Großbritannien: Mehr Tierschutz am Schlachthof – aber nicht für Geflügel

Mehr Tierschutz am Schlachthof, das war eigentlich das Ziel eines neuen Gesetzes in Großbritannien. Doch Tierärzte kritisieren: Weil man womöglich fürchte, mit Religionen in Konflikt zu geraten, fehlen jetzt Richtwerte für eine irreversible Betäubung beim Geflügel.

von Annegret Wagner

In Großbritannien gelten seit Anfang November neue Regeln bei der Geflügelschlachtung: Große Schlachthöfe brauchen in Zukunft einen Verantwortlichen, der sich um das Wohl der Tiere vor der Schlachtung kümmert und die Tötung überwacht. Außerdem werden „Kompetenzzertifikate“ eingeführt, die sicher stellen sollen, dass das Personal entsprechend geschult ist. Diese Änderungen wurden beschlossen, nachdem TV-Sender über Tierschutzverstöße an den Schlachthöfen berichtet hatten.
Für Unmut unter den britischen Tierärzten sorgt allerdings die Entscheidung der DEFRA (Department of Environment, Food and Rural Affairs), keine Richtwerte für die Elektrobetäubung von Geflügel in die Schlachtregeln aufzunehmen. Ohne exakte Vorgabe der erforderlichen Stromwerte sei auch eine Schlachtung „in Übereinstimmung mit religiösen Riten“ möglich, ohne dass die Tiere zuvor wirklich wahrnehmungs- und empfindungslos sind – also eine Schächtung.

Geflügel: Betäubung durch Stromschlag im Wasserbad

Geflügel wird üblicherweise vor dem Entbluten in Wasserbädern, die unter Strom stehen, irreversibel betäubt. Dazu gibt es international anerkannte Mindestanforderungen, die garantieren, dass die Tiere vor dem Blutentzug einen Herzstillstand haben. In Deutschland müssen die Schlachthofbetreiber aufgrund der Tierschutz-Schlachtverordnung sicher stellen, dass die elektrotechnischen Voraussetzungen (Spannung, Stromstärke und Stromflussdauer) erfüllt sind. Der Strom muss bereits in der ersten Sekunde nach dem Eintauchen des Tierkopfes den Schwellenwert erreichen, der zur Auslösung eines epileptischen Anfalls führt. Innerhalb von rund vier Sekunden soll es dann zum Herzkammerflimmern und nachfolgend Herzstillstand kommen. Außerdem muss das Verhalten der Tiere nach Verlassen der Anlage beobachtet werden, denn bei richtiger Durchführung verharren sie in einem klonischen Krampf.

Nur bewegungsunfähig?

Britische Tierärzte bemängeln, dass selbst eine qualifizierte Aufsichtsperson kaum unterscheiden kann, ob ein Tier durch den Stromkontakt tatsächlich irreversibel betäubt wurde oder lediglich bewegungsunfähig ist. Sie fordern daher konkrete Vorgaben für die Stromparameter der Wasserbäder. Sean Wensley, Präsident der British Veterinary Association (BVA) erklärt, dass gerade im vergangenen Jahr aufgrund von Tierschutzverstößen an Schlachthöfen unschöne Bilder an die Öffentlichkeit gelangt seien. Die neuen Regelungen sollten eigentlich Abhilfe schaffen und dafür sorgen, dass die Schlachtung so stress- und schmerzfrei wie möglich abläuft. Ohne konkrete Angaben könnte es aber dazu kommen, dass deutlich mehr Tiere als bisher bis zum Eintritt des Todes unnötig leiden müssen.

Richtwerte für die Elektrobetäubung

Für Hühner gelten 120 mA (Milliampere) als Mindeststromstärke, für Enten und Gänse 130 mA und für Puten 150 mA. Hühner und Puten müssen dabei mindestens vier Sekunden vollständig mit dem Kopf untergetaucht werden, Enten und Gänse sogar sechs Sekunden. Doch entscheidend für die Auslösung eines Kammerflimmerns mit anschließendem Herzstillstand ist auch die Frequenz des Wechselstroms. Diese sollte bei 50 Hertz liegen.
Hohe Frequenzen führen kaum noch zum Kammerflimmern, bei 1.500 Hertz wird kein Effekt mehr auf das Herz erzielt. Es kommt also nicht zum Kammerflimmern mit anschließendem Herzstillstand.
Ohne verpflichtende Vorgaben für Mindeststromstärke und Frequenz könnten Schlachtbetriebe versucht sein, Geflügel „in Übereinstimmung mit religiösen Riten“ zu schlachten – also die Tiere nur bewegungsunfähig ausbluten zu lassen (Schächten), befürchtet die BVA.

Das Schächtgebot basiert bei Muslimen und Juden auf Regeln, die vor mehreren tausend Jahren verfasst wurden. Damals waren es durchaus sinnvolle Hygieneregeln, denn nur auf diesem Weg ließ sich eine optimale Entblutung der Schlachttiere erreichen.

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Über den Autor

Annegret Wagner

Dr. Annegret Wagner (aw) hat in Gießen Tiermedizin studiert und arbeitet seit 1991 in der Großtierpraxis; seit 2005 niedergelassen in eigener Praxis mit Schwerpunkt Milchrind im Raum Rosenheim. Seit 2006 arbeitet sie auch als tiermedizinische Fachjournalistin. So hat sie für die VETimpulse die Nutztierthemen betreut und übernimmt diese Aufgabe auch bei wir-sind-tierarzt.de. Um nicht zum Mia-san-mia-Bayer zu mutieren, schaut sie intensiv über den Alpenrand hinaus, vorzugsweise ins englischsprachige Ausland. Kontakt: annegret.wagner(at)wir-sind-tierarzt.de
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