gefahr, weil es für Menschen gefährliche Fuchsbandwurmeier ausscheidet. (Foto: © WiSiTiA/hh)

Humanmediziner warnen vor steigendem Infektionsrisiko mit Fuchsbandwürmern vor allem in Städten. München will deshalb für ein Monitoring 100 der 2.000 Stadtfüchse schießen. Tierschützer protestieren wütend. Einmal mehr ein Konflikt zwischen  Sicherheit für den Menschen und Schutz von Wildtieren.

von Henrik Hofmann

Allein in Ulm haben Humanmediziner im vergangenen Jahr 30 Echinokokkose-Fälle bei Menschen diagnostiziert (siehe wir-sind-tierarzt-Bericht). Ulm und Umgebung gelten als „Epizentrum“ der beim Menschen eigentlich seltenen Parasitenerkrankung: Bis zu 70 Prozent der Füchse rund um die Schwäbische Alb tragen den Erreger in sich.
Fuchsbandwurm-Monitorings sind deutschlandweit auch nicht ungewöhnlich. In Niedersachsen untersucht das Lebensmittel- und Veterinärinstitut Hannover (LVI BS/H) seit vielen Jahren Füchse. Ergebnis: Die Infektionszahlen in einigen Regionen sind angestiegen, und es gibt  Ausbreitungstendenzen. Der Süden des Bundeslandes ist davon stärker betroffen als der Norden, schreibt das Niedersächsische Landesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LAVES) auf seiner Webseite.
Auch Daten aus Regionen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen-Anhalt wiesen auf einen Anstieg hin. Nicht nur ein wachsender Anteil der Füchse ist demnach infiziert, auch eine Ausweitung der betroffenen Gebiete wird vermutet. Selbst in Hamburg warnten dieses Jahr die Behörden vor dem Fuchsbandwurm (NDR-Bericht): Drei von 21 im Stadtgebiet tot aufgefundenen Füchsen waren infiziert (Zahlen aus 2013).

Der Süden als Hotspot

Bayernweit seien seit 2001 sechs Menschen an einem Befall mit dem Fuchsbandwurm gestorben schreibt die Abendzeitung. Das Robert-Koch-Institut (RKI) registrierte aber im Jahresbricht 2014 (Seite 72ff / PDF-Download) insgesamt 25 Erkrankungsfälle der alveolären Echinokokkose in sechs Bundesländern, davon neun in Baden- Württemberg und acht in Bayern.
Fazit: Das Risiko für den Menschen steigt, wenn es auch noch nicht bedrohlich ist.

 

Münchner Abendzeitung:

Schlagzeile der Münchner Abendzeitung

 

Massaker an „beliebten Füchsen“

Um einen Überblick zu bekommen plant die Stadt München deshalb ein Fuchs-Monitoring. Geschätzt leben 2.000 Füchse im Stadtgebiet von denen für ein repräsentatives Monitoring zwischen 200 und 300 untersucht werden müssten. Aber nur 180 Füchse würden jährlich erlegt oder als Fallwild (z.B. nach Autounfall) aufgefunden, berichtet die Münchner Abendzeitung. Diese sind aber nicht mehr alle für eine Untersuchung geeignet. Die Stadt wollte die fehlenden rd. 100 Füchse deshalb von Jägern schiessen oder in einer Falle fangen und dann töten lassen.

Als geretteter Welpe "beliebt". Als ausgewachsenes "Stadttier" womöglich eine Gefahr, weil es für Menschen gefährliche Fuchsbandwurmeier ausscheidet. (Foto: © WiSiTiA/hh)

Als geretteter Welpe „beliebt“. Als ausgewachsenes „Stadttier“ womöglich eine Gefahr, weil es für Menschen gefährliche Fuchsbandwurmeier ausscheidet. (Foto: © WiSiTiA/hh)

Gegen dieses „Massaker“ protestieren Tierschützer wütend. PETA drohte der Stadt mit einer Anzeige, sollte sie die Füchse töten. „Das Töten von 100 Füchsen im Stadtgebiet ist eine absolut unverhältnismäßige Aktion“, empörte sich etwa Tierschutzvereins-Sprecherin Judith Brettmeister. Der Verein peppele verwaiste Jungfüchse auf und wildere sie später im Stadtgebiet wieder aus. „Dass die Tiere nun erschossen werden sollen, ist absoluter Wahnsinn.“

Alternative: Falltiere über längeren Zeitraum untersuchen

Das Thema hat sich zum Politikum entwickelt. Im Kreisverwaltungsausschuss hatten SPD und CSU gemeinsam das Monitoring beschlossen. Inzwischen distanzierte sich aber die stellvertretende CSU-Fraktionsvorsitzende Evelyne Menges, zugleich tierschutzpolitische Sprecherin der Partei, von dem Plan: „Unser Ziel ist doch die Bekämpfung des Fuchsbandwurms und nicht der Füchse.“ Ebenso wie von den GRÜNEN beantragt, fordert Menges das Kreisverwaltungsreferat auf, zunächst die bereits toten Tiere einzusammeln und die Untersuchung an ihnen solange zu betreiben, bis genügend Ergebnisse zur Verfügung stehen – „auch wenn die Untersuchung dadurch etwas länger dauert.“ Die Rathaus-GRÜNEN fordern: „Dass für ein fragwürdiges Monitoring so viele beliebte Füchse sterben müssen, darf nicht sein!“

Jagen oder entwurmen

Es geht auch um Geld. Heftig kritisiert werden die hohen Kosten von 50.000.- Euro für die Jagdaktion. Umgekehrt wird aber auch diskutiert, ob man Füchse entwurmen sollte. Das kann die Wurmlast in einer Region erfolgreich reduzieren, aber nie ganz auf null bringen. Die Entwurmungsmittel müssen regelmäßig über Jahre und Jahrzehnte eingesetzt (und verteilt) werden. Das ist ebenfalls teuer, zudem droht die Gefahr von Resistenzen. Die Belastung in München sei wiederum akut nicht bedrohlich, sagen die Daten des Kreisverwaltungsreferat auf dessen Webseite 

Rund ein Drittel der Patienten mit Fuchsbandwurmerkrankungen kann durch eine Operation geheilt werden. (Foto: Befallene Leber (© Universitätsklinik Ulm / Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie)

Rund ein Drittel der Patienten mit Fuchsbandwurmerkrankungen kann durch eine Operation geheilt werden. (Foto: Befallene Leber (© Universitätsklinik Ulm / Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie)

Kulturfolger Fuchs

Umstritten ist die Gefährdungsbeurteilung. Tierschützerin Brettmeister hält noch immer nur Waldarbeiter und Förster für gefährdet. Wenn dann seien Hunde und Katzen für den Menschen weit „gefährlicher“. Sie sollten unbedingt regelmäßig entwurmt werden. In der Tat wurde bis vor einigen Jahren die alveoläre Echinokokkose, die durch das Larvenstadium des Fuchsbandwurms ausgelöst wird, hauptsächlich bei Landwirten oder Jägern diagnostiziert. Doch zunehmend sind auch Städter betroffen. Der Grund: Als Kulturfolger passt sich der Fuchs dem Stadtleben an und hinterlässt seinen Kot mit den Bandwurmeiern in Sandkästen oder auf Gemüsebeeten. Dort bleibe er oft monatelang ansteckend, warnt die Universität Ulm.

(Alle Quellen sind direkt im Text verlinkt – hervorgehoben Begriffe)

wir-sind-tierarzt.de meint

(hh) – Auch wir in der Redaktion von wir-sind-tierarzt.de bekommen regelmäßig den Konflikt zwischen „Tierliebe“ und „Vernunft“ zu spüren: Schreiben wir über Fuchs, Hase, Jagd und Waschbär, sind uns Zuschriften und Anrufe gewiss. Wir Tierärzte widmen ja auch viel Zeit dem „Retten“ von Wildtieren. Und wir wollen als letzte, dass die von uns oder von Tierschützern geretteten Tiere einfach abgeschossen werden.
Andererseits gilt der Fuchsbandwurm als „gefährlichster Wurmparasit Deutschlands“. Unbestritten ist, dass deutschlandweit die Infektionen ansteigen. Das Robert-Koch-Institut nennt eine Dunkelziffer von 67 Prozent. Einmal befallen müssen die Menschen – wenn sie überleben – lebenslang mit Chemotherapeutika behandelt werden. Nicht immer vertragen sie diese.
Hier stellt sich also – wie so häufig – die Frage: Wiegt die Sicherheit des Menschen höher als das Leben von Tieren? Die Diskussion in München erscheint mir für das ernste Thema wieder einmal – vorsichtig formuliert – viel zu emotional: Beliebte Füchse? Massaker? Und sind 50.000.- Eurowirklich zu viel für eine schnelle(!) valide Datenbasis, wenn sich deutschlandweit die gemeldete Erkrankungsrate (Achtung Dunkelziffer) seit 2001 verdoppelt hat – mit Schwerpunkt Bayern und Baden-Württemberg. Zielführend scheint mir das jedenfalls nicht.

 

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Über den Autor

Dr. Henrik Hofmann

Dr. Henrik Hofmann (hh) betreibt seit 1995 eine eigene Tierarztpraxis in Butzbach. Er ist Fachtierarzt für Allgemeine Veterinärmedizin und hat die Zusatzbezeichnung Akupunktur. (www.tierundleben.de) Als Autor und Redakteur hat Hofmann in etlichen Zeitschriften und Zeitungen rund ums Tier geschrieben. Bei wir-sind-tierarzt.de betreut er schwerpunktmäßig Medizinthemen, den Bereich Praxismanagement und die Rubrik Mensch-Tierarzt. Außerdem steuert er die SocialMedia-Aktivitäten und leitet die Bildredaktion. Zuletzt ist sein Buch „Tieren beim Sterben helfen – Euthanasie in der Tierarztpraxis“ erschienen. Kontakt: henrik.hofmann(at)wir-sind-tierarzt.de
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