„Assistentenflüsterer“ gesucht – oder wie man Tierarztnachwuchs demoralisiert

Perlen muss man pflegen (Foto: © WiSiTiA/Henrik Hofmann)

Fast jeder Vortrag zum Praxismanagement erwähnt mittlerweile, dass wir ein generationen-bedingtes Personalproblem haben. Kliniken geben gar ihren Status auf, da keiner mehr den Notdienst machen will. Können wir es uns leisten, motivierte junge Leute schon in den ersten Monaten zu verheizen?

ein etwas zorniger Kommentar von Henrik Hofmann

Wer sagte noch mal, dass „junge Kollegen rohe Diamanten sind, die geschliffen werden müssen“? Und wie war das gemeint, das mit dem „Schleifen“?

Ein wichtiger Teil des Tiermedizin-Studiums findet „extramural“, also ausserhalb der Mauern der Hochschulen statt. Hier sollen die angehenden Tierärztinnen und Tierärzte praktische Fähigkeiten erlernen. Damit dieser Teil gelingt, hat der Bundesverband Praktizierender Tierärzte (bpt) eine Checkliste und die Initiative „Ausbildungspraxis“ erarbeitet. Daran können sich Inhaber und Studenten orientieren und so eine „Qualitätssicherung“ ins Praktikum einbinden.
Arbeitgeber wissen: Die Studis sind sehr unterschiedlich. Manche sind so gut, dass es unverständlich ist, warum sie überhaupt noch fertig studieren sollen (und ob es jemanden gibt, der ihnen was beibringen kann). Anderen möchte man am liebsten den Rat geben, doch etwas anderes zu lernen.

Hegen und pflegen, lieb haben, füttern und hätscheln, schützen und – verstecken!

Nun, von den Cracks haben 90 Prozent vorher eine andere (Berufs)-Ausbildung gemacht – egal, in welchem Bereich. Sie wissen, um was es geht im Leben. Das ist mir ehrlich gesagt schon während meines eigenen Studiums aufgefallen. Und ich war leider keiner von denen, ich musste mir das hart erarbeiten. Hat man so jemanden gefunden, stellt sich schnell heraus, ob er/sie „nur“ gut ist – oder gar eine „Perle“ obendrein.
Wer eine solche Perle gefunden hat – und versteht sich auch noch mit ihr –, versucht sie zu halten. Man wird sie hegen und pflegen, lieb haben, füttern und hätscheln, schützen und – verstecken. Im Studium begleiten, sie versuchen zu halten.
Tatsache ist nämlich, dass man solche Leute kaum findet. Sie sind leistungsbereit, haben hohe ethische Ansprüche an sich und sind motiviert.
Aber die Realität ist eine andere: „Viele Pferdekliniken“, so Kollege Kai Kreling während des bpt-Kongresses in München, „geben ihre Klinikzulassung inzwischen ab, weil sie keine Leute mehr finden“. In Kleintierkliniken sinkt die Qualität im Notdienst bisweilen dramatisch. Auch hier heisst das Problem: Personal.

„Glück ist eine Rechenaufgabe“

Liebe was du tust. So sollte es sein. (Bild: Facebook)

Liebe was du tust. So sollte es sein. (Bild: Facebook)

Vor einer Weile hatte ich eine solche Perle gefunden. Im früheren Leben Arzthelferin, dann Studium. Sie fügte sich ein in unser (wundervolles) Team, lernte, machte uns allen Spaß. Doch irgend jemand setzte ihr einen Floh ins Ohr: „Geh in eine große Klinik und werde was ganz TOLLES!“ Sie ging mit wehenden Fahnen nach Süddeutschland in eine große Klinik. Und wir hörten nichts mehr von ihr. Nach einer Weile chatteten wir hin und wieder. Sie schrieb irgendwas von „durchhalten“ und „das wird schon“. Dann rief ich sie nach Monaten an: 220 Stunden im Monat/55 Stunden pro Woche; ungeregelter Schichtdienst; 2.200.- Euro brutto – also ein unterirdisches Gehalt und obendrein ein Knebelvertrag, der mindestens den guten Sitten widerspricht; absolut mieses Betriebsklima. „Und lernen tue ich auch nicht viel…“ Spontan bot ich ihr an, bei uns zu arbeiten: „So viel du willst!“ Doch sie ist verheizt, sie will aus diesem Beruf heraus, hat den Spaß verloren.

An dieser Stelle möchte ich einen kleinen Gedankensprung machen.

„Sind wir nicht alle ein bisschen Cesar?“

Cesar Millan, der mexikanisch-amerikanische Hundeflüsterer, ist in Verruf geraten. Seine Methoden funktionieren zwar – aber sie gelten als brutal und längst überholt. Mit freundlichem Gesicht und engen Schlingen setzt er den Hunden zu. Auch Kollegen ereifern sich über ihn, fallen über ihn her, verurteilen ihn. Gerade erst habe ich gelesen, er habe die Hundeausbildung in die 60er Jahre zurückkatapultiert.

Schön und gut. Aber sind wir „guten“ Tierärzte denn besser? Was tun wir unserem Nachwuchs an?

Perlen muss man Foto: WiSiTia / Henrik Hofmann

Perlen sind empfindlich Foto: © WiSiTiA/Henrik Hofmann

Wir Praxisinhaber klagen, dass wir keine guten Leute mehr bekommen, haben ein Problem mit dem Notdienst, schimpfen in Chor und Kanon auf die Generation-Y, fürchten Landkreise ohne tierärztliche Versorgung – und tun was?
Die GUTEN, die es gibt (und es gibt einige von ihnen!) werden verheizt. Einzelfall? In Bamberg auf dem Deutschen Tierärztetag habe ich die Geschichte von unserer Perle einigen Kollegen erzählt. Und viele wussten, was ich meine. Einer erzählte gar, seiner eigenen Tochter sei es so ergangen…

Das hat mich so wütend gemacht! Pfui Teufel, „liebe“ Kollegen! Schämen sollt ihr euch! „Glück“ ist eine Rechenaufgabe: Wirft man NUR negative Zahlen in die Addition, wird NIEMALS etwas Positives heraus kommen!

(update 09.11.2015)

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Über den Autor

Dr. Henrik Hofmann

Dr. Henrik Hofmann (hh) betreibt seit 1995 eine eigene Tierarztpraxis in Butzbach. Er ist Fachtierarzt für Allgemeine Veterinärmedizin und hat die Zusatzbezeichnung Akupunktur. (www.tierundleben.de) Als Autor und Redakteur hat Hofmann in etlichen Zeitschriften und Zeitungen rund ums Tier geschrieben. Bei wir-sind-tierarzt.de betreut er schwerpunktmäßig Medizinthemen, den Bereich Praxismanagement und die Rubrik Mensch-Tierarzt. Außerdem steuert er die SocialMedia-Aktivitäten und leitet die Bildredaktion. Zuletzt ist sein Buch „Tieren beim Sterben helfen – Euthanasie in der Tierarztpraxis“ erschienen. Kontakt: henrik.hofmann(at)wir-sind-tierarzt.de
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